Indischer Pharma-Skandal:Kinder als Versuchskaninchen

Tragödie in einer bekannten indischen Klinik: Bei medizinischen Testreihen sind 49 Babys ums Leben gekommen. Die Auftraggeber waren westliche Pharmafirmen.

O. Meiler und H. Charisius

Negative Schlagzeilen ist das All India Institute of Medical Sciences in Delhi (AIIMS), das renommierteste Universitätskrankenhaus Indiens, nicht gewöhnt. Eher wird die Prestige-Klinik bei jeder Gelegenheit gelobt - als großartige soziale Institution. Im staatlichen AIIMS werden auch Menschen behandelt, die sich keine Behandlung leisten können.

Indischer Pharma-Skandal: Das AIIMS, All India Institute of Medical Sciences in Singapur: 49 Kinder starben hier.

Das AIIMS, All India Institute of Medical Sciences in Singapur: 49 Kinder starben hier.

(Foto: Foto: dpa)

Unzureichende Information der Eltern

Nun aber behauptet eine Nichtregierungsorganisation, in der pädiatrischen Abteilung des Instituts seien klinische Tests für neue Medikamente großer westlicher Pharmakonzerne an Kindern aus armen und ungebildeten Familien getestet worden. Die Eltern seien gar nicht oder nur unzureichend über die Versuchsreihen informiert worden.

Während der vergangenen 30 Monate seien 49 Kleinkinder, die in solche Testprogramme involviert waren, gestorben. 49 von insgesamt 4142 Kindern - also 1,2 Prozent. Der Großteil dieser Testkinder war jünger als ein Jahr alt. Die NGO behauptet, kranke Kinder gebildeterer Familien hätten weniger Chancen gehabt auf einen Platz am AIIMS.

Untersuchung angeordnet

Die Klinik reagierte schnell und bestätigte die Zahlen Anfang der Woche . Nach einer umgehenden Prüfung der Patientendossiers verwies man jedoch darauf, dass alle diese Kinder schwer oder lebensbedrohlich erkrankt gewesen seien. Zudem widersprach die Krankenhausleitung der Darstellung, dass die Eltern über die klinischen Tests nicht informiert waren. Analphabeten etwa habe man das Dokument vorgelesen, bevor es ihnen zur Unterzeichnung vorgelegt wurde.

Der indischen Regierung reichte diese Erklärung nicht aus. Das Gesundheitsministerium ordnete eine Untersuchung an, die von einem "hochrangigen Gremium" zu verantworten sei. Deutlich wurde ein Sprecher der regierenden Kongresspartei: "Die Praxis, Kleinkinder als Versuchskaninchen für Medikamententests zu missbrauchen, muss sofort aufhören", ", sagte Manish Tiwari.

Menschentests westlicher Konzerne

Indien ist bei westlichen Pharmakonzernen besonders beliebt für klinische Tests - der letzten und teuersten Phase, bevor ein Medikament marktfähig ist. In Indien sollen die Kosten für solche Tests bis zu 60 Prozent billiger sein als in Europa. Zurzeit laufen der Regierung in Delhi zufolge 139 Tests in Indien, so viele wie sonst nirgends auf der Welt. Mittlerweile stellt Indien selbst einen interessanten Markt für westliche Arzneimittelhersteller dar. Auch deshalb haben alle großen Pharmakonzerne heute Niederlassungen in Bangalore, Bombay oder Neu-Delhi.

Weiter: Warum die Pharmakonzerne ihre Medikamente in Indien testen...

Kinder als Versuchskaninchen

Arzneimittel müssen vor der Marktzulassung egal in welchem Land auch an Menschen getestet werden. Damit ist immer ein Risiko verbunden, über das die Patienten gemäß international gültigen ethischen Standards informiert werden müssen. Medikamente an Kindern zu testen, ist für die Pharmaindustrie allerdings noch relativ ungewohnt.

Es ist noch nicht lange her, dass selbst Säuglinge wie Erwachsene behandelt wurden und nur weniger Wirkstoff verabreicht bekamen. Die Erkenntnis, dass Patienten im Baby-Alter mitunter ganz andere Medikamente benötigen, eröffnete den Pharmaherstellern einen neuen Markt, zwang sie aber auch zu Tests an Kindern. Weil sich in den Industrieländern kaum Eltern finden lassen, die bereit sind, ihre Kinder für solche Versuche zur Verfügung zu stellen, weichen die Konzerne in ärmere Länder aus: Indien, Südamerika, Afrika, Bangladesch, Thailand und auch China.

Auch die ethnische Herkunft der Testpersonen ist wichtig

Aber auch im Osten Europas würden inzwischen sehr viele Medikamente getestet, sagt Nicolaus Lorenz, der die internationale Zusammenarbeit des Tropeninstituts der Universität Basel leitet. Laut einer Untersuchung der Universität Hongkong fand zwischen 2005 und 2007 jede fünfte klinische Medikemantenstudie außerhalb Europas oder Nordamerikas statt.

Allerdings kann die westliche Pharmaindustrie nicht sämtliche Tests auslagern. "Die ethnische Herkunft des Patienten spielt bei einigen Medikamenten eine große Rolle", erklärt Lorenz. So wirkt etwa ein Herzmedikament bei Afrikanern anders als bei Europäern.

In den Internetforen indischer Zeitungen wird unterdessen heftig debattiert über die Todesfälle am AIIMS und die umstrittenen Versuche an offenbar nur mangelhaft informierten Menschen. In vielen Kommentaren werden vor allem die ungenügenden ethischen Standards in Indien kritisiert, die zu Missbräuchen führen würden.

Im Onlineforum der Times of India erinnerte ein User daran, dass die Kindersterblichkeit in Indien gemäß offizieller Statistik bei 3,2 Prozent liege - also deutlich höher als in der Testklinik in der Pädie des AIIMS. Die Frage ist nur, woran die Kinder starben, als sie von den besten Ärzten im Land behandelt wurden.

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