Holocaust-Gedenktag:"Die Lehrer hatten große Angst"

Als die Nazis 1939 Polen überfielen, besuchte Helena Zagańczyk die sechste Klasse einer Schule in Warschau. Sie erinnert sich an Angst, Unterdrückung - und an den "geheimen Unterricht" in der besetzten Stadt.

Łukasz Sałasiński

Nach dem deutschen Überfall auf Polen veränderten sich nach und nach auch die Arbeitsbedingungen an den polnischen Bildungseinrichtungen, erzählt Helena Zagańczyk:

Holocaust-Gedenktag: Helena Zaganczyk und  Lukasz Salasinski vom Team Warschau

Helena Zaganczyk und Lukasz Salasinski vom Team Warschau

(Foto: Foto: step21)

"Es gab keine übermäßige Kontrolle. In der Schule hatte sich nicht viel verändert, bis die Deutschen 1941 das Gebäude besetzten. Vor dem Krieg bekamen kinderreiche Familien die Schulbücher vom Staat gestellt. Während der deutschen Besatzung musste man alleine sehen, wie man an die Bücher für sein Kind kam, was sehr problematisch war. Damit hatten auch meine Eltern zu kämpfen."

Bald durften die polnischen Schulbücher nicht mehr benutzt werden. "Im Sommer 1941 mussten wir gleich zu Beginn des Schuljahres unsere Lehrbücher für Geschichte, Erdkunde und die polnische Sprache abgeben. Damals war ich in der siebten Klasse." Die Stimme von Helena Zagańczyk zittert. Auch polnische Feiertage wie den "Tag der Verfassung" am 3. Mai oder Allerheiligen habe man nicht mehr begehen dürfen, erinnert sie sich.

"Das sollten ganz normale Werktage werden. Nur noch die Sonntage waren frei. An den ehemaligen Feiertagen führten die Deutschen Menschenjagden durch, um die trotz des Verbots feiernden Polen aufzugreifen und zu exekutieren. Niemand durfte also ungestraft die Nationalfeiertage begehen. Sonst waren harte Strafen zu befürchten."

In der Schule durften weder polnische Lieder gesungen noch Feierstunden veranstaltet werden, erzählt Zagańczyk. An jeder Schule habe es einen von den Deutschen abgestellten Kommissar gegeben, der auf die Einhaltung der Verbote achtete.

"In der Schule musste ich mich an die Verbote halten, aber zu Hause sang ich immer patriotische Lieder. Meine Mama hatte sie mir beigebracht, als ich noch klein war. Sie war es auch, die sich nach Kräften bemühte, dass die polnischen Traditionen bei uns zu Hause weiter geachtet wurden."

Geheimer Unterricht

Auch die Kirchen waren nicht wirklich sichere Orte, erinnert sie sich. "Es war nicht verboten, in die Kirche zu gehen, allerdings setzte man sich, sobald man das Gotteshaus verließ, den Menschenjagden aus, die ich bereits erwähnte. Oft endete dies in einem kleinen Aufstand der Polen. Aber für jeden getöteten Deutschen wurden 20 Polen hingerichtet."

Ab 1941 wurden viele Schulen, Bibliotheken, Wäschereien und andere Einrichtungen ganz geschlossen und den Deutschen zur Nutzung übergeben. Der Schulunterricht wurde dadurch erschwert. In diesem Jahr verlor Helena Zagańczyk, gerade 16 Jahre alt, ihre Mutter: "Da musste ich ohnehin arbeiten gehen. Nach 1941 wurde in Polen der geheime Unterricht eingeführt. Anfangs waren die Schüler nicht sonderlich daran interessiert. Stattdessen fingen viele wie ich an zu arbeiten, um ihre Eltern zu entlasten."

Doch die polnischen Schulkinder sehnten sich schon bald wieder danach, lernen zu dürfen: "Der konspirative Unterricht wurde immer beliebter. Doch es blieb die ganze Zeit streng geheim. Auf jeden Fall weiß ich, dass in Warschau in der Genewska-Straße unterrichtet wurde. Aber die Lehrer hatten große Angst."

Von diesem geheimen Unterricht gibt es in der Geschichte kaum Spuren. Soweit Helena Zagańczyk weiß, hat die Untergrund-Presse nicht darüber berichtet, da diese Blätter zu oft den Deutschen in die Hände fielen. Von den Unterrichtsorten und den beteiligten Lehrern erfuhr man nur von sehr vertrauten Personen.

Der Text ist entstanden im Rahmen des Projektes "Weiße Flecken" der Organisation "Step21 - Initiative für Toleranz und Verantwortung". Anlässlich des Holocaust-Gedenktages am 27. Januar haben Schülergruppen aus Deutschland, Polen und Tschechien, Geschichten aus der NS-Zeit gefunden und aufgeschrieben, die in ihren Heimatgemeinden von der damaligen Presse totgeschwiegen oder falsch dargestellt wurden. Die zugehörige Zeitung kann über die Homepage von Step21 bestellt werden.

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