Süddeutsche Zeitung

Imagefilm für Ulm:Verstörende Vielfalt

  • Die Stadt Ulm wird für ihren neuen Imagefilm kritisiert
  • Ein Neonazi trifft darin im Krankenhaus auf einen betenden Muslim.
  • Der Filmemacher fühlt sich missverstanden und sieht in seinem Video einen "Aufruf zur Menschlichkeit"

Von Claudia Henzler, Stuttgart

Der neue Kampagnenfilm der Stadt Ulm ist prominent ganz oben auf der Homepage der Stadt platziert. Mit gefühlvoller Musik unterlegt, zeigt er, wie sich Menschen unterschiedlicher Herkunft und Milieus begegnen: eine alte Frau mit Rollator, die in einem Mülleimer nach Flaschen sucht und mit einem prominenten Basketballspieler ins Gespräch kommt. Ein junger Mann mit Downsyndrom, der Oberbürgermeister Gunter Czisch (CDU) im Schach besiegt - und ein betender Muslim, der als Arzt in einem Krankenhaus die kleine Tochter eines Neonazis behandelt. All das wird mit vielen Schnitten und Großaufnahmen wenig subtil präsentiert.

Der Neonazi ist nicht nur blond und streng gescheitelt. Auch trägt er im Nacken ein Tattoo, damit die Zuschauerinnen und Zuschauer wissen, mit welcher Gesinnung sie es zu tun haben: Es ist die sogenannte Schwarze Sonne, die in der rechtsextremen Szene gerne als Ersatz für das verbotene Hakenkreuz verwendet wird. Der Mann sitzt bangend am Bett des kranken Kindes und zeigt kein Verlangen, den Mediziner mit Migrationshintergrund verprügeln zu wollen, im Gegenteil. Er blickt dankbar, während der Doktor seine Arbeit tut und zieht am Ende mit der gesunden Tochter an der Hand von dannen.

Dieser Erzählstrang löste bei einigen Zuschauern Irritationen aus. Kaum war das Video mit dem Titel "Ulm - wir sind alle Vielfalt" Ende vergangener Woche online gegangen, folgten kritische Kommentare. "Was genau soll denn jetzt die Botschaft sein?", schrieb ein Facebooknutzer. "Dass Nazis Teil unserer Stadt sind? Dass Nazis ein Herz für Kinder haben? Dass Nazis die gleichen Probleme haben wie normale Menschen? Ich verstehe es einfach nicht." Ein anderer bietet diese zugespitzte Zusammenfassung an: "Ulm, bei uns werden sogar die Nazis schön integriert."

Der Film soll Menschen ansprechen, die aus der rechten Szene aussteigen wollen

Am Tag nach der Veröffentlichung beantragten die SPD-Stadträte, den Film sofort aus dem Netz zu nehmen und zu überarbeiten. Inzwischen fordert auch die Grünen-Fraktion, ihn zu löschen. "Weil ein Imagefilm, den man auf so viele Weisen missverstehen kann, einfach sein Ziel verfehlt", sagt Fraktionsgeschäftsführer Michael Joukov-Schwelling.

Der von der Stadt beauftragte Filmemacher wehrt sich gegen die Auslegung, der Clip werbe für eine Gesellschaft, zu der Nazis selbstverständlich dazugehörten. "Da fehlen mir die Worte zu dieser Interpretation", sagt Hosam Sidou Abdulkader, Geschäftsführer der Ulmer Filmproduktionsfirma Cinematicz.

Das Video sei ein Aufruf zu Menschlichkeit, "der sich nicht zu schade ist, den Rechtsruck und die Altersarmut in Deutschland darzustellen". Das sei mutig von der Stadt Ulm, findet Abdulkader, der "kein Biodeutscher" ist - so sagt er es selbst. "Ich bin sehr sensibel, wenn es um Rassismus geht." Er hoffe, dass der Film Menschen anspricht, die aus der rechten Szene aussteigen wollen.

Oberbürgermeister Czisch hat das Video schon nach der ersten Kritik verteidigt, dann aber Anfang der Woche noch einmal die Stimmungslage im Gemeinderat sondiert, in dem CDU und Freie Wähler eine knappe Mehrheit stellen. Er entschied, den Film nicht aus dem Netz zu nehmen. "So sehr wir bedauern, dass bis heute rechtsextreme Ansichten in unserer Gesellschaft vertreten sind, so müssen wir uns doch ehrlich eingestehen, dass es sie gibt", heißt es in einer Stellungnahme der Stadt. "Sie zu tabuisieren war nicht der Weg der Filmemacher und der Stadt Ulm. Vielmehr soll der Film der Hoffnung Ausdruck verleihen, dass sich im zwischenmenschlichen Kontakt, im gegenseitigen Kennenlernen, Einstellungen und Menschen auch ändern können."

Die erwünschte Lesart des umstrittenen Erzählstrangs ist die von einem "Umdenkungsprozess des Mannes mit rechtsradikalem Hintergrund. Er realisiert in der Extremsituation der erkrankten Tochter, dass seine Vorurteile gegenüber Menschen anderer Religionen oder unterschiedlicher kultureller und ethnischer Herkunft ihre Grundlage verloren haben." Womöglich ist der Film ausgerechnet an dieser Stelle zu subtil geraten.

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Quelle:
SZ vom 31.10.2019/marli
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