Süddeutsche Zeitung

Hurrikan Sandy:Gewinner nach dem Sturm

Hurrikan Sandy hat die amerikanische Ostküste in ein Trümmerfeld verwandelt. Ein Jahr später dauert der Wiederaufbau noch immer an. Doch den Rückzug vom Meer will trotz Warnungen aus der Wissenschaft niemand einleiten. Dabei leiden vor allem die Menschen unter den Wirbelstürmen.

Von Pascal Paukner

Chris Christie tat, was in solchen Situationen von einem Gouverneur erwartet wird. Er lächelte, hob seinen Daumen in die Kamera und durchschnitt das Band, das für die Neueröffnung der Strandpromenade aufgespannt worden war. "New Jersey, stärker als der Sturm", stand auf einem Banner, das irgendjemand aufgehängt hat. Und ja, eigentlich passt dieser Spruch ganz gut zu all dem, was sich an jenem Mittwoch im vergangenen Mai in der Kleinstadt Belmar an der amerikanischen Ostküste abspielte. Bürger und Lokalprominenz bejubelten die Fortschritte, die beim Wiederaufbau der Küstenregion gemacht worden waren, sieben Monate nachdem Hurrikan Sandy ihrer Strandpromenade so heftig zugesetzt hatte.

Es sind Bilder, wie sie in den vergangen Monaten vielerorts an der amerikanischen Ostküste zu sehen waren. Die amerikanische Regierung hat mit einem massiven Hilfsprogramm in Höhe von 60 Milliarden Dollar die Grundlage dafür geschaffen, dass in den zerstörten Regionen möglichst schnell wieder alles so werden kann, wie es einmal war. Der Sturm war gerade erst durchgezogen, da hatte der Wiederaufbau bereits begonnen. Und nun, ein Jahr später, sind zwar noch nicht alle Schäden beseitigt. Aber davon, dass sich die Amerikaner von einem Wirbelsturm nicht in die Knie zwingen lassen, zeugt der Wiederaufbau vielerorts.

Wenn der angesehene Geologe und emeritierte Professor Orrin Pilkey in die Regionen reist, wie er es kürzlich mit einem Reporter der Magazins Outside getan hat, dann wundert sich der 79-Jährige trotz seiner reichen Lebenserfahrung, doch sehr. "Die Stürme werden nur schlimmer werden, der Meerspiegel wird steigen und das Meer wärmer werden", sagt er. Seiner Meinung nach ist es eine Fehlentscheidung, nun die gleichen Häuser an den selben Orten wieder aufzubauen. Der Schaden, den Sandy angerichtet habe, sei erst der Anfang: "Wir müssen uns von der Küste zurückziehen."

Kein Trutzburgen, sondern Sandburgen

Es stimmt. An der amerikanischen Ostküste werden keine Trutzburgen, keine Mahnmäler gegen die Naturgewalten aufgebaut. Es sind Sandburgen, die bei der nächsten Welle erneut weggeschwemmt zu werden drohen. Und die kommt bestimmt. Es gilt als sicher, dass die Zahl der Katastrophen weiter zunehmen wird, wie seit Jahrzehnten schon. Laut dem amerikanischen Centre for Research on the Epidemiology of Disasters stieg die Zahl der weltweiten Naturkatastrophen von etwa 100 im Jahr 1970 auf etwa 350 im Jahr 2011.

Naturkatastrophen, das sind meist menschliche Katastrophen. Für die Natur sind die Auswirkungen oftmals nicht so schlimm. Mitunter wirken sich die Katastrophen sogar positiv aus. Eine Untersuchung des Virgina Institute of Marine Science zeigt, dass der Hurrikan Isabel im Jahr 2003 die Ausbreitung wirbelloser Tierarten massiv begünstigt hat. Fischpopulationen sind im Anschluss an die Katastrophe deutlich angewachsen, was bei Fischern zu bis zu zehnmal höheren Fangquoten geführt hat. Generell sind in Hurrikangebieten sogar eher überdurchschnittlich viele Pflanzen- und Tierarten beheimatet. Und eindeutig segensreich wirken sich Wald- und Buschbrände, wie es sie jüngst in Australien gab, auf die Tier- und Pflanzenwelt aus.

Für den Menschen stellen sich nach Naturkatastrophen zumeist grundsätzliche Fragen. Fragen wie: Stimmen die Grenzen zwischen Natur und Zivilisation noch? Muss das Zusammenleben neu justiert werden? Politiker wie der New Yorker Bürgermeister Michael Bloomberg haben sie unmissverständlich beantwortet. Die Stadt werde sich "nicht von der Meeresfront zurückziehen". Stattdessen pumpt man einfach mehr Geld in die Katastrophenprävention: 20 Milliarden Dollar in den nächsten zehn Jahren.

Doch in den USA mehren sich nun, da die schlimmsten Schäden beseitigt sind, auch die Stimmen, die grundsätzlichere Antworten fordern. Im September veröffentlichte das Magazin The Atlantic einen Artikel des Wissenschaftlers Klaus Jacob, der an der Columbia University unter anderem zu den Folgen der Klimaerwärmung forscht. Jacob wendet sich gegen den Plan, die Küstenlinie wieder so aufzubauen, wie sie war. Stattdessen schlägt auch er einen Rückzug von der Küste vor. Jacob merkt an, dass selbst die besten Küstenschutzmaßnahmen ihre Grenzen haben. Irgendwo muss das Wasser schließlich hin, wenn der Meerespegel steigt und die Winde stärker wehen.

Jacob schreibt, dass ein solcher Rückzug auch eine Chance sein könne, die in die Tage gekommene Infrastruktur zu modernisieren. Die Bahnanlagen an der Ostküste sind teilweise jahrzehntealt. Nun bestehe die Chance, ein neues Hochgeschwindigkeitsnetz zu errichten, das vor Überflutungen sicher sei. Außerdem fordert der Forscher die Politik auf, Lage und Zustand von U-Bahnschächten und Straßentunnel zu überprüfen und über neue Konzepte der Landnutzung nachzudenken. Weil das alles aber massive Investitionen des Staates voraussetzen würde und diese in den USA traditionell auf wenig Gegenliebe stoßen, werden diese Forderungen wohl nur Forderungen bleiben.

Wirtschaft profitiert von der Katastrophe

Für das Wirtschaftssystem des Landes scheinen diese ohnehin einerlei zu sein. Das würde von einem Neubau der Infrastruktur profitieren - aber auch die Auswirkungen eines Hurrikans sind für kapitalistisch organisierte Volkswirtschaften eher positiv. Ein Arbeitspapier (PDF), das an der Universität Göteborg in Schweden veröffentlicht worden ist, kommt zu dem Ergebnis, dass Naturkatstrophen sich sogar kurzfristig, mittelfristig und langfristig positiv auf die Wirtschaft auswirken.

Im Kapitalismus gibt es nach Katastrophen immer Verlierer und Gewinner: Hurrikan Sandy war im vergangenen Jahr noch gar nicht richtig über das Land gezogen, die Schäden konnte noch niemand beziffern, da gab es im Wirtschaftsmagazin Forbes schon die ersten Tipps für knallharte Rationalisten: Zehn Aktien, mit denen man vom Hurrikan profitieren könne.

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