Süddeutsche Zeitung

Indien:Der Guru und seine zornigen Anhänger

  • Der wegen Vergewaltigung zweier Anhängerinnen verurteilte indische Guru Gurmeet Ram Rahim Singh muss für 20 Jahre ins Gefängnis.
  • Mehr als 100 000 Anhänger des exzentrischen 50-Jährigen waren zu der Urteilsverkündung in den Ort Panchkula gekommen und randalierten anschließend.
  • Dabei kamen dort 32 Menschen ums Leben, sechs weitere starben in Sirsa, wo die Sekte von Ram Rahim beheimatet ist.

Von Arne Perras, Singapur

Er ist einer der bekanntesten spirituellen Führer Indiens: Guru Ram Rahim Singh, der nun wegen der Vergewaltigung zweier Frauen in Haft muss. Am Freitag befand ihn ein Gericht für schuldig. An diesem Montag wurde Strafmaß verkündet. Für 20 Jahre schicken die Richter den 50-Jährigen ins Gefängnis.

In Sirsa, wo sich der Ashram des Gurus befindet, galt deshalb eine Ausgangssperre. Die Behörden versuchten zudem zu verhindern, dass Anhänger in die Stadt Rohtak gelangten. Dorthin war der Guru nach der Urteilsverkündung per Hubschrauber gebracht worden. Bus- und Bahnverbindungen in die Stadt wurden unterbrochen, alle ankommenden Autos durchsucht. In einigen Gebieten ließen die Behörden das mobile Internet abschalten. Die Polizei hat die Erlaubnis, bei Unruhen scharf zu schießen.

Nicht ohne Grund: Ram Rahim hatte seine Anhänger schon vor der Sitzung am Freitag aufgefordert, ruhig zu bleiben und nach Hause zu gehen. Zehntausende Pilger waren aus ganz Indien zur Urteilsverkündung angereist. Doch der Aufruf verhallte: Bereits kurz nach dem Urteil entlud sich der Zorn vor dem Gerichtsgebäude, Bilder indischer Fernsehsender zeigten brennende Fahrzeuge und Rauchsäulen, die in den Straßen aufsteigen, leblose Körper lagen am Boden.

"Es herrscht totales Chaos", kommentierte ein Reporter des Senders Times Now die Szenen aus der Kampfzone, kurz nach dem Schuldspruch gegen den beliebten Guru. Später spitzte sich die Lage weiter zu, als die Gewalt sogar bis nach Delhi übergriff. Auch zwei Bahnhöfe im Bundesstaat Punjab wurden in Brand gesetzt. Indische Medien sprechen von insgesamt 38 Toten. Mindestens 250 Menschen wurden verletzt, wie ein Regierungsbeamter in Panchkula bestätigte.

Der fünfzigjährige Ram Rahim ist Chef der indischen Sekte "Dera Sacha Sauda", was so viel heißt wie "Ort der Wahrheit". Diese spirituelle Vereinigung behauptet, dass sie 60 Millionen Anhänger weltweit um sich geschart habe und auf allen Kontinenten Zulauf finde. Ram Rahim, ein kräftiger Mann mit dichtem, wallenden schwarzen Bart und lebhaften Augen, hat einen beachtlichen Aufstieg hinter sich.

Er liebt teure und extravagante Kleidung, zum Beispiel bunt gestreifte Pluderhosen und Hemden, die über und über mit Schmucksteinen und Perlen bestickt sind. Und er verfügt über ein beachtliches Talent, sich zu vermarkten. Er prangt auf Plakaten als "Messenger of God" (der Titel seines ersten Films), der auf heißen Feuerstühlen durch die Welt rast. Die Popularität des Gurus war mit dem Einstieg ins Filmgeschäft noch erheblich gewachsen, er avancierte zum beliebten Leinwandhelden.

Seine Jünger vergöttern ihn, manche fallen in Ohnmacht, wenn sie ihn nur sehen

Meistens durften ihn die Zuschauer dabei in der Rolle eines unerschrockenen Einzelkämpfers und Superhelden bestaunen, der mit allen Lastern und Schurken dieser Welt aufräumt. Selbst vor Aliens schreckte der 50-Jährige im Film nicht zurück. Neben seiner Rolle als Schauspieler führt sein Twitter-Account noch jede Menge andere Tätigkeiten auf. Dort präsentiert er sich als spiritueller Heiliger, vielseitiger Sänger, Allrounder, Sportler, Regisseur, Schriftsteller, Kunstdirektor und Lyriker.

Allein in seinem zweiten Film, Messenger of God 2, übernahm er 43 Rollen und Aufgaben bei der Produktion. Auch als Sänger hat er durchschlagenden Erfolg, er sieht sich als Künstler des Genres "religiöser Rock", sein jüngstes Album Highway Love Charger verkaufte sich innerhalb von drei Tagen drei Millionen Mal. Dass er ein gewiefter Geschäftsmann ist, zeigt sich auch daran, dass er sein Image nutzt, um diverse Nahrungsmittel und Gesundheitsprodukte wie Shampoos, Seifen und Gebäck zu vertreiben. Seine Jünger vergöttern ihn, manche werden schon ohnmächtig, wenn sie den Guru nur sehen.

Doch Ram ist eine sehr umstrittene Persönlichkeit. Die Justiz interessiert sich schon länger für ihn, nicht nur wegen der beiden Vergewaltigungsfälle aus dem Jahr 2002, für die er nun verurteilt wurde. In indischen Medien ist immer wieder von seiner "dunklen Seite" die Rede, was auch mit dem mysteriösen Fall eines ermordeten Journalisten zu tun haben dürfte. Der Reporter war Vorwürfen nachgegangen, dass Ram Rahim angeblich 400 Anhänger dazu drängte, sich kastrieren zu lassen. Das Verfahren in diesem Fall läuft noch. Angeblich soll der Guru seinen Jüngern versprochen haben, dass sie auf diesem Wege Gott näherkommen könnten.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.3640799
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 26.08.2017/ick
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.