Wim Holleeder:Lebenslang für den Gangster ohne Herz

Wim Holleeders Platz vor dem Amsterdamer Strafgericht.

Nach einem spektakulären Prozess gegen den berüchtigtsten Verbrecher der Niederlande fällte das Amsterdamer Strafgericht am Donnerstag das Urteil.

(Foto: dpa)
  • Ende eines Jahrhundertprozesses: Wim Holleeder, bekanntester Gangster der Niederlande, wurde zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt.
  • Verurteilt wurde der 61-Jährige für fünf Morde und einen Totschlag, die er zwischen 2002 und 2006 in Auftrag gegeben hat.

Von Thomas Kirchner

Ein paar Sekunden der Stille vergehen, als das Urteil gegen Wim Holleeder am Donnerstagmorgen um kurz vor elf Uhr gesprochen ist - lebenslange Freiheitsstrafe. Dann stößt die Angehörige eines Opfers auf den Zuschauerplätzen einen langen schrillen Schrei aus. Entsetzen und Erleichterung mischen sich darin. Der Richter bittet, die Frau hinauszuführen aus dem fensterlosen Gerichtssaal am Rande von Amsterdam.

Es ist das passende Ende eines Jahrhundertprozesses gegen den bekanntesten Gangster der Niederlande, einen Mann, dessen Taten, Leben und Charakter das Land gleichermaßen schockieren wie faszinieren. Verurteilt wurde der 61-Jährige nun für fünf Morde und einen Totschlag, die er zwischen 2002 und 2006 in Auftrag gab. Die Opfer waren führende Kriminelle, die Holleeder im Weg standen. Er habe aus Machtgier und finanziellem Interesse gehandelt, befand der Richter.

Dass "Die Nase", wie er wegen seines riesengroßen, verbogenen Riechorgans genannt wird, nun bis ans Lebensende in Haft kommt, ist noch nicht sicher. Seine Anwälte hatten Freispruch gefordert und wollen nun in Berufung gehen. Hinter Gittern säße er nicht zum ersten Mal.

Der Vater von Wim Holleeder war ein brutaler, tyrannischer Alkoholiker

Zu verstehen ist seine kriminelle Karriere nur zusammen mit der Familiengeschichte. Holleeder wuchs im Amsterdamer Arbeiterviertel Jordaan als Sohn eines brutalen, tyrannischen Alkoholikers auf, der Frauen verachtete und seine Kinder, und besonders Wim, regelmäßig verprügelte. Der Mann war Angestellter beim Bierkonzern Heineken.

Wim haute mit 15 ab, wollte Radprofi werden wie der Vater, war aber auch Teil einer Schlägertruppe, die für Geld Besetzer aus Häusern verjagte. Beim Herumhängen in Kneipen entwickelten sie 1983 den kühnen Plan, Brauerei-Boss Freddy Heineken zu entführen. 35 Millionen Gulden, 16 Millionen Euro, kassierten sie für dessen Freilassung von der Familie, wurden aber nach und nach geschnappt und zu elf Jahren Haft verurteilt.

Im Gefängnis kam Holleeder mit der organisierten Kriminalität in Kontakt und wuchs zu einer beherrschenden Figur des niederländischen Verbrechens heran, in einer Zeit voller Schießereien in den großen Städten des Landes. Er war involviert in Drogengeschäfte, Prostitution; Erpressungen brachten ihm weitere neun Jahre Haft ein. 2012 entlassen, gelang es ihm wundersamerweise, sich der Öffentlichkeit als tougher, aber im Kern doch netter und vor allem geläuterter Kerl zu präsentieren, der in Talkshows und Interviews charmant zu plaudern wusste. Ein typischer knuffelcrimineel, ein Gangster mit Herz.

Verrat am eigenen Bruder, um weitere Morde zu verhindern

In Wahrheit war er: ein sadistischer Mörder, und niemand wusste das besser als seine Schwester Astrid, die in der Saga Holleeder eine wichtige Rolle spielt. Wie Wim vom Vater misshandelt, war sie Strafanwältin geworden, hatte dem Bruder immer wieder geschäftlich geholfen. Bis sie merkte, was für ein Monster er war. Unter anderem fand sie heraus, dass Wim mehrmals und zuletzt erfolgreich versucht hatte, ihren Schwager und Heineken-Mitentführer Cor van Hout umbringen zu lassen, wobei fast die Schwester Sonja samt Kind gestorben wären.

Astrid beschloss zusammen mit einer anderen Schwester, den Bruder zu verpfeifen, schnitt heimlich Gespräche mit, die Mordaufträge belegen. Ihr eigenes Leben geriet dadurch aus der Bahn, sie gab den Beruf auf und schrieb 2016 einen Bestseller über ihren Verrat ("Judas. Wie ich meinen Bruder verriet, um das Morden zu beenden"). Er zeigt ihre Zerrissenheit zwischen Liebe und Abscheu.

Die Justiz setzte sie als Zeugin im Prozess gegen den 2013 wieder verhafteten Holleeder ein. Aus dem Gefängnis heraus erteilte dieser den Auftrag, sie zu töten, weshalb sie unter Polizeischutz lebt und sich nur verkleidet zeigt. Im Gerichtssaal lieferten sich beide erbitterte Duelle. Der Bruder wirft ihr vor, allein aus Geldgier zu handeln. Entscheidend belastet haben den Angeklagten nun allerdings zwei ehemalige Komplizen.

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