Hoffnungsschimmer in Nahost:Das Wunder von Bethlehem

Lange war der heilige Ort eine Geisterstadt, nun erlebt er dank Touristen und Investoren eine Neugeburt.

Thorsten Schmitz

Die Freude im Kaffeeladen von Tawfik Lama an diesem Sonntag vor Weihnachten ist groß. So groß, dass die Kunden warten müssen. Lama lässt die Hand von Antoinette Rahab nicht mehr los, ein Lächeln nimmt dabei sein gesamtes Gesicht ein.

Hoffnungsschimmer in Nahost: Den Nahost-Konflikt und die Gewalt hat der britische Künstler Banksy auf dem Sperrzaun und den Mauern von Bethlehem thematisiert. Die kunstvollen Graffitit ziehen sogar Mauertouristen an.

Den Nahost-Konflikt und die Gewalt hat der britische Künstler Banksy auf dem Sperrzaun und den Mauern von Bethlehem thematisiert. Die kunstvollen Graffitit ziehen sogar Mauertouristen an.

(Foto: Foto: AP)

Fünf Monate haben die beiden sich nicht gesehen, und sie begrüßen sich, als seien es drei Jahre gewesen. "Ich wusste gar nicht, dass Du in Bethlehem bist!", ruft Lama. Die treue Kundin lacht: "Ich auch nicht, bis letzte Woche. Ich hatte Sehnsucht nach Bethlehem und Deinem Kaffee. Und wir haben einen billigen Flug gefunden."

Seit acht Jahren lebt Rahab mit ihrem Ehemann in San Francisco. Die Rahabs waren vor der Intifada aus der Geburtsstadt Jesu geflohen und an die Westküste gezogen, wo ein Cousin ihres Mannes einen kleinen Taxibetrieb besitzt. Es fehle ihnen "im Prinzip" in San Francisco an nichts, sagt die palästinensische Christin. Aber schnell fügt sie hinzu: "Glaub mir, Tawfik, unser Heimweh wird immer größer. Wie viel Leben jetzt wieder in Bethlehem herrscht!"

Lamas Laden befindet sich nur wenige Minuten von der Geburtskirche entfernt. Man könnte ihn leicht übersehen, denn er versteckt sich zwischen zwei großen Hauswänden, ist klein und mit Kaffeesäcken und Gewürzen vollgestopft. Aber selbst wenn man achtlos an dem Kramerladen vorbeiliefe, wird man vom Duft hineingezogen. Es riecht nach Kaffee, Kardamom, Safran und Salbei in dem Geschäft, in dem man auch Kinderschokolade und Waschmittel von Ariel kaufen kann. Wie sein Vater und sein Großvater steht Tawfik Lama jeden Morgen ab sieben im Laden und bleibt bis zum Abend. Das Geschäft gibt es seit über sechzig Jahren.

Hauptstadt ohne Christen

An diesem Montag hat Tawfik Lama alle Hände voll zu tun. Weihnachtstouristen aus aller Welt kommen in seinen Laden und Palästinenser von Bethlehem, die auf seinen Kaffee schwören.

Selbst während der Intifada durften Lamas Kaffeesäcke den israelischen Kontrollpunkt passieren. Lama besitzt die Handynummern der Soldaten vom Checkpoint. Wenn früher die Grenze zu Bethlehem geschlossen war, kämpfte er am Telefon um Passage für seinen Kaffee. Unter der Intifada habe sein Geschäft kaum gelitten, sagt Lama: "Kaffee trinkt man auch, wenn Krieg ist."

Tawfik Lama scherzt und fragt Antoinette Rahab, wie sie den Starbucks-Kaffee in San Francisco trinken könne. Er war noch nie in den USA, spricht aber ein bisschen Englisch, wegen der Touristen. Sie habe ja nicht wegziehen wollen, sagt Antoinette Rahab, aber als Christin habe sie sich nicht mehr wohl gefühlt in der "Hauptstadt des Christentums", wie die Fremdenführer Bethlehem auf ihren Touren verkaufen.

Viele palästinensische Christen sind wie die Rahabs seit Beginn der Intifada im Jahr 2000 weggezogen. Wegen der Gewalt und weil es immer weniger Arbeit gab. Aber auch, weil inzwischen Muslime die Mehrheit stellen in der 32000-Einwohner-Stadt und der Ruf des Muezzins lauter zu hören ist als die Kirchenglocken. In den fünfziger Jahren waren 90 Prozent der Bethlehemer Chris-ten, heute nur noch 40 Prozent.

Rahab schaut Tawfik Lama versonnen zu, wie er ein Kilo Kaffeebohnen aus der Türkei in die Mahlmaschine schüttet, und sagt: "Seit zwei Jahren aber überlegen wir, wieder nach Bethlehem zurückzukehren." Die Sehnsucht sei "zu groß". Und außerdem gebe es ja wieder mehr Jobs. Lama strahlt, als er das hört. "Das Leben hier", sagt Antoinette Rahab, "ist wieder ein Stück normaler geworden." Vor ein paar Jahren noch, sagt Rahab später auf dem Nachhauseweg, "hat man tagsüber keine Menschen gesehen, nur israelische Soldaten und Panzer". Bethlehem sei damals zu einer Geisterstadt verkommen. "Aber heute spüre ich, wie meine Stadt wieder erwacht."

Im ausklingenden Jahr 2008 ist Bethlehem, vor allem im Vergleich mit anderen Palästinenserstädten, eine Boomtown. In den Straßen sieht man blankpolierte Mercedes-Limousinen und BMW-Fahrzeuge, die Läden im Stadtzentrum melden gute Umsätze, Hunderte Polizisten sorgen für Ordnung, Menschenmassen schieben sich mit prallen Tüten durch die Gassen und Fußgängerzonen um den Manger Platz, arabische Popmusik mischt sich mit den Glocken der Kirchen, alle 19 Hotels sind bis in den Januar ausgebucht. Für die Touristen, die keine Lust auf Falafel oder Hummus haben, gibt es jetzt auch ein paar Cafés mit westlichem Zuschnitt, in denen man belegte Baguettes und Croissants kaufen kann.

Das Wunder von Bethlehem

Fremdenführer sind auf Wochen ausgebucht, Touristenbusse karren scharenweise Russen, Koreaner, Spanier, Deutsche, Japaner, Engländer und US-Amerikaner ins Stadtzentrum und klappern die Sehenswürdigkeiten dort ab, für die sich bis vor zwei, drei Jahren nur die Allermutigsten interessiert hatten. Heute nehmen sogar auch Touristen aus Osteuropa und Russland, die Pauschalurlaub an Ägyptens Stränden machen, Zwei-Tages-Touren durch die Sinai- und Negev-Wüste auf sich, um den Stern von Bethlehem in der Geburtskirche zu küssen (und zu fotografieren).

Krippen und Kickboxing

Zum Eingang an der Grotte in Jesu Geburtskirche stehen die Touristen Schlange. In den Souvenirshops um die baufällige Kirche muss man aufpassen, dass man nicht den dreifachen Preis für aus Olivenholz geschnitzte Krippenmotive zahlt. Der Krippenschnitzer Fayez Kano hat sich für dieses Jahr ein neues Modell ausgedacht: In eines seiner Motive hat er die Betonmauer zwischen Bethlehem und Jerusalem integriert, die die Stadt von drei Seiten einschnürt. Er sagt, besonders amerikanische Touristen kauften das neue Modell. Außer Religion bietet Bethlehem seit kurzem auch Erholung für Körper und Geist: Im "Al-Kalima Health and Wellness Center" kann man Kurse in Kickboxing, Hatha Yoga und Salsa Tanz absolvieren.

An Weihnachten war schon immer mehr los in Bethlehem als im Rest des Jahres. Aber Bethlehems Boom beschränkt sich nicht mehr nur auf die Tage zwischen den Jahren. Im Frühsommer strömten fast 2000 Investoren aus arabischen und westlichen Ländern nach Bethlehem zu einer dreitägigen Konferenz im neuen Tagungszentrum, das die Palästinensische Autonomiebehörde für 23 Millionen US-Dollar errichten ließ.

Für die Konferenz wurden Straßen asphaltiert, Bäume gepflanzt und neue Lampen entlang der Hauptstraßen installiert. Wann immer in den Fluren und Tagungssälen die Rede von der israelischen Besatzung war, wurde abgewunken: "Die Lage ist doch bekannt. Lasst uns um die Besatzung herum investieren." Nach drei Tagen Konferenz wurden Investitionen in Höhe von 1,5 Milliarden US-Dollar beschlossen, vom Bau einer neuen Palästinenserstadt bis zu einer Anlage, mit der sich aus Hausmüll Strom gewinnen lässt. Nur die Klimaanlage in dem neuen Gebäude versagte angesichts der 2000 Besucher manchmal.

Von Bethlehems Boom sind Taxifahrer erfasst, die von den Mauertouristen profitieren, seit der britische Graffitikünstler Banksy die acht Meter hohen grauen Betonquader besprüht hat. Aber auch Menschen wie Amal Farhat, die im Stadtzentrum seit einem Jahr zusammen mit ihrem Ehemann ein Fitnessstudio betreibt. Sie selbst, sagt sie, setze sich nicht an die Geräte, ausrangierte Bänke und Gewichte von einem Fitnessstudio in Jerusalem. "Mir reichen die Tüten, die ich vom Einkaufen nach Hause trage", sagt sie und zeigt einen zweiten Raum, in dem auch Aerobic unterrichtet wird. "Wir haben Glück, dass wir so nah an Jerusalem liegen und dass wir hier so viele Kirchen haben", sagt Amal Farhat. "Die Touristen trauen sich wieder, uns zu besuchen."

Luxushotel mit Mauerblick

Der christliche Bürgermeister Viktor Batarseh spricht von einem "Wunder von Bethlehem", wenn er die Genesung der Stadt vor den Toren Jerusalems be-schreibt: "Wir hatten ein sensationelles Jahr. Fast 1,3 Millionen Besucher sind in diesem Jahr zu uns gekommen, trotz der Mauer!", sagt der Bürgermeister, der ansonsten als scharfer Kritiker der israelischen Besatzung von sich reden macht. Er jubelt über zurückgehende Arbeitslosigkeit und über fehlende Betten: "Alle unsere Hotels sind ausgebucht. Vor zwei Jahren noch standen fast alle leer!"

Zum Beispiel das Fünf-Sterne-Projekt der Intercontinental-Kette, der "Jacir Palace". Das dem Louvre nachempfundene Haus aus dem Jahr 1910 ist die erste Luxusherberge in den Palästinensergebieten mit fünf Sternen - um die Weihnachtszeit sind jetzt sämtliche 250 Zimmer und Suiten ausgebucht. Das Hotel, von dem aus man auch auf die Mauer und Sprüharbeiten von Banksy blicken kann, besitzt einen Swimmingpool in einem blühenden Garten, vier Restaurants, drei Bars und einen sehr guten Ruf.

Dieser hat sich inzwischen bis nach Israel herumgesprochen, wo Zimmer in Fünf-Sterne-Hotels nicht unter 300 US-Dollar zu haben sind. An manchen Wochenenden, verrät ein Hotelangestellter, checkten auch angstfreie Israelis mit doppelter Staatsbürgerschaft im "Jacir Palace" ein - und genießen den Luxus für nur 100 US-Dollar die Nacht.

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