Immendorff-Prozess:"Einen anderen Beruf haben Sie nicht? Einen erlernten. Außer Maler?"

Beim Prozess um wilde Nächte mit Kokain und Prostituierten ist zeitweise nicht der Maler Jörg Immendorff, sondern der Richter die Hauptperson.

Von Michael Kläsgen

Der Richter muss es wohl ironisch gemeint haben. "Dann wollen wir mal anfangen, indem wir uns der Hauptperson zuwenden", sagt er, nachdem das Blitzlichtgewitter über den prominenten Angeklagten hinweggezogen ist. Die Hauptperson, stellt sich im Laufe dieses ersten Prozesstags heraus, ist allerdings weniger der Maler Jörg Immendorff als der Vorsitzende Richter Jochen Schuster selber, der unablässig die Lippen schürzt und verzieht und wechselweise seine Hände vor sich faltet oder an den Mund führt.

Immendorf (dpa)

Der Maler und Kunstprofessor Jörg Immendorff ging von seinem Verteidiger Rüdiger Spormann gestützt in den Gerichtssaal.

(Foto: Foto: dpa)

Dass vor ihm als Angeklagter einer der bedeutendsten deutschen Maler sitzt, scheint er immerhin zu ahnen. "Ich hoffe, Sie nehmen es mir nicht übel, dass ich Ihre Kunstwerke nicht kenne", sagt er. "Ich kenne Herrn Beuys, und manche seiner Werke gefallen mir sogar." Herrn Immendorff lernt der Richter Schuster dann bei der Aufnahme der Personalien kennen. "Vorname?" - "Jörg", sagt Immendorff mit belegter Stimme. "Wie bitte?" - "Jörg." "Nur Jörg?" - "Jörg Dietrich." "Keine weiteren Vornamen?"- "Nein." "Was sind Sie von Beruf?" - "Kunstprofessor und", kurze Pause, "Maler." "Einen anderen Beruf haben Sie nicht? Einen erlernten. Außer Maler? "

Zwölf Gramm Koks und neun Prostituierte

Spätestens jetzt zeichnet sich ab, dass da im Gerichtssaal K 1 des Düsseldorfer Landgerichts zwei unvereinbare Welten aufeinander prallen werden: die Welt des kranken Künstlers, der kokst, sich Callgirls aufs Hotelzimmer bestellt, mit ihnen trinkt und Pornofilme schaut, und die geordnete Welt eines Richters, dem das Wort "Prostituierte" in einem Fall ein Stottern verursacht.

"Einen anderen Beruf haben Sie nicht? Einen erlernten. Außer Maler?"

Jörg Immendorff, 59, war im August vergangenen Jahres in einer Suite des noblen Düsseldorfer Parkhotels mit zwölf Gramm Kokain und neun Prostituierten erwischt worden. Nun ist er angeklagt, in diesem Hotel insgesamt 27 Mal im Besitz von "nicht geringen Mengen" Kokain gewesen zu sein und es im Beisein von Damen konsumiert zu haben.

Außerdem soll er das Zeug, wenn schon nicht explizit angeboten, so doch zur Verfügung gestellt haben. Die Affäre hat ihn vorläufig seine Professur an der Düsseldorfer Kunstakademie gekostet, er wurde vom nordrhein-westfälischen Wissenschaftsministerium vom Amt suspendiert. Erhält er die Mindeststrafe von einem Jahr Haft für Drogenbesitz, dann verliert er den Beamtenstatus endgültig.

"Ich muss mich inzwischen als Krüppel sehen"

Im Prozess macht der Angeklagte keine Umstände und legt gleich zu Beginn ein umfassendes Geständnis ab. Sein Anwalt verliest es, er selber fühlt sich zu schwach dazu. Als Immendorff später kurz redet, ist weithin sein schwerer Atem hörbar. Er leidet seit sechs Jahren unter einer seltenen Krankheit, der Amyotrophen Lateralsklerose, die eine Muskellähmung zu Folge hat und in der Regel tödlich verläuft, wie ein Gutachter dem Gericht bestätigt.

"Einen anderen Beruf haben Sie nicht? Einen erlernten. Außer Maler?"

Als Immendorff am Morgen im schwarzen Anzug den Gerichtssaal betritt, stützt ihn sein Anwalt, sein linker Arm ist fast bewegungslos. "Ich muss mich inzwischen als Krüppel sehen", sagt er später im Gerichtssaal. "Es bereitet mir Qualen, dass das Ganze nun an die Öffentlichkeit gezerrt wird." Immendorff erkennt, wie er sagt, die Endlichkeit seiner Existenz und verspürt gleichzeitig "diese Lebensgier".

Deswegen die Drogen und die Prostituierten. Sie hätten ihm geholfen, die Krankheit kurz zu verdrängen. "Ich hatte eine extreme Angst, die sporadisch aufbrach und die ich versuchte, in den Griff zu kriegen." Ihn plagte die Horrorvision, nicht mehr malen zu können.

Lebensweisheiten vom Vorsitzenden, Kichern von den Beisitzern

Doch der Richter zeigt keine Gnade. "Sie sagten ,Lebensgier'", fällt er dem Angeklagten ins Wort. "Das ist so ein Spruch. Ich möchte sagen, dass jeder lebensgierig ist." Ansonsten lässt sich Richter Schuster auf Immendorffs Argumentation kaum ein. Als der ihm erklärt, seine Frau habe von den Exzessen nichts gewusst, fährt er dazwischen: "Aha, die hat nichts gewusst. Das ist natürlich nur Ihre Meinung. Die behalten Sie besser für sich. Damit kann man besser leben. Frauen wissen meist mehr, als man ahnt."

Der Jurist geizt nicht mit Lebensweisheiten. Er meint, dass Prostituierte gewöhnlich drogensüchtig seien und dass man sich an alles erinnere, was man erstmals tut. Aber Immendorff gibt keine Antwort auf die Frage, wann er das erste Mal Kokain gekauft hat.

Akribisch wird der Maler auch gefragt, wie er die Orgien im Hotel, bei denen es nie zum Geschlechtsverkehr kam, arrangierte. Auch über sexuelle Vorlieben soll er Auskunft geben. "Betrachten Sie sich als normal sexuell veranlagt? Ich weiß ,normal' ist ein breites Spektrum. Manche sind homosexuell veranlagt", sagt der Richter. Immendorff kann ihn beruhigen, er hält sich für "normal". "Das hatte ich mir bei neun Prostituierten auch gedacht", sagt der Mann in der Robe. Seine Beisitzer kichern.

Unnachgiebige Fragen

Zu einem Wortgefecht kommt es, als sich der Richter unnachgiebig für die Besitzverhältnisse des Angeklagten interessiert. "Und, an der Steuer vorbei mal ein Bild verkauft?", fragt er. Immendorffs Anwalt greift ein: Sein Mandant habe nie Steuern hinterzogen, im Übrigen stehe ein solches Delikt hier nicht zur Debatte. Der Künstler, der bislang die Ruhe bewahrte, rutscht nun auf seinem Stuhl hin und her. "Ich habe auch nicht ernsthaft erwartet, dass er mir sagt, das und das habe ich schwarz verkauft." Richter Schuster behält immer das letzte Wort.

"Und das Barvermögen? Wie hoch würden Sie das einschätzen?" Immendorff hatte, als er im Hotel ertappt wurde, mehrere tausend Euro bei sich. "Sehen Sie mir nach, dass ich darüber vor der Presse keine Auskunft geben möchte", sagt er jetzt. "Ich bin bereits zweimal bestohlen worden, nachdem bekannt geworden war, dass ich Bargeld zu Hause habe." Erstmals zeigt der Richter Verständnis.

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