Hundeattacke in Niedersachsen:"Es gibt keine Rasse namens Kampfhund"

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In Deutschland gilt der Staffordshire Terrier in mehreren Bundesländern als sogenannter "Listenhund". (Foto: imago stock&people)
  • Ersten Obduktionsergebnissen zufolge tötete tatsächlich das eigene Haustier Mutter und Sohn.
  • In Deutschland gilt der Staffordshire Terrier in mehreren Bundesländern als "Listenhund", der nur unter besonderen Auflagen gehalten werden darf.
  • Das Statistische Bundesamt zählt jährlich bis zu acht Menschen, die sterben, weil sie von einem Hund gebissen oder heftig gestoßen werden.

Von Max Sprick

Ein Hund soll zwei Menschen totgebissen haben, aber nicht irgendein Hund. Sondern das Haustier der Familie. In Groß-Buchholz, einem Stadtteil von Hannover, wurden in der Nacht zum Mittwoch die Leichen einer 52-jährigen Frau und ihres 27-jährigen Sohnes in ihrer Wohnung gefunden, blutüberströmt, mit Bisswunden. Die Tochter der 52-Jährigen soll einen ihrer leblosen Angehörigen laut Polizei durch das Fenster gesehen, den Notruf gewählt und vor dem Tier gewarnt haben. Die Beamten konnten erst die Wohnung betreten, nachdem Feuerwehrleute den Hund mit einer Schlinge gefangen und aus der Wohnung geholt hatten.

Ersten Obduktionsergebnissen zufolge tötete tatsächlich das eigene Haustier Mutter und Sohn, mehr Informationen jedoch gab die Polizeibehörde Niedersachsen am Mittwoch auf SZ-Anfrage nicht preis. "Wir können den mutmaßlichen Täter ja nicht befragen", sagt ein Sprecher.

Sarkasmus ist eine Reaktion auf eine so unglaublich klingende Nachricht. Fassungslosigkeit eine andere. "Ich kann mir beim besten Willen kein Szenario ausmalen, in dem ein Hund seine Halter tötet", sagt Udo Kopernik vom Verband des deutschen Hundewesens. Auch der renommierte Hundepsychologe Thomas Riepe stützt diese Sicht: "Der Mensch ist ein wichtiger Faktor im Leben eines Hundes. Seine angeborene Schwelle, einem Menschen etwas zu tun, ist riesig." Das gelte für jede Rasse.

In Berlin darf diese Rasse nur als Diensthund der Polizei gehalten werden

Das Statistische Bundesamt zählt jährlich bis zu acht Menschen, die sterben, weil sie von einem Hund gebissen oder heftig gestoßen werden. Die Betonung liegt auf "bis zu", denn es gibt auch Jahre, in denen niemand an solchen Folgen stirbt. Der aktuelle Fall aus Groß-Buchholz macht aber noch aus einem anderen Grund Schlagzeilen: wegen der Rasse des Hundes.

Das Tier, das seine Halter getötet haben soll, ist laut Polizei ein Staffordshire Terrier. Ein Hund, den die internationale kynologische Föderation (FCI), die Hunderassen systematisiert, wie folgt beschreibt: "Traditionell von unbeugsamem Mut und Hartnäckigkeit. Hochintelligent und liebevoll, besonders zu Kindern." In den USA ist der Staffordshire Terrier ein klassischer Familienhund. In Deutschland dagegen gilt er per Landeshundegesetz in mehreren Bundesländern als "gefährlich" und als sogenannter "Listenhund" - ein Hund, der nur unter besonderen Auflagen gehalten werden darf. Offiziell fällt der Staffordshire Terrier also unter eine Kategorie, die bisweilen das Label "Kampfhund" bekommt.

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In Bremen zum Beispiel darf diese Rasse nur als Diensthund der Polizei gehalten werden, in Thüringen muss jeder Staffordshire Terrier einen Wesenstest absolvieren. Hundepsychologe Thomas Riepe hält wenig von solchen Zuschreibungen, er sagt: "Es gibt keine Rasse namens Kampfhund." Selbst aus einem Pudel oder einem Chihuahua könne man einen aggressiven Hund machen.

Rasselisten und entsprechende Auflagen gibt es noch nicht lange in Deutschland. Alles begann damit, dass 2000 in Hamburg-Wilhelmsburg ein Junge von zwei Hunden auf dem Schulhof attackiert und totgebissen wurde. Der Fall löste eine bundesweite Debatte aus - und jenen "Hunderassismus", wie Riepe formuliert. Die Politik habe damals aus "purem Aktionismus" gehandelt, sagt Riepe, teilweise habe die wissenschaftliche Grundlage für die Listen gefehlt. Die Hunde darauf jedenfalls gelten seitdem als gefährlich, manche wurden verboten, etwa der Pitbull. "Dabei vergessen viele, dass die meisten Hundeunfälle immer noch mit dem deutschen Schäferhund passieren", sagt Riepe.

Dass Menschen den Psychologen kontaktieren, weil ihre Hunde plötzlich beißen, ist sein Berufsalltag. Zu etwa 80 Prozent sei die Ursache ein gesundheitliches Problem, das der Mensch nicht wahrnimmt - und seinem Haustier zu nahe kommt. Bei den restlichen Fällen handele es sich um Hunde, die mit Gewalt und Bestrafung ausgebildet und behandelt wurden und irgendwann ausrasten. "Das ist aber kein grundsätzliches Problem von Listenhunden", sagt Riepe. Gerade die würden menschenfreundlich gezüchtet.

Früher, als heutige Listenhunde für Hundekämpfe gezüchtet worden waren, trainierte man ihnen Aggression gegen Artgenossen an - und eine enorme Hemmschwelle gegenüber Menschen. So ein Hundekampf musste schließlich beendet werden, und zwar von einem Menschen.

Zum tragischen Fall in Groß-Buchholz will Riepe nichts sagen, ohne weitere Hintergrundinformationen lasse sich über die Gründe nur spekulieren. Wie wurde der Hund gehalten? Wurde er misshandelt? War er krank? Litt er Hunger? All diese Fragen sind derzeit noch offen.

Die Schaumburger Nachrichten berichten, der Sohn habe einen Stahlzwinger für den Hund in seinem Zimmer gehabt. Kam Besuch oder die Pflegerin der gehbehinderten Mutter, sei das Tier weggesperrt worden. Nachbarn sagten der Zeitung, der Terrier solle so gut wie jeden Passanten angefletscht haben. "Der Besitzer hatte den Hund immer eng an der Leine und trotzdem seine Mühe, ihn unter Kontrolle zu halten", wird ein Anwohner zitiert. Ob das Tier aktenkundig war, wollte die Polizei am Mittwoch nicht kommentieren.

Der Staffordshire Terrier ist in Großbritannien als "Nanny Dog" bekannt

Hunde tragen Auseinandersetzungen mit ihren Zähnen aus. "Sie haben ja kein anderes Mittel", sagt Udo Kopernik vom Deutschen Hundewesen. Wenn ein Staffordshire Terrier zubeißt, dann beiße er sich fest, nicht wie ein Schäferhund, der eher zuschnappt. Vielleicht hat diese Rasseneigenschaft Mutter und Sohn das Leben gekostet, vielleicht hat der Hund erst einen Menschen angefallen, sich dann im zweiten verbissen, als dieser helfen wollte. "Aber auch das passt eigentlich nicht", sagt Kopernik.

Der Staffordshire Terrier gehört, auch wegen der Restriktionen einiger Bundesländer, zu den eher seltenen Hunderassen. 2016 gab es 324 Welpen in Deutschland. Damit rangiert der Staffordshire Terrier knapp hinter dem Husky oder dem Bernhardiner. Er darf nicht nach Deutschland importiert werden, obwohl er in Großbritannien als "Nanny Dog" bekannt ist.

Immer wieder gab es in den vergangenen Jahren Meldungen über Hundeattacken gegen Menschen. 2010 wurde eine Dreijährige in Thüringen von vier Staffordshire Terriern totgebissen. Die Verantwortung dafür liegt aber - und das vergessen viele oftmals in der Debatte - beim Halter. "Wie sich ein Hund verhält, bestimmt neben seiner Gesundheit, die Art, wie er gehalten und behandelt wird", sagt Hundepsychologe Riepe. Er warnt davor, die als Listenhunde eingestuften Rassen zu stigmatisieren. "Sie sind zum Sündenbock geworden." Dabei mache einzig und allein der Mensch sie aggressiv.

Der Hund aus Groß-Buchholz wurde ins Tierheim Langenhagen gebracht. Die Schaumburger Nachrichten zitieren dessen stellvertretende Leiterin: "Als er zu uns kam, hat er sich unauffällig verhalten." Vielleicht ist diese Ruhe eine Reaktion auf den Stress. Das Veterinäramt will in den kommenden Tagen seine Gefährlichkeit feststellen. Stellt die Rechtsmedizin seine eindeutige Schuld am Tod zweier Menschen fest, wird er wohl eingeschläfert.

© SZ vom 05.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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