Indien:Warum fünf Millionen Frauen eine Menschenkette bilden

Indian women protest to protect renaissance values and gender equality, Kochi, India - 01 Jan 2019

Eine feministische Bewegung erfasst Indien. Quer durch den Bundesstaat Kerala zieht sich die Menschenkette.

(Foto: Prakash Elamakkara/REX/Shutterstock)

In Indien protestieren Frauen, weil sie einen Tempel nicht besuchen dürfen. Die Tradition besagt, Frauen "im Menstruationsalter" ist der Zugang verwehrt.

Von Arne Perras, Singapur

Es gibt jetzt diese Bilder und Videos von unzähligen indischen Frauen, die nebeneinander stehen, auf manchen sind auch Männer zu sehen. Sie bilden eine Kette des Protests, eine sehr lange Kette: Die Rede ist von mehr als 620 Kilometern quer durch den indischen Bundesstaat Kerala. Hunderttausende haben sich aufgereiht, mindestens - die Times of India schreibt gar von fünf Millionen Frauen.

Eine solche Massenbewegung von Feministinnen sei einzigartig in der Geschichte des Staates. Lange Menschenketten zum Zeichen des Protests gab es gerade in europäischen Ländern zwar immer wieder mal, auch in Deutschland, als in den Achtzigerjahren Bürger unter dem Banner der Friedensbewegung gegen die Stationierung von US-Raketen protestierten. Die "Women's Wall" aber ist beispiellos.

Die Frauen wurden bei der Organisation ihrer Aktion von der kommunistischen Regionalregierung unterstützt, die sich für Gleichberechtigung einsetzen will. Die Protestaktion entstand, weil viele Frauen sich diskriminiert fühlen. Sie wollen Zugang zu einem Hindu-Heiligtum erlangen, doch religiöse Hardliner versperren ihnen den Weg.

Der Staat mischt sich ein

Jahrhundertelang war der Tempel Sabarimala für weibliche Gläubige "im Menstruationsalter" ein verbotener Ort. Bereits im September hatte das indische Verfassungsgericht entschieden, dass Frauen nicht länger ausgeschlossen werden dürften; Richter Dipak Misra hatte die Entscheidung damit begründet, dass sowohl Frauen als auch Männer ein Recht auf Religion besitzen.

Seitdem gibt es heftigen Streit um den Schrein und das Urteil. Liberale Kreise begrüßen und feiern den Richterspruch, während konservative Gläubige und hindu-nationalistische Eiferer wütend protestieren. Zudem gab es Stimmen unter Intellektuellen, die kritisierten, der indische Staat dürfe sich nicht so massiv in religiöse Belange einmischen.

Mehrere konservative Hindu-Bewegungen legten Widerspruch ein, am 22. Januar soll es eine Anhörung geben. Jetzt, nach der großen Demonstration, könnte es mit dem Verbot allerdings endgültig vorbei sein. Nach den hinduistischen Regeln dürfen Frauen, die gerade ihre Periode haben, Tempel nicht betreten, zu anderer Zeit dagegen schon - in einigen wenigen Heiligtümern gibt es sogar ein generelles Zutrittsverbot für weibliche Gläubige "im Menstruationsalter", wie auch im Tempel Sabarimala.

Wird die Gottheit Ayyappan beleidigt?

Manche Hindus glauben, dass weiblicher Besuch im Tempel Sabarimala die Gottheit Ayyappan beleidigt. Der Gottheit ist der Wallfahrtsort in den Bergen der Westghats geweiht, den Jahr für Jahr Millionen Pilger besuchen. Um Ayyappan ranken sich viele Legenden: Er soll der Vereinigung Shivas mit Mohini entsprungen sein, der weiblichen Erscheinungsform Vishnus. Der Göttersohn hat dann angeblich einen weiblichen Dämon bezwungen.

In einer anderen Geschichte verteidigte Ayyappan sein Königreich gegen einen arabischen Eindringling. Angeblich legte der Prinz anschließend ein Gelübde ab, allen weltlichen Verführungen zu entsagen, was der Grund war, warum Frauen keinen Zutritt ins Innere des Tempels bekommen sollten.

Mythen leben lange. In Indien setzt sich langsam die Erkenntnis durch, dass diese Legenden oft als Vorwand missbraucht werden, um Privilegien der Männer zu schützen. Gerade Tempelverbote gelten als Symptome einer patriarchalischen Gesellschaftsordnung.

Dieser Ordnung wollen sich viele Frauen nicht mehr unterwerfen. Zwei Aktivistinnen sollen dann auch in der Nacht zu Mittwoch bis ins Innere des Tempels gelangt sein - unter Polizeischutz, wie es heißt.

Zur SZ-Startseite
Nina Straßner

SZ PlusFamilie und Beruf
:Job oder Familie?

"Man soll gefälligst arbeiten, als hätte man keine Kinder - und Kinder haben, als hätte man keine Arbeit", kritisiert die Anwältin Nina Straßner. Sie kämpft für die Rechte von Frauen und Männern, die beides vereinbaren wollen.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: