Süddeutsche Zeitung

Homophobie-Diskussion in Berliner Moschee:Über die "Sünde" reden

Lesezeit: 3 min

Es hätte ein Treffen mit politischer Signalkraft werden können: Homosexuelle und Muslime wollten in der Berliner Şehitlik-Moschee über Homophobie diskutieren. Doch jetzt soll die Veranstaltung woanders stattfinden. Warum?

Von Luisa Seeling, Berlin

Es wäre ein starkes Zeichen gewesen: ein Treffen von Lesben und Schwulen mit Muslimen - nicht irgendwo, sondern in der Şehitlik-Moschee in Berlin-Neukölln, gleich neben dem Tempelhofer Flugfeld. In einer der größten Moscheen der Hauptstadt. Der Termin, ein Rundgang mit anschließendem Gespräch zum Thema "Islam und Homophobie", hätte Signalwirkung haben können. Betonung auf: hätte.

Denn das geplante Treffen wird nicht in der Moschee stattfinden. Die Diskussion um die Absage hat sich in den vergangenen Tagen für den Moschee-Verein zu einem regelrechten Öffentlichkeits-Desaster entwickelt. "Treffen von Homosexuellen und Moslems abgesagt!", titelte die B.Z. am Sonntag. In den sozialen Netzwerken wurden die Berichte fleißig geteilt, nicht nur die schwul-lesbische Community ist empört.

Ein befürchteter Skandal

Wie viele Moscheen in Deutschland wird auch die Şehitlik-Moschee von DITIB betrieben, dem deutschen Ableger der türkischen Religionsbehörde. Die türkische Zeitung "Yeni Akit" hatte DITIB vorgeworfen, in Deutschland Moscheen für "anomale Homosexuelle" zu öffnen und so einen "Skandal" auszulösen. Ähnliches hatte in einem Bericht des rechtskonservativen Blattes Takvim gestanden.

Hat sich der Şehitlik-Vorstand unter Druck setzen lassen von der türkischen Presse? Hat es Anweisungen des türkischen Religionsamtes gegeben, die Veranstaltung abzusagen?

"Nein", sagt Ender Çetin, der Vorsitzende des Şehitlik-Vereins, ein Verbot oder Druck habe es nicht gegeben. Die Entscheidung, das Treffen in der Moschee abzusagen, habe der Vorstand eigenständig getroffen. Çetin will nun "Missverständnisse ausräumen", dazu hat er sich Verstärkung geholt. Ausgerechnet jene, die der Moschee-Vorstand am Wochenende ausgeladen hat: Bernhard Heider, Geschäftsführer von Leadership Berlin, dem Verein, der den Moschee-Besuch im Rahmen des Projekts "meet2respect" initiiert hat. Und Daniel Phillip Worat vom Völklinger Kreis, dem Bundesverband schwuler Führungskräfte. Auch er gehört der Gruppe an, die "meet2respect" betreut und unter anderem Begegnungen von Muslimen und Schwulen organisiert.

Ein Versuch der Schadensbegrenzung

Gemeinsam improvisieren Worat, Heider und Çetin eine kleine Pressekonferenz am Rande einer Tagung in der Moschee. Alle drei sind bemüht, die Wogen zu glätten. "Für uns ist das jetzt nicht so dramatisch", sagt Heider. Jenseits der Kritik aus der Türkei hätte es ohnehin Probleme mit dem Treffen gegeben, weil die Zahl der Anmeldungen so hoch gewesen sei. Die Macher von "meet2respect" hätten mit 30, 40 Teilnehmern gerechnet. Stattdessen lag die Zahl der Anmeldungen fast im dreistelligen Bereich. Eine Führung durch die Moschee wäre da gar nicht machbar gewesen.

Außerdem: Die Veranstaltung werde ja stattfinden, sagen sie - wie geplant am 24. November. Nur eben an einem anderen Ort. Der Geschäftsführer des Lesben- und Schwulenverbandes (LSVD) hat den Ausweichtermin bereits als "Alibi-Veranstaltung" kritisiert.

Daniel Phillipp Worat ist wichtig, dass der Termin trotz allem stattfindet - auch wenn die Begegnung in der Şehitlik-Moschee natürlich "ein Highlight" gewesen wäre. Nicht nur Muslime müssten homophobe Vorurteile abbauen; in der schwul-lesbischen Community gebe es Islamophobie. Beide Seiten müssten an Vorurteilen arbeiten. Heider findet es "ganz toll, dass DITIB sich eingelassen hat auf das Thema", und lobt auch Ender Çetin für seinen Einsatz. Viel Verständnis für einen, der seine Gäste ausgeladen hat.

Çetin tut sich sichtlich schwer damit, die Gründe für die Absage zu erklären. Es sei der Eindruck entstanden, DITIB sei "Gastgeber der Veranstaltung" und wolle Homosexualität legitimieren. Eine Einladung an Homosexuellenverbände habe es aber nicht gegeben. Es sei vielmehr so gewesen, dass sich die Gruppe für eine Führung und ein anschließendes Gespräch angemeldet habe; weil die Moschee jedem offen stehe, sei das auch kein Problem gewesen. Doch dann habe es interne Diskussionen gegeben. Gemeindemitglieder hätten sich gegen den Besuch ausgesprochen. Die Kritik in der türkischen Presse könnte dabei auch eine Rolle gespielt haben.

Ein Balanceakt zwischen den Fronten

Dass die Moschee keine Homosexualität befürwortet, daran lässt Çetin keinen Zweifel. "Homosexualität im Islam auszuleben ist eine Sünde. Und das sehe ich auch so", sagt der Vorstandsvorsitzende. Eine Diskriminierung von Homosexuellen findet er hingegen nicht in Ordnung. Auf die Frage, ob das nicht ein Widerspruch sei und ob der Begriff der "Sünde" nicht bereits eine Diskriminierung darstelle, sagt Çetin: "Es ist wichtig, dass man die Person und die Handlung unterscheidet."

Çetin steht vor einem Dilemma, das sich so schnell wohl nicht lösen lässt. Er lehnt Diskriminierung ab, interpretiert Homosexualität aus muslimischer Sicht aber als Sünde. Ist das nicht verletzend für den Mann, der gerade neben ihm steht und sich zu seiner Homosexualität bekennt? Daniel Phillipp Worat beschwichtigt: Er wolle "bei der Aussage, dass ich ein sündiger Mensch bin, relaxed bleiben". Zu beiden Standpunkten stehen zu können, sei ein Zeichen gegenseitigen Respekts. "Auch wenn es mich im Herzen trifft, das muss ich schon sagen."

Die Şehitlik-Moschee hat eigentlich den Ruf, offen und engagiert zu sein. Der Vorstand pflegt gute Beziehungen zu nichtmuslimischen zivilgesellschaftlichen Gruppen und arbeitet eng mit der Neuköllner Polizei zusammen. Regelmäßig öffnet die Moschee ihre Türen für Besucher. Auch die Tagung "Aktiv gegen Extremismus", zu der eine Reihe anerkannter Fachleute in die Moschee gekommen ist, soll den Dialog befördern. Man müsse etwas gegen die Radikalisierung von Muslimen tun, hatte Çetin in seinem Vortrag kurz zuvor gesagt. Die Moscheen seien spät dran mit dem Thema, "zumindest zu spät in die Öffentlichkeit rein".

Die Art der Öffentlichkeit, die auf die Absage des Homosexuellen-Treffens in der Moschee folgte, hat er wohl nicht gemeint.

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