"Dorian" an der Ostküste:Ein ermüdeter Sturm

Überschwemmungen in Charleston nach Hurrikan "Dorian"

Ein paar Straßenzüge in Charleston sind nach "Dorian" knöcheltief unter Wasser.

(Foto: Thorsten Denkler)

In Charleston, South Carolina, ist die ganz große Flut ausgeblieben. Es windet und regnet heftig. Aber die meisten Häuser bleiben trocken. Nur der Mann im Weißen Haus nervt.

Von Thorsten Denkler, Charleston

John ist heute Koch, Barmann, Servicekraft. Alles in einem. So ist das, wenn Hurrikan ist. Eigentlich hätte jemand anderes hinterm Tresen stehen sollen. Aber der hat sich sturmbedingt abgemeldet. Also macht John alles allein. "Das ist Charleston. Da muss es auch an einem Tag wie diesem irgendwo einen Drink geben", sagt er.

Das "Classic on King" ist der vermutlich einzige Ort in Charleston, South Carolina, wo es an diesem Sturm-Donnerstag nicht nur etwas zu trinken, sondern auch einen ordentlichen Burger mit French Fries gibt. Alles andere hat geschlossen. Läden, Restaurants, Bars, Tankstellen, Supermärkte, Baumärkte - alles dicht.

Ein junger Mann kommt aufgeregt herein, will wissen, wie lange der Laden noch aufhat. So lange es geht, sagt John. "Unglaublich!", sagt der Mann und schwenkt sein Handy. "Das muss ich auf Social Media posten!" Er macht umgehend ein Video-Selfie. Und verschwindet wieder. John wischt kopfschüttelnd den Tresen ab.

Die Stadt wirkt ansonsten wie verlassen. Wer konnte, ist zu Freunden oder Verwandten gefahren. Andere haben sich in den umliegenden Hotels eingemietet, um nicht im eigenen Schlafzimmer von der drohenden Springflut geweckt zu werden.

Überflutete Straßen und umgeknickte Palmen

Am Mittwochmorgen noch hieß es, dass Hurrikan Dorian wohl doch weiter aufs Meer abdrehen würde. Am Abend dann die Nachricht, dass er stärker geworden ist, jetzt Kategorie drei statt zwei hat, und dass das Auge des Hurrikans sehr wahrscheinlich Land erreicht. Jetzt, am Tag der Wahrheit, ist wieder alles anders. Dorian hat es sich anders überlegt. Er tobt sich mit Stärke zwei ein paar Dutzend Meilen weiter draußen über dem Meer aus. Was für die meisten Menschen in Charleston Entwarnung bedeutet.

Bis zu zwei Meter hoch hätte das Wasser in Downtown Charleston steigen können. Auf dem Weather Channel haben sie extra eine Computer-Grafik vorbereitet, die den Moderator auf einem kreisrunden Podest zeigt, hinter ihm ist eine Straßenecke in Charleston eingeblendet. Und als würde Moses das Meer teilen, hebt der Moderator die Arme und das Wasser steigt ihm bis über den Kopf. Nur um zu zeigen, wie es in Charleston aussehen würde, wenn.

Es ist deutlich glimpflicher ausgegangen. Es regnet zwar seit Mittwochabend durch. Aber nur ein paar wenige Straßenzüge sind knöcheltief überschwemmt. Aus einem Haus spritzt Wasser aus der Kellerluke. Da hat jemand schon die Pumpe angestellt.

Trump hat seine eigene Version von Dorian

Der Wind hat dafür ganze Arbeit geleistet. Die Straßen sehen aus, als hätten ein Riese sie mit grünem Konfetti bedeckt. Abgebrochene Palmwedel liegen herum, Palmen sind umgeknickt, Bäume entwurzelt, Äste abgebrochen und haben Dächer beschädigt. Weiter nordöstlich, sieben Autostunden entfernt, in der Region um Wilmington in South Carolina, da hat Dorian die ersten kräftigen Tornados entstehen lassen. Die haben Autos durch die Luft geschleudert und ein paar Dächer abgedeckt. Bisher aber alles glücklicherweise nur Sachschäden.

Und natürlich sind Zigtausende Haushalte ohne Strom. In South Carolina hatten zeitweise eine Viertelmillion Häuser und Geschäfte keinen Strom. Zwischendurch hat der Gouverneur von South Carolina, Henry McMaster, bestätigt, dass die Stadt Georgetown komplett ohne Strom ist. In den USA wird der Strom in der Regel mit Oberleitungen transportiert. Diese Leitungen sind extrem sturmanfällig.

Auf der Emerald Isle in North Carolina erwischte Dorian eine Wohnwagensiedlung. Die war auch der Kraft des Stufe-zwei-Tornados nicht gewachsen. Doch auch hier gab es nur Sachschäden.

Der Tankwart hat zu Hause auch keinen Strom. "Aber es gibt ja Kerzen", sagt er. Außerdem ist alles trocken. Das sei wichtiger. Seine unabhängige Tankstelle ist eine der wenigen, die auch an diesem Donnerstag geöffnet haben. "Als ich heute Morgen aufgemacht habe, reichte die Schlange bis weit in die Nebenstraße hinein", sagt er. Warum die anderen alle zu haben, er versteht es nicht. So schlimm wie vorhergesagt sei doch alles gar nicht.

Stimmt, Tanken geht. Es ist nur eine nasse Angelegenheit. Der Wind peitscht den Regen bis weit unter das Tankstellendach. Keine Chance, die Kreditkarte trocken in den Schlitz der Zapfsäule zu bekommen. Wer das also an diesem Sturmtag will, der bekommt in Charleston einen guten Burger und einen vollen Tank. Das ist weit mehr, als 24 Stunden zuvor noch zu erhoffen war.

Dass alles so entspannt ist, liegt aber nicht allein daran, dass Dorian Gnade hat walten lassen, nachdem er die Bahamas fast vollständig zerstört hat. Es liegt auch an den Einsatzkräften, der Polizei, der Feuerwehr, den Mitarbeitern in den Krisenzentren, den Elektrizitätswerken, die Hunderte von Teams im Einsatz haben, um Stromausfälle zu beheben. Nur einer nervt: US-Präsident Donald Trump.

Der hatte am Sonntag in mehreren Tweets die Einwohner von Alabama eindringlich vor Hurrikan Dorian gewarnt. Nun liegt Alabama aber westlich von Florida. Und es gab ab Sonntag keine ernstzunehmende Vorhersage, die Dorian nicht auf einem Weg östlich von Florida gesehen hat. Mit Kurs an den Küsten von Georgia, South und North Carolina vorbei. Und einer geringen Wahrscheinlichkeit, dass er sich direkt über Florida ausbreiten könnte. Was katastrophal gewesen wäre, aber nicht geschehen ist.

Knapp 20 Minuten nach Trumps Tweet hat der regierungsfinanzierte Nationale Wetter Service (NWS) ebenfalls auf Twitter klargestellt, dass Trumps Warnungen quatsch sind. "Alabama wird NICHT von Dorian betroffen sein", schreiben die Experten am Sonntag. Und damit es auch Trump versteht: "Wir wiederholen: Keine spürbaren Auswirkungen von Dorian auf Alabama. Dafür ist das System zu weit östlich."

Die Geschichte könnte damit vorbei sein. Aber Trump wollte das nicht auf sich sitzen lassen. Und präsentierte am Mittwoch im Oval Office eine Karte vom 29. August, die eine erste, noch sehr unsichere Prognose für die Route von Dorian zeigt. Das ist Trumps Beweis, dass Alabama doch hätte getroffen werden können. Die Chance, dass Dorian nach Alabama zieht, habe bei 95 Prozent gelegen. Sagt er. Auf Twitter verlangt er gar von den "Fake-News-Medien" eine Entschuldigung für die Behauptung, er habe die Menschen in Alabama fälschlicherweise gewarnt.

Die offizielle Prognose aber, auf Trumps Karte klar als auberginenförmige Linie zu erkennen, berührt Alabama gar nicht. Allerdings hat jemand auf die Karte eine Art Beule auf die dicke Spitze der Aubergine gemalt. Diese Beule reicht nach Alabama. Es ist, als hätte sich Trump eine Karte der Erde als Scheibe anfertigen lassen, um diese dann als Beweis dafür in die Kamera zu halten, dass die Erde eine Scheibe ist. Hat da jemand an der Karte herumgedoktert, fragt ein Journalist. Trumps Antwort: "Ich weiß es nicht. Ich weiß es nicht. Ich weiß es nicht."

Na ja, auch das wird bald vergessen sein. Für Freitag ist in Charleston wieder bestes Wetter angekündigt. Ein zweiter Sommer, sagt eine TV-Moderatorin. Egal. Hauptsache trocken.

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