Süddeutsche Zeitung

Indien:Proteste nach Tempelbesuch zweier Frauen

Lesezeit: 2 min

Seit Wochen gibt es in Indien Streit um den Zutritt von Frauen zu einer für Hindus heiligen Stätte. Es hat sich eine große Protestbewegung formiert, die Frauen (und einige Männer) bildeten vor einigen Tagen sogar eine riesige Menschenkette, 620 Kilometer quer durch den Bundesstaat Kerala im Südwesten des Landes, als Zeichen gegen Diskriminierung. Zwei Frauen wagten es, einen Tempel zu betreten, obwohl ihnen das nach streng ausgelegtem Hindu-Glauben verboten ist.

Als Reaktion darauf gab es am Donnerstag heftige Proteste in mehreren Städten von Kerala, bei denen mindestens ein Mensch getötet wurde. Er kam durch Steinwürfe von Demonstranten ums Leben. Vor dem Parlament in Keralas Hauptstadt Thiruvananthapuram lieferten sich gegnerische Gruppierungen gewalttätige Auseinandersetzungen. Die Polizei setzte Tränengas, Wasserwerfer und Blendgranaten gegen die Demonstranten ein. Auch in anderen Städten gab es Proteste. Insgesamt wurden dabei etwa 100 Menschen verletzt, darunter 38 Polizisten, wie die Zeitung Hindustan Times am Donnerstag berichtete.

Im gesamten Bundesstaat blieben am Donnerstag auch Schulen und Märkte geschlossen, und der öffentliche Verkehr wurde gestoppt. Die Regierung setzte zusätzliche Sicherheitskräfte ein, um weitere Gewalt zu verhindern. Zu den Kundgebungen hatte die hinduistisch-nationalistische Bharatiya-Janata-Partei (BJP) aufgerufen, der auch Narendra Modi angehört, der Regierungschef des indischen Zentralstaates. Für Freitag hat sie weitere Protestaktionen angekündigt.

Im Zentrum des Streits steht der Sabarimala-Tempel, er ist der Gottheit Ayyappan geweiht und einer der wichtigsten Wallfahrtsorte der Hindus. Religiöse Hardliner verweigern Frauen "im Menstruationsalter" noch immer den Zutritt, obwohl das indische Verfassungsgericht bereits im September entschieden hat, dass Frauen von einem Besuch nicht länger ausgeschlossen werden dürfen.

Die beiden Frauen, die sich am Mittwoch Zutritt zu dem Tempel verschafften und damit das jahrhundertealte Verbot umgingen, betraten unter Polizeischutz kurz vor Sonnenaufgang heimlich das Gebäude. Es gelang ihnen, an der Masse extremistischer Hindus vorbeizukommen, die seit Wochen den Sabarimala-Tempel in eine Festung verwandelt hatten. Die beiden Frauen werden inzwischen zu ihrem eigenen Schutz versteckt gehalten.

Nur wenige religöse Stätten legen die Regeln noch streng aus

Die radikalhinduistischen Demonstranten beschuldigen die Regierung von Kerala, den beiden Frauen beim Betreten des Sabarimala-Tempels geholfen zu haben. Nach streng ausgelegtem hinduistischen Glauben dürfen Frauen im gebärfähigen Alter den Sabarimala-Tempel nicht betreten, weil die dort verehrte Gottheit unverheiratet ist und daher von Besucherinnen "verführt" werden könnte. Es gibt jedoch nur noch wenige religiöse Stätten in Indien, die solcherart Regeln derart streng auslegen. In den meisten Tempeln sind Frauen erlaubt, jedenfalls dann, wenn sie nicht gerade ihre Periode haben.

Die derzeitigen Proteste sind der vorläufige Höhepunkt einer Entwicklung, die bereits seit einigen Monaten Indien in Atem hält. Seit der Verfassungsgerichtsentscheidung im September gab es immer wieder Zusammenstöße zwischen radikalen Hindu-Aktivisten und progressiven Kräften. Frauenaktivistinnen versuchten immer wieder vergeblich, zu dem auf einem Berg gelegenen Tempel zu gelangen. Sie wurden jedoch stets von Hindu-Traditionalisten abgehalten. Dabei kam es bereits im Oktober zu gewaltsamen Zusammenstößen mit der Polizei, mehr als 2000 Menschen waren dabei festgenommen worden.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4273441
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ.de/epd/AFP/olkl
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.