Indien:Bestialische Gewalt gegen Frauen

Indien: Indien hat trotz aller Debatten und Gesetzesänderungen noch keinen Weg gefunden, um Frauen vor exzessiver Gewalt zu beschützen.

Indien hat trotz aller Debatten und Gesetzesänderungen noch keinen Weg gefunden, um Frauen vor exzessiver Gewalt zu beschützen.

(Foto: AP)

Zwei Frauen werden im indischen Staat Jharkhand vergewaltigt und angezündet - innerhalb weniger Stunden. Erst ein paar Tage zuvor hatte der Premierminister die Strafen für Sexualdelikte per Dekret verschärft.

Von Arne Perras, Singapur

Eines der Mädchen starb, als die Täter sein Haus in Brand setzten, das andere kämpft mit Verbrennungen um sein Leben, nachdem es von einem Mann vergewaltigt, mit Benzin übergossen und angezündet worden war. Das alles geschah innerhalb weniger Stunden im indischen Staat Jharkhand. Viele Gewalttaten gegen Frauen kommen auf dem Subkontinent gar nie ans Licht, doch die beiden Feuerattacken vom Freitag waren dann doch zu bestialisch, um sie zu vertuschen.

Die Polizei fand bislang keine Hinweise darauf, dass die beiden Fälle zusammenhängen könnten. Was sie verbindet, ist allein die maßlose Brutalität. Und die Inder fühlen sich ein weiteres Mal daran erinnert, dass ihr Staat trotz aller Debatten und Gesetzesänderungen noch keinen Weg gefunden hat, um Frauen vor exzessiver Gewalt, Verfolgung und Mord zu beschützen. Besonders gefährdet sind jene, die den unteren Schichten angehören oder in Gegenden leben, in denen Indiens Gesetze immer noch weniger wiegen als archaisch anmutende Reflexe einer verkrusteten patriarchalischen Gesellschaft.

Dann traf der Dorfrat eine Entscheidung, die den Konflikt anheizte

Im ersten Fall waren die Eltern am Abend des 3. Mai fortgegangen zu einer Hochzeit. Niemand konnte der 16-jährigen Frau im Dorf Raja Kundra helfen, als mehrere betrunkene Männer sie aus ihrem Zuhause entführten, in einen Wald zerrten und vergewaltigten. Am Morgen danach, als die Tochter der Familie von dem Verbrechen erzählte, brachten die Eltern den Fall vor den traditionellen Dorfrat, Panchayat genannt. Diese Versammlungen alter Männer in dörflichen Gemeinden haben zwar formal betrachtet im indischen Staat keine gerichtliche Entscheidungsgewalt, sie sind aber in vielen Gegenden immer noch eine maßgebende Instanz, wenn es zu Streitigkeiten kommt. Aufgeklärte Inder halten sie für ein Relikt, das oft die Unterdrückung der Frauen zementiert. Doch Proteste liberaler Kreise haben das Gewicht solcher Dorfräte bislang nicht aushebeln können. Denn die Kritiker demonstrieren und formieren sich meist in den Städten, während die Gesetze auf dem Land die alten bleiben.

Im Falle der vergewaltigten 16-Jährigen traf der Dorfrat eine Entscheidung, die den Konflikt weiter anheizte. Die Hauptverdächtigen sollten nach dem Beschluss der Älteren eine Strafe von 750 Dollar zahlen und dazu 100 Sit-ups machen. Die mutmaßlichen Täter waren darüber jedoch so erbost, dass sie die Eltern attackierten und verprügelten und schließlich das Mädchen im Innern des Hauses verbrannten.

Inzwischen hat die Polizei mindestens 18 Verdächtige im Dorf Raja Kundra festgenommen, kein Verantwortlicher werde geschont, versprachen die Ermittler nach dem Tod der 16-Jährigen.

Erst vor ein paar Tagen waren die Strafen für Sexualdelikte verschärft worden

Kaum hatte die Nation von diesem Verbrechen erfahren, gab es Meldungen über eine weitere grausame Brandattacke in Jharkhand. Die Polizei berichtete, dass ein junger Mann einer Frau aufgelauert hatte, sie vergewaltigte und danach mit Benzin übergoss. Das 17-jährige Opfer liegt seither mit schweren Verbrennungen im Krankenhaus. "Aber sie ist ansprechbar und antwortet auf Fragen", erklärte eine Ermittlerin. Der Verdächtige, der festgenommen wurde, sagte aus, er habe ein Verhältnis mit dem Mädchen gehabt, angeblich wollte er sie heiraten, was sie aber abgelehnt habe. Der mutmaßliche Täter bestritt, sie überfallen und angezündet zu haben.

Erst vor wenigen Tagen hatte Premierminister Narendra Modi die Strafen für Sexualdelikte per Dekret verschärft, Vergewaltigern von Mädchen unter zwölf Jahren droht demnach künftig die Todesstrafe. Kritiker mahnen, dass solche Schritte aber nicht die Ursachen der Gewalt beheben könnten, die vor allem in der sozialen Benachteiligung und Unterdrückung von Mädchen und Frauen zu suchen seien.

Richter am Verfassungsgericht zeigten sich am 1. Mai geschockt von der hohen Zahl stockender Gerichtsverfahren, die sexuelle Verbrechen an Kindern ahnden sollen. Allein im dicht bevölkerten Bundesstaat Uttar Pradesh gibt es demnach mehr als 30 000 Fälle, die nicht aufgearbeitet sind. "So genießen die Täter Straffreiheit", klagt die indische Politologin Deepti Mehrotra. Die Verfassungsrichter ordneten inzwischen die Schaffung von Sondergerichten an, um den Stau aufzulösen und Gerechtigkeit zu üben.

Das Verfassungsgericht ordnete außerdem an, dass der Prozess gegen die mutmaßlichen Vergewaltiger und Mörder eines achtjährigen muslimischen Mädchens in Kaschmir in einen anderen Staat verlegt werden muss. Die Beschuldigten in diesem Fall sind Hindus, und der qualvolle Tod des Nomadenmädchens hatte im April ganz Indien aufgewühlt, nachdem bekannt geworden war, dass eine Gruppe von Anwälten und einflussreichen Politikern versuchte, die Ermittlungen gegen die Verdächtigen zu blockieren.

Der Anwalt der Opferfamilie reagierte erleichtert auf die Entscheidung der obersten Justiz. Zumindest steigen nun die Chancen, dass die Männer nicht straflos davonkommen.

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