Höxter-Prozess:"Meine Frau ist der Boss"

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  • Der Angeklagte Wilfried W. hat zehn Prozesstage lang angehört, wie die Mitangeklagte Angelika W. ihre Version der Gräuel von Höxter schilderte.
  • Nun verliest er eine Erklärung, in der er seine Frau als Sadistin bezeichnet: Sie sei beim Quälen der im "Horrorhaus" gefangenen Frauen treibende Kraft gewesen.
  • Wilfried W. war bislang vor Gericht ungerührt aufgetreten. Als er traumatische Erlebnisse seiner Kindheit schildert, fängt er an zu weinen.

Von Hans Holzhaider, Paderborn

Auf diesen Augenblick haben viele gewartet: Zum ersten Mal ergreift Wilfried W., 47, selbst das Wort. Zehn Tage lang hat er angehört, wie seine geschiedene Ehefrau Angelika W., 48, dem Landgericht in Paderborn ihre Sicht der Geschehnisse in dem Haus schilderte, das als das "Horrorhaus von Höxter" makabre Berühmtheit erlangt hat. Wilfried W. und Angelika W. sind des zweifachen Mordes angeklagt, weil sie dort zwei Frauen zu Tode gequält haben sollen.

Vor Gericht sagte Angelika W., dass auch sie selbst von ihrem Ex-Mann über Jahre hinweg sadistisch misshandelt worden sei, und sie stellte, verblüffend redselig und geradezu detailverliebt, ihre eigenen Taten dar. Aber, so betonte sie, das alles habe sie nur getan, um dem Herrn des Hauses zu Gefallen zu sein, um die anderen Frauen dazu zu bringen, die teils abstrusen Verhaltensregeln, die Wilfried W. erließ, einzuhalten.

Landgericht Paderborn
:Angeklagte Angelika W. spricht über eigenes Leid in Höxter

Angelika W. und Wilfried W. stehen vor Gericht, weil sie mindestens zwei Frauen getötet haben sollen. Die 47-Jährige macht ihrem Ex-Partner vor Gericht schwere Vorwürfe.

Angelika W. habe immer neue Gräueltaten erfunden, sagt Wilfried W.

Nun also soll Wilfried W. selbst sprechen. Aber so einfach ist das nicht. "Ich bin bei Weitem nicht so sprachbegabt wie Angelika", trägt W.s Verteidiger Detlev Binder stellvertretend für seinen Mandanten vor. "Vielleicht werde ich wegen meiner plumpen, holperigen Sprache ausgelacht." Aber Wilfried W. wolle verhindern, dass sich die einseitige, falsche Darstellung seiner Mitangeklagten in den Köpfen der Richter festsetze.

Immer neue Gräueltaten habe Angelika W. erfunden, die ganze Verantwortung habe sie auf ihn abgewälzt. Dem wolle er jetzt seine Sicht entgegenhalten. Doch Wilfried W. baut auch schon vor für den Fall, dass sich etwas von dem, was er erzählt, als falsch erweist. "Meine Erinnerung kann mich manchmal trügen", sagt er. "Ich weiß, dass sich das eine oder andere vielleicht auch anders zugetragen hat." Es sei ihm zum Beispiel völlig entfallen, dass er eine der Frauen, die vorübergehend bei ihm in Höxter wohnten, mit einer Schippe ins Gesicht geschlagen haben soll.

Zuerst geht es um Wilfried W.s Lebenslauf. Er ist in Bochum aufgewachsen, der Vater Bahnbeamter, die Mutter Krankenschwester, er hat eine sechs Jahre ältere Schwester. In der Grundschule kam er nicht mit, er kam dann auf die Sonderschule. Er sei viel gehänselt worden, sagt er, weil er lispelt, und einige Mitschüler hätten ihm das Leben schwergemacht, ihn geschlagen, getreten, im Schwimmbad untergetaucht. Einen Freund habe er nicht gehabt. Der Vater habe getrunken und die Mutter, die Schwester und ihn selbst regelmäßig verprügelt.

Die Mutter habe den Mann verlassen, wegen der Misshandlungen, und weil er fremdgegangen sei. Dann habe sie einen anderen Mann kennengelernt, den Horst. Der habe anfangs den väterlichen Freund gegeben, aber später habe er beide Kinder massiv sexuell missbraucht. Da sei er 13 oder 14 gewesen, sagt Wilfried W. Er habe sich nicht wehren können; der Horst sei kräftig gewesen, über 100 Kilo schwer. Der Mutter habe er nichts davon erzählt. Er habe sich geschämt.

An dieser Stelle muss Wilfried W. weinen; das Gericht legt eine Pause ein. Danach überraschen die Verteidiger das Gericht mit einem unerwarteten Angebot: Der Mandant sei bereit, sich hinsichtlich des sexuellen Missbrauchs durch den Stiefvater psychiatrisch explorieren zu lassen. Bisher hatte Wilfried W. sich geweigert, mit dem vom Gericht bestellten Psychiater Michael Osterheider zu sprechen. Es erhebt sich die Frage, wie es weitergehen soll: Soll der Psychiater gleich mit dem Angeklagten sprechen, oder soll das Gericht zuerst mit der Vernehmung fortfahren?

Wilfried W. hat eine viele Seiten lange Erklärung über seine Beziehung zu Angelika W. niedergeschrieben. Die soll er nun zunächst mal vortragen. Er schafft das nicht, die Stimme versagt ihm. "Soll ich?", fragt Rechtsanwalt Binder; Wilfried W. nickt.

Verbrechen
:Schnäppchen Horrorhaus

Das Haus in Höxter, in dem zwei Menschen starben, hat tatsächlich einen Käufer gefunden. Ein Blick in die Geschichte vergleichbarer Gebäude zeigt: Es gibt immer wieder Menschen, die sich solch gruselige Immobilien zulegen.

Von Martin Zips

Es ist ein schwieriger Text, eine sprunghafte Aneinanderreihung von Satzfragmenten. Die Botschaft ist klar: In dieser Beziehung ging alles von der Frau aus, er hatte überhaupt nichts zu melden. Als er eine Anstellung bei der Bahn gefunden hatte, habe sie darauf bestanden, ihn zu begleiten. "Der Chef sagte, ich habe dich angestellt und nicht deine Frau. Ich sagte: Meine Frau ist der Boss."

Als er die Trennung vorschlug, soll Angelika W. einen Unfall provoziert haben

Während einer Autofahrt habe er mal vorgeschlagen, sich zu trennen. "Aber sie hat gesagt: Du hast mich geheiratet, jetzt musst du mich behalten. Wenn du nicht mehr willst, fahre ich dich tot." Dann habe sie Gas gegeben, sodass sich das Auto in einer Kurve viermal überschlug und auf dem Dach liegen blieb.

Die Misshandlungen, die Wilfried W. seiner Ex-Frau zugefügt haben soll, kommen in dem Text nicht vor. Auch als später andere Frauen mit im Haus lebten, die Wilfried W. über Zeitungsanzeigen kennengelernt hatte, sei Angelika W. die treibende Kraft bei den Quälereien gewesen. "Sie ist eine Sadistin", heißt es in dem Text. "Wir waren wie Kinder, wir mussten machen, was sie sagte." Er habe Annika - eine der beiden Frauen, die in Höxter zu Tode kamen - wieder nach Hause bringen wollen, "damit sie ihre Ruhe hat". Aber Annika habe gesagt: "Ich lass dich nicht allein mit der Hexe."

An dieser Stelle bricht der Rechtsanwalt die Verlesung ab. "So weit, vielleicht als Einleitung", sagt er. Nach längerer Beratung beschließt das Gericht, dass nun zunächst der Psychiater mit Wilfried W. reden soll. Am Dienstag wird der Prozess fortgesetzt.

© SZ vom 15.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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