Hollywood-Agentin ermordet:Tod am Sunset Boulevard

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Eine Hollywood-Agentin wird im Auto erschossen - es gibt wochenlang weder Motiv noch Verdächtigen. Jetzt hat sich ein Mann umgebracht.

Jörg Häntzschel

Es ist lange nach Mitternacht in Los Angeles. Eine einsame Frau im Abendkleid verlässt eine rauschende Party und steuert ihre Limousine die Kurven des Sunset Boulevard entlang. Plötzlich bemerkt sie einen Wagen dicht neben ihrem. Doch bevor sie reagieren kann, eröffnet der Beifahrer das Feuer. Fünf Mal wird sie getroffen. Ihr Wagen rollt noch ein Stück weiter, dann knallt er auf dem Grünstreifen gegen eine Straßenlaterne.

Ronni Chasen wurde in Los Angeles erschossen. (Foto: AFP)

So ähnlich hätte auch eine Geschichte des Krimi-Autors Dashiell Hammett aus den 30er Jahren anfangen können. Doch dieses erste Kapitel ist nicht das Produkt von Geldnot, Whiskey und Hammetts düsterer Phantasie. Es hat sich am 16. November genau so zugetragen, als Ronni Chasen, 64, eine so mächtige wie geschätzte PR-Agentin in Hollywood, an der Ecke Sunset und Whittier Drive in ihrem Mercedes-Coupé von einem Unbekannten erschossen wurde. Ihre Freunde und Kollegen sahen sie zum letzten Mal, als sie die Premierenfeier von "Burlesque", dem neuen Film mit Cher, verließ.

Die Hollywood-Gemeinde traf der Mord wie ein Schock. Zumal sich niemand die Tat erklären konnte. Chasen, so wird allseits beteuert, war in kein Scheidungsdrama und keinen Skandal verwickelt. Sie hatte keine Feinde und schuldete niemandem Geld. Wenn jemand etwas gegen sie haben könne, so die einhellige Meinung, dann höchstens ihre Mitarbeiter, die sie Tag und Nacht mit ihrem Blackberry anfunkte.

Noch erstaunlicher war allerdings die Erfolglosigkeit der polizeilichen Ermittlungen. Auch mehr als zwei Wochen nach der Tat ist weder ein Motiv gefunden, noch haben sich Zeugen gemeldet, bis auf ein paar Anwohner, die die Schüsse hörten. Glassplitter, verstreut über die letzten Meter von Chasens Fahrt, sind die einzigen Spuren.

Doch nun hat die Geschichte eine neue, überraschende Wendung genommen. Als die Polizei am Mittwochabend die Wohnung eines Verdächtigen am Santa Monica Boulevard durchsuchen wollte, zog dieser wortlos die Pistole und schoss sich in den Kopf.

Der Mann war seinen Nachbarn schon seit einiger Zeit aufgefallen. Er habe sich bei ihnen erkundigt, ob die Polizei nach ihm gesucht habe, berichteten sie. Und er habe freimütig erzählt, dass er schon zwei Mal wegen Drogendelikten und Waffenbesitzes im Gefängnis gewesen sei und diese Erfahrung nicht noch einmal machen wolle: "Wenn ich noch mal in den Knast muss, würde ich vorher sterben." Auch von einem "Job" habe er gesprochen, für den er bald 10.000 Dollar bekomme. Chasen, die unverheiratet und kinderlos war, lebte in einem relativ bescheidenen Apartment in Beverly Hills. Ihre Karriere in Hollywood begann sie 1973 in B-Movies, bevor sie sich mit Nebenrollen in Soap Operas durchschlug. Doch nach einigen Jahren der harten Existenz als minder erfolgreiche Schauspielerin entdeckte sie ihre eigentliche Berufung: die Arbeit als publicist.

In Hollywood geht es dabei um mehr als nur PR: Die Kampagnen der Filmindustrie entscheiden nicht selten über Flop oder Welterfolg eines Films. Chasens Spezialität bestand darin, die Filme ihrer Kunden geschickt im Rennen um die Oscars zu platzieren. Bei den letzten Academy Awards glückte ihr das mit Bravour: Für ihr Armee-Drama "Hurt Locker" bekam Kathryn Bigelow als erste Frau einen Oscar für die beste Regie. Anfangs war sich die Polizei nicht einmal sicher, ob es sich wirklich um einen gezielten Mord und nicht etwa um die Affekttat eines erbosten Autofahrers gehandelt habe. So vage waren die Informationen der Ermittler, dass Blogs und Boulevardblätter das Vakuum mit eigenen Spekulationen füllten. Hinter dem Mord stünden russische Investoren, die mit den Profiten der von ihnen mitfinanzierten Filme nicht zufrieden gewesen seien, lautete eine Version. Nach einer anderen sei niemand Geringeres als al-Qaida für das Attentat verantwortlich. Oder steckt die Nichte dahinter, die laut Chasens Testament nur 10.000 Dollar ihres Vermögens von mehr als sechs Millionen bekam?

Nach der neuesten Theorie könnte der nur als "Harold" bekannte Tote tatsächlich der Täter gewesen sein. Doch nicht als bezahlter Killer, sondern aus Wut über Chasens Fahrstil.

© SZ vom 04.12.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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