Süddeutsche Zeitung

Höxter-Prozess:"Die Frauen wurden wie Tiere gehalten"

Lesezeit: 3 min

Von Hans Holzhaider

Paderborn - Es ist ein sehr langer und sehr quälender Prozess, der jetzt kurz vor seinem Abschluss steht. Seit dem 26. Oktober 2016 verhandelt die Schwurgerichtskammer am Landgericht Paderborn über den Fall, der unter dem Schlagwort "Horrorhaus von Höxter" in die Kriminalgeschichte eingehen wird. Eine beisitzende Richterin musste wegen Krankheit ausgetauscht werden, ein psychiatrischer Sachverständiger schied aus dem Verfahren aus, auch er offiziell wegen Krankheit.

Am Mittwoch, dem 51. Verhandlungstag, erteilte der Vorsitzende Richter Bernd Emminghaus endlich dem Oberstaatsanwalt Ralf Meyer das Wort zum Schlussplädoyer. Seine Anträge: lebenslange Haft und die Feststellung der besonderen Schwere der Schuld für Wilfried Wagener, 48, und seine Ex-Ehefrau Angelika Wagener, 47. Wilfried Wagener soll allerdings wegen verminderter Schuldfähigkeit nicht ins Gefängnis, sondern in die geschlossene Psychiatrie.

In betont knapper Form schilderte der Staatsanwalt die bizarre Beziehung zwischen den beiden Angeklagten und die nahezu unfassbaren Ereignisse auf dem ehemaligen Bauernhof im Höxter Stadtteil Bosseborn, die mit dem Tod von zwei Frauen endeten. Wilfried und Angelika Wagener hatten im März 1999 geheiratet. Ein ungleiches Paar: Wilfried Wagener bewegt sich, dem Gutachten der psychiatrischen Sachverständigen zufolge, an der Grenze zum Schwachsinn, seine Ehefrau liegt mit einem IQ von 120 deutlich über dem Durchschnitt. Schon nach kurzer Zeit sei es zu gewalttätigen Übergriffen des Ehemannes gekommen, sagte Meyer.

Es dauerte auch nicht lange, bis Wilfried Wagener nach anderen Frauen Ausschau hielt. Angelika gab bundesweit Bekanntschaftsanzeigen auf und fuhr ihren Ehemann, der selbst keinen Führerschein hatte, zu den Frauen, die sich auf die Anzeigen meldeten. Sie selbst gab sich als die Schwester aus. Die Frauen, mit denen Wilfried Wagener kürzere oder längere Beziehungen einging, hätten auch als "zusätzliche Einnahmequelle" gedient, sagte der Staatsanwalt. Manche von ihnen nahmen sogar Kredite auf, um Wilfried Wageners materielle Wünsche, meistens nach Autos, zu befriedigen.

Eine von ihnen war Christel P., die mehrere Monate in dem Haus in Höxter verbrachte, und die in dieser Zeit nicht nur mit Schlägen und mit Pfefferspray traktiert, sondern auch mehrmals bei winterlicher Kälte stundenlang im Schweinestall angekettet wurde. Sie kam immerhin mit dem Leben davon. Nachdem sie eine "Vereinbarung" unterschrieben hatte, dass sie im Haus der Wageners "keiner körperlichen und seelischen Gewalt ausgesetzt war", setzten die beiden Angeklagten sie in den Zug nach Magdeburg, ihre Heimatstadt.

Zwei andere Frauen, Anika W., 33, und Susanne F., 41, bezahlten ihre Bekanntschaft mit den Wageners mit dem Leben. Anika W. meldete sich Anfang Oktober 2013 auf eine Annonce und heiratete Wilfried Wagener schon zwei Wochen später - er hatte sich pro forma von Angelika scheiden lassen. Sie sei, sagte Staatsanwalt Meyer, nach einer kurzen harmonischen Phase fast täglich auf vielfältige Art misshandelt worden. Sie wurde an einen Heizkörper und später in einer alten Badewanne im Keller angekettet, weil es Wilfried störte, wenn sie nachts zur Toilette ging. Meistens gingen die Misshandlungen von Angelika Wagener aus, die dem Gericht eine zwei Seiten lange Liste überreichte, auf der alle Misshandlungsarten akribisch aufgeführt waren.

Anika W. starb - nackt und völlig entkräftet

Einmal ließ sie Wasser in die Badewanne, in der die gefesselte Anika lag. Sie sei "genervt" gewesen, "weil sie immer so blöde Antworten gab", nannte sie als Grund. In diesem Fall rettete Wilfried Wagener die Frau gerade noch rechtzeitig vor dem Ertrinkungstod. Anika W. starb, nachdem sie, nackt und völlig entkräftet, mit dem Kopf auf das Pflaster im Hof aufgeschlagen war. Die Leiche wurde von Angelika Wagener zerstückelt und verbrannt, die Asche verstreute sie auf der Straße.

Das Martyrium der Susanne F. verlief vier Jahre später fast identisch. Wilfried und Angelika Wagener wollten die Frau, die schon erkennbar dem Tod nahe war, in ihre alte Wohnung zurückfahren. Als das Auto eine Panne hatte, rief Angelika Wagener einen Rettungswagen. Susanne F. starb kurz darauf im Krankenhaus. So flog die ganze Sache auf.

Staatsanwalt Meyer wertete den Tod von Susanne F. als vollendeten und den von Anika W. als versuchten Mord, begangen jeweils durch Unterlassen. "Versuchter Mord" deshalb, weil nicht mehr festzustellen war, ob Anika W. bei rechtzeitiger ärztlicher Hilfe noch zu retten gewesen wäre, ob also die unterlassene Hilfeleistung auch ursächlich für den Tod war - von der Leiche war ja nichts übrig geblieben.

Susanne F. dagegen hätte nach dem Urteil der Sachverständigen bei rechtzeitiger ärztlicher Hilfe mit hoher Wahrscheinlichkeit überlebt. Die Sache mit der Badewanne legte der Staatsanwalt Angelika Wagener als einen weiteren versuchten Mord zur Last. Eine Strafmilderung schloss der Staatsanwalt aus. Er sah drei Mordmerkmale erfüllt: Verdeckung einer Straftat, niedere Beweggründe und grausame Begehungsweise. "Die Frauen wurden wie Tiere gehalten", sagte Meyer. "Es war den Angeklagten völlig egal, welche Qualen sie vor ihrem Tod zu erleiden hatten."

Auch die verminderte Schuldfähigkeit, die Wilfried Wagener von der Psychiaterin attestiert wurde, könne nicht zu einer Strafmilderung führen, sagte der Staatsanwalt. Der Angeklagte sei trotz seiner geringen Intelligenz durchaus in der Lage gewesen, das Unrecht seiner Handlungen zu erkennen. Auch seine Steuerungsfähigkeit sei nicht entscheidend beeinträchtigt gewesen. Das sei daran zu erkennen, dass es in einigen anderen Beziehungen zu Frauen nicht zu Gewalttätigkeiten gekommen sei.

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SZ vom 06.09.2018
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