Süddeutsche Zeitung

Hurrikan-Zwischenbilanz:Warum die USA bei "Irma" Glück im Unglück hatten

Millionen Menschen ohne Strom, vereinzelte Gebiete unbewohnbar - und doch war "Irma" nicht der Jahrhundertsturm, den alle erwartet haben. Eine erste Bilanz.

Von Thierry Backes, Savannah (Georgia)

Als sich Hurrikan Irma vergangene Woche über dem Atlantik zusammenbraute, war Meteorologen schnell klar: Das könnte ein Jahrhundertsturm werden. Irma gilt nun als der schwerste Atlantik-Hurrikan seit Beginn der Wetteraufzeichungen (ausgenommen Karibik und Golf von Mexiko). Der Sturm hat über dem Meer 37 Stunden am Stück mit Windgeschwindigkeiten von mindestens 297 Stundenkilometern gewütet. Als erstes und mit voller Wucht traf er die kleine Insel Barbuda, wo er 90 Prozent aller Häuser zerstörte und sämtliche 1400 Insulaner evakuiert wurden. Insgesamt starben in der Karibik mindestens 34 Menschen, zehn davon auf Kuba. Und in den USA?

Die amerikanischen Medien kündigten Irma als "Monster-Sturm" an, der Zerstörungen hinterlassen könnte, wie sie seit Generationen nicht beobachtet wurden. Teile Floridas wurden verwüstet - doch am Ende muss man wohl bilanzieren: Die USA hatten eine ordentliche Portion Glück im Unglück.

  • Irma hat Großstädte in Florida verschont. Erst sollte der Hurrikan Richtung Miami ziehen, dann lag die Bucht von Tampa direkt auf der prognostizierten Route des Sturms. Irma nahm schließlich eine andere Route, zog erst an Key West, der größten Siedlung auf den Florida Keys, vorbei. Dann drehte der Hurrikan kurz vor Naples nach Osten ab und wütete über einem verhältnismäßig wenig bewohntem Gebiet. Jacksonville, die mit 880 000 Einwohnern größte Stadt in Florida, erlebte am Montag eine historische Sturmflut. Der Pegel des St. Johns River, der hier in den Atlantik mündet, lag zeitweite 1,6 Meter über dem Normalstand und überschwemmte Teile der Innenstadt. Doch insgesamt hätte es für Florida schlimmer kommen können. Verheerende Sturmfluten bedrohten die Tampa Bay, doch Irma änderte die Richtung. Die USA profitieren am Ende auch davon, dass der Hurrikan viele Stunden lang über Kuba wütete - eine Tragödie für Kuba, ein Glück für die USA, denn: Über Wasser verlieren Hurrikane sehr langsam an Kraft.
  • Verhältnismäßig wenige Tote. Nach jüngsten Angaben der Nachrichtenagentur AP kostete Irma mindestens zehn Menschen in den USA das Leben. Die meisten starben bei Verkehrsunfällen, mindestens ein Mann starb in Winter Park bei Orlando durch einen Stromschlag. Laut AP starben insgesamt sechs Menschen in Florida, drei in Georgia und einer in South Carolina.
  • Die größten Zerstörungen hat Irma auf den Florida Keys und auf der Insel San Marco angerichtet. Autos im Wasser, Boote auf dem Land; Palmen auf den Straßen, Häuser ohne Dächer - die Bilder aus den Gegenden, in denen Irma auf Land stieß, sind verheerend. Die Gebiete dürfen über Wochen nicht bewohnbar sein, das gilt insbesondere für die Florida Keys: Die Inselkette ist durch unzählige Brücken miteinander verbunden, die nun verbogen seien und damit unbenutzbar seien, heißt es aus dem Weißen Haus. Und doch sagte Floridas Gouverneur Rick Scott nach einem Flug über die betroffenen Gebiete: "Ich dachte, wir würden mehr Zerstörung sehen."
  • Strenge Bauvorschriften verhindern noch größere Sachschäden. Die Zahlen mögen nicht präzise sein, spektakulär sind sie allemal: Nach Angaben der New York Times müssen 65 Prozent der Einwohner Floridas ohne Elektrizität auskommen. CNN berichtete am Montagabend (Ortszeit), dass insgesamt 7,6 Millionen Haushalte von der Stromzufuhr abgeschnitten seien, 6,5 Millionen alleine in Florida, der Rest in Georgia, South Carolina und Alabama. Hauptgrund dafür ist, dass die Stromleitungen in den USA oberirdisch verlaufen. Immerhin die strengen Bauvorschriften Floridas, die 1992 nach dem Hurrikan Andrew eingeführt wurden, verhinderten vermutlich, dass Millionen jetzt ohne Zuhause dastehen. So müssen etwa Fensterscheiben in Neubauten geschosssicher sein, um aufgewirbelten Teilen standzuhalten. Die meisten Neubauten stehen auf Betonsäulen, Materialien und Bauweisen für Dächer sind strikt reguliert.
  • Die wirtschaftlichen Schäden sind enorm - aber nicht so enorm wie befürchtet. Der auf Risikoanalysen spezialisierte Versicherungsdienstleister AIR Worldwide schätzte die versicherten Schäden durch Irma in den USA und auf mehreren karibischen Inseln schon am Samstag auf 20 bis 65 Milliarden US-Dollar (17 bis 54 Milliarden Euro). Der Großteil der Schäden würde mit 15 bis 50 Milliarden Dollar auf die USA entfallen. Ende vergangener Woche kursierte noch eine Zahl von 200 Milliarden, wenn der Hurrikan direkt auf Miami treffe. Dann änderte Irma die Richtung. Zum Vergleich: AIR Worldwide taxiert die Schäden, die Hurrikan Harvey kürzlich in Texas angerichtet hat, auf 65 bis 75 Milliarden Dollar. Nach dem Angaben des US-amerikanischen "Centers for Environmental Information" war Hurrikan Katrina 2005 mit einem Schaden von 160 Milliarden Dollar das bislang kostspieligste Naturereignis, gefolgt von Supersturm Sandy im Jahr 2012 (70,2 Milliarden Dollar).

Mit Material der Nachrichtenagenturen.

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