Indien:Cup Horn

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Der Stierkampf Jallikattu gilt als uraltes tamilisches Brauchtum. (Foto: Arun Sankar K./AP)

Zehntausende Tamilen gehen gegen ein Stierkampf-Verbot des obersten indischen Gerichts auf die Straße. Der Streit um den Jallikattu schwelt schon seit vielen Jahren.

Von Arne Perras, Singapur

Was macht man mit einem Bullen, der nicht wild durch die Arena rasen will? Was tun, wenn das Tier keine Lust hat, seinen Kopf samt Hörnern hin und her zu werfen, während einige lästige Menschlein versuchen, sich an ihm festzuklammern? Beim Spektakel Jallikattu im Süden Indiens sehen es die Zuschauer schon gerne, wenn die Bullen ungestüm sind. Je wilder der Stier, umso großartiger erscheint sein Bezwinger. Also muss der Bulle den Wilden geben. Und wenn er das nicht kann, wird ihm etwas nachgeholfen. Das aber gehe gar nicht, sagen die Tierschützer. So hatte der Streit um Jallikattu schon vor vielen Jahren begonnen. Und in diesen Tagen kocht er wieder hoch.

Nun will bei der indischen Variante des Stierkampfes niemand das Tier töten, mit der spanischen "Corrida" hat das Spektakel wenig zu tun. Es sind keine Waffen im Spiel, nur die Muskelkraft von tollkühnen bis lebensmüden Burschen, die sich als so genannte "Bullenzähmer" aufs Rind stürzen. Ziel ist es, das Tier etwa 20 Meter weit oder mindestens drei Sprünge lang zu umarmen. Stress ist bei der abenteuerlichen Knuddelei natürlich immer im Spiel, für Tier wie Mensch. Und wenn der Bulle aus seiner Box nicht herauswill, dann hat man ihm früher schon mal Beine gemacht. Manche bekamen Chili in die Augen gerieben, andere Alkohol eingeflößt. Besonders phlegmatische Tiere sollen sogar mit Elektroschocks traktiert worden sein. Tierschützer deckten den Missbrauch auf, so dass Indiens oberstes Gericht 2014 ein Verbot von Jallikattu verhängte. Tagelange Massenproteste haben nun den Streit erneut angeheizt. Anhänger von Jallikattu wollen mit ihren Demos erzwingen, dass die Bullen wieder losgelassen werden.

Die Regionalregierung gab dem Druck der Straße nach und erließ eine trickreiche Verordnung, mit der sie vorübergehend das Gerichtsverbot umgehen konnte. Prompt organisierten einige Orte am Sonntag ihre Stierkämpfe. Aber der Neustart von Jallikattu war blutig. Zwei Männer starben beim Versuch, sich auf einen Bullen zu werfen. Doch auch diese traurigen Nachrichten beendeten den Streit nicht. Die Anhänger von Jallikattu wollen das Verbot aus Delhi komplett und für immer aushebeln. "Es ist unser Recht zu feiern", erklärt der Aktivist Dhivya Balachandar, der eine ganze Woche lang an der Seite von Zehntausenden Tamilen demonstriert hatte.

Einerseits nähren ökonomische Interessen die Wut über das Verbot: Jallikattu lockt die Massen und spült Geld in die Kassen von Kommunen, Landwirten und Händlern. Bauern päppeln Stierkälbchen hoch, damit sie als wilde Bullen später Geld bringen. Stiere, die unbezwingbar bleiben, werden mit Preisen belohnt. Noch mehr geht es beim Protest aber um das kulturelle Selbstverständnis in einer Region, die sich oft von Delhi bevormundet oder benachteiligt fühlt. Die Anhänger von Jallikattu sagen, das Verbot sei Verrat an der tamilischen Kultur. Dass die internationale Tierschutzorganisation Peta einst den Verbotsantrag stellte, wird als Einmischung von Außen gesehen. Die Befürworter von Jallikattu beharren darauf, dass Grausamkeiten nur selten vorgekommen seien und man deshalb nicht alle Feste verbieten könne. Der Protest kratze am tamilischen Stolz, sagt Balachandar. Gut möglich, dass er deshalb Menschen aus allen sozialen Schichten mobilisiert: Studenten, Bauern, IT-Ingenieure, Künstler, alle wehren sich, dass ein Gericht im fernen Delhi vorschreibt, wie sie ihr tamilisches Brauchtum pflegen.

Jallikattu dürfte schon Tausende Jahre alt sein. Entwickelt haben sich unterschiedliche Formen. Mal stürzen sich Dutzende Männer auf einmal auf den Stier, mal sind es einzelne Burschen, die hintereinander versuchen, das Tier am Rücken, Hals oder den Hörnern festzuhalten. Einst war die Belohnung in Form von Münzen (Jalli) in kleinen Päckchen (Kattu) am Kopf des Stiers befestigt, was den Namen erklärt. Im Laufe der Jahrhunderte entwickelte sich der Brauch aber immer mehr zum lärmenden Massenfest. Viele Inder sind beim Jallikattu schon gestorben. Allein in den vier Jahren vor dem Verbot registrierten die Behörden 17 Tote, mehr als tausend Menschen wurden verletzt.

© SZ vom 23.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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