Prozess um Säureanschlag:"Es wäre ein Stück moralische und persönliche Wiedergutmachung"

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Innogy-Manager Bernhard Günther und sein Rechtsanwalt Martin Meinberg 2022 bei einem Gerichtstermin. (Foto: Federico Gambarini/dpa)

Vor mehr als vier Jahren verätzten zwei Maskierte den Innogy-Manager Bernhard Günther mit Säure. Nun hat der Prozess gegen einen der mutmaßlichen Attentäter mit Geständnis-Appellen begonnen.

Von Sabine Maguire, Wuppertal

Es ist ein kühler Morgen im März 2018. Bernhard Günther, heute 55, geht mit Freunden joggen. Auf dem Heimweg holt er Brötchen für das Sonntagsfrühstück, es sind nur noch 200 Meter bis zu seiner Haustür, als in einer Parkanlage in Haan plötzlich zwei Vermummte neben ihm stehen. Einer drückt ihn zu Boden, der andere hält ein Schraubgefäß in den Händen und kippt dem damaligen Innogy-Finanzvorstand den Inhalt ins Gesicht. Die Schwefelsäure verätzt Günthers Stirn, die Wangen, die Augenlider, nur seine Kontaktlinsen schützen ihn wohl vor einer Erblindung. Der Manager kommt in einer Spezialklinik auf die Intensivstation. Vier Wochen später wird er entlassen, bald geht er wieder ins Büro, lange trägt ein Stirnband, weitere Operationen sollen folgen.

An diesem Freitag werden vor dem Landgericht in Wuppertal Tatort-Fotos präsentiert: Brötchen liegen verstreut auf einem Fußweg herum, daneben das Schraubgefäß mit einem übergestülpten Handschuh. Dieser spielt eine entscheidende Rolle in dem Prozess, der nun, mehr als vier Jahre nach der Tat, begonnen hat. Bernhard Günther, der mittlerweile im Vorstand des finnischen Energieversorgers Fortum sitzt, ist Nebenkläger. Es sei ein schwerer Tag für ihn und seine Familie, die Welt sei für ihn nach dem Anschlag eine andere geworden, sagt er vor Beginn des Prozesses, von dem er sich vor allem eines erhofft: vollständige Aufklärung.

Eine DNA am Tatort konnte dem Angeklagten Nuri T. zugeordnet werden

Im Schwurgerichtssaal 147 sitzt auf der Anklagebank Nuri T., 42, ein hagerer Mann. Die Staatsanwaltschaft ist sich sicher, dass der Belgier derjenige ist, der sich im Gebüsch versteckt und Günther die Säure ins Gesicht geschüttet hat. Am Tatort hatten Polizisten den weißen Handschuh gefunden, später konnte die darauf sichergestellte DNA dem Angeklagten zugeordnet werden.

Die Ermittlungen in dem Fall verliefen zunächst zäh, die Staatsanwaltschaft hatte sie eingestellt, Günther heuerte private Ermittler an, 2019 war schon einmal ein Verdächtiger festgenommen worden, nach wenigen Wochen kam er wieder frei. Auch Günthers ehemaliger Arbeitgeber, die RWE-Tochter Innogy, hatte Zeugenaufrufe gestartet und Belohnungen ausgelobt, ein anonymer Hinweis brachte wieder Bewegung in die Sache.

Günther selbst wähnte den Auftraggeber des Anschlags von Beginn an in seinem beruflichen Umfeld. Schon im Juni 2012 war er zum Opfer eines Überfalls geworden, zwei Männer hatten ihm aufgelauert, einer trug weiße Handschuhe, so wie an jenem Sonntag im März 2018. Auch damals soll es im Konzern ein Gerangel um Posten gegeben haben. Und da sollen Konkurrenten gewesen sein, denen Günther offenbar auch zutraut, den Säureanschlag in Auftrag gegeben zu haben. Er hat darüber in Interviews gesprochen, er wisse, wo er klingeln müsse, sagte er. Namen nannte er nicht.

Laut Gericht spricht die Aktenlage "mit hoher Wahrscheinlichkeit für einen Schuldspruch"

Den nun angeklagten Nuri T. hält Günther für einen Handlanger, am ersten Prozesstag schweigt der 42-Jährige zur Tat. Sollte das so bleiben, dürfte es schwierig werden, etwas über die Hintergründe und die Auftraggeber zu erfahren. Günthers Anwalt Martin Meinberg appelliert zu Prozessbeginn deshalb an den Angeklagten, sein Schweigen zu brechen. Wenn Nuri T. "Ross und Reiter" nenne, "würden wir das würdigen. Es wäre ein Stück moralische und persönliche Wiedergutmachung."

Auch der Vorsitzende Richter Holger Jung sagt, die Aktenlage spreche "mit hoher Wahrscheinlichkeit für einen Schuldspruch". Ein Geständnis könne Nuri T. "einige Jahre" Haft ersparen. Immerhin, zu seinem Vorleben gibt der Angeklagte Auskunft: Er habe als Automechaniker gearbeitet und mit exotischen Vögeln gehandelt. Im belgischen Genk wohnt er noch immer im Elternhaus, zusammen mit einem Papagei. Auf Nachfrage räumt er ein, in den vergangenen Jahren häufiger in Deutschland gewesen zu sein, auch für Bordellbesuche. Er selbst spricht von einem Wellness-Club in Grefrath. Vom Vorsitzenden Richter bekommt Nuri T. die Aktenlage vorgehalten: Demnach gebe es ein weiteres Bordell, in dem er Leute kennengelernt habe, "die in diesem Prozess noch eine Rolle spielen werden". Als Vorstrafen listet der Richter lediglich eine Reihe Verkehrsdelikte aus dem belgischen Strafregister auf.

Die Kammer hat zur Beweisaufnahme acht Verhandlungstage festgesetzt. Nuri T. drohen im Fall einer Verurteilung zwischen drei und 15 Jahren Haft wegen absichtlicher schwerer Körperverletzung. Am 31. August will das Gericht ein Urteil verkünden.

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