Indien:Die Suche hat ein Ende

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Die tote Tigerin wird in Nagpur in die Pathologie gebracht. (Foto: AFP)

Ein Scharfschütze erlegt nach zwei Jahren der Flucht die Tigerin, die 13 Menschen getötet hat. Während die Bauern in der Provinz den Abschuss feiern, demonstrieren Tierschützer dagegen. Es war Notwehr, sagt der Jäger.

Von Arne Perras, Singapur

Er schoss in Notwehr, sagt Ashgar Ali Khan. Er habe die Tigerin nicht töten wollen. Doch so, wie er den Fall schildert, hatte der Suchtrupp keine große Wahl in jener Nacht, als T-1 starb. So hieß Indiens bekannteste Tigerin, überall hatte man von ihr gehört, weil sie 13 Menschen getötet haben soll. Eigentlich hatten die Wildhüter versucht, die Raubkatze mit einem Pfeil zu betäuben, den schoss ein Experte auch ab, als der Suchtrupp das Tier kurz vor Mitternacht nahe genug gekommen war. Aber dann habe die Raubkatze angegriffen. Und Khan, der Scharfschütze, feuerte aus sechs Meter Entfernung, mit scharfer Munition.

So ging das Drama um die Tigerin T-1 in Maharashtra zu Ende, über deren Schicksal die Inder monatelang heftig gestritten hatten. Tierschützer demonstrierten, um ihr das Leben zu retten, Bauern in den Dörfern forderten seit 2017, dass das Tier erlegt werden müsse, weil sich niemand in der Region Yavatmal mehr sicher fühlen konnte.

Nach dem Tod der Tigerin ist der Job der Suchtrupps aber noch nicht abgeschlossen, denn die Tigermutter hatte Anfang des Jahres zwei Junge bekommen, sie sind nun beinahe ausgewachsen. Bei der nächtlichen Begegnung nahe des Dorfes Borati fehlte von den Jungtieren jede Spur. "Wir können nicht sagen, dass unsere Mission schon erfüllt ist", sagt der Forstbeamte Virendra Tiwari der Hindustan Times. "Wir müssen uns um die Jungtiere kümmern. Sie können nicht in der Wildnis bleiben". Der Plan lautet, sie zu betäuben und in einen Zoo zu bringen. Dies müsse aber rasch gelingen, weil sie noch nicht ganz selbständig sind und mutterlos umherstreifen.

Eine so aufwendige Suche nach einer Raubkatzenfamilie hat Indien noch nicht erlebt, neben mehreren Elefanten waren Hunderte Helfer im Einsatz, sie legten Köder aus und durchkämmten wochenlang Felder und Wälder. Ein motorisierter Drachen und Drohnen kamen bei der Aufklärung zum Einsatz. In ihrer Not hatten Wildhüter sogar Parfum in den Wald gebracht. Angeblich stehen Raubkatzen auf "Obsession for Men" von Calvin Klein, was im Falle von T-1 aber auch nicht weiterhalf.

Als die Nachricht von der erlegten Tigerin in den Dörfern die Runde machte, war die Erleichterung groß. Bauern und Hirten fühlten sich seit Monaten durch das Tier terrorisiert, jeder Weg aufs Feld schien ihnen lebensgefährlich. Am Wochenende zündeten Bewohner Kracher und verteilten Bonbons zur Feier des Tages. Doch das Schicksal von T-1 war auch ein Fall, der viele Tierschützer mobilisierte. Eine Petition mit mehr als 50 000 Unterschriften hatte gefordert, das Tier zu schonen und weiter eine Betäubung zu versuchen, damit die Mutter und auch ihre beiden Jungen überleben könnten. Ashok Misra von der Wildschutzbehörde sagte der Süddeutschen Zeitung im Sommer, dass es den Zielen des langfristigen Artenschutzes eher schade, wenn nichts gegen einzelne Tiere, die Menschen anfallen, unternommen werde. Man könne die Zukunft einer so stark bedrohten Art wie dem Tiger nur sichern, wenn der Staat das Wohlwollen der Leute für dessen Schutz hat. Eine einzelne Raubkatze, die wie T-1 mehr als ein Dutzend Menschen tötet, müsse ausgeschaltet werden, weil die Leute ansonsten den Naturschutz generell infrage stellen würden. Schließlich ist der Staat auch per Verfassung verpflichtet, seine Bürger zu beschützen.

Die Geschichte von T-1, die nun ihr Ende genommen hat, ist symptomatisch für die Probleme im Zusammenleben zwischen Tigern und Menschen in Indien. Die Zahl der streng geschützten Raubkatzen steigt wieder an, und darüber sind viele froh. Dem Staat gelingt es, die Wilderei einzudämmen. 1706 Tiger wurden 2010 gezählt, vier Jahre später waren es schon 2226, Experten schätzen, dass es Ende 2018 mehr als 3000 sein könnten. Gleichzeitig aber schrumpft der Lebensraum, Wälder weichen für Siedlungen, Straßen, Minen, Kraftwerke und Kanäle, der Dschungel wird fragmentiert, junge Tiger, die neue Reviere suchen, tun dies häufig außerhalb von Schutzgebieten und kommen so den Dörfern sehr nahe. T-1 lebte in einem Terrain aus Wäldern, Baumwollfeldern und Siedlungen. Weil es dort eher wenige Hirsche, Rehe und Schweine gibt, wie sie Tiger normalerweise jagen, riss die Katze zunehmend Kühe. Weil die Hirten ihr Vieh oft zum Grasen in den Wald treiben, steigt das Risiko, dass sich Tiger und Menschen begegnen.

Im Falle der Tigerin T-1 war bis zuletzt unklar, ob sie Menschen anfiel, weil sie sich bedroht fühlte, weil sie ihnen zufällig begegnete, oder ob das Tier vielleicht doch sehr gezielt, wie es für so genannte "Menschenfresser" typisch ist, Menschen als Beute suchte. Sicher ist, dass kein anderes Lebewesen für Tiger so leicht zu fassen ist, wie ein Mensch. Doch solange die Raubkatzen Raum haben und genügend Beute im Wald finden, hat der Mensch wenig zu fürchten.

© SZ vom 05.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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