Höxter:Experte zu Höxter: "Da müssen Sie alles als mögliche Spur bewerten"

Ermittlungen zu weiteren Opfern eines Paars in Höxter

Ermittler tragen Kartons aus dem Haus des beschuldigten Ehepaares in Höxter-Bosseborn.

(Foto: dpa)

Mindestens zwei Frauen wurden in einem Haus in Höxter-Bosseborn zu Tode misshandelt. Jetzt ist die Spurensicherung am Ort. Wie die Polizisten in solchen Fällen vorgehen.

Interview: Tanja Mokosch

Nachdem bekannt wurde, dass auf einem Hof in Höxter mindestens zwei Frauen zu Tode misshandelt wurden, ist die Polizei mit der Spurensicherung vor Ort. Das Haus werde genau abgesucht, teilten die Ermittler mit. Die Spurensicherung könne bis zu 15 Tage oder länger dauern. Doch wie geht man dabei eigentlich vor? Georg Prüfling ist Kriminalhauptkommissar a.D., ehemaliger Leiter des Erkennungsdienstes in Bonn und Dozent für "Kriminalistik & Tatortinspektion" an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg. Er erklärt, worauf es bei der Spurensuche ankommt.

Süddeutsche.de: Wie gehen die Ermittler die Spurensuche an?

Georg Prüfling: Spurensicherungsmaßnahmen sind standardisiert und zu Beginn der Spurensuche ist jeder Tatort erst einmal "offen". Das heißt, die Spurensuche ist am Anfang so konzipiert, dass sie keinen Tathergang von vornherein ausschließt. Spuren sind per Definition alle Veränderungen in der belebten und unbelebten Umwelt, die in Zusammenhang mit einer Straftat stehen können. Es werden alle Spuren, die tatrelevant erscheinen gesichert. Spuren, deren Tatrelevanz man nicht kennt, werden im Zweifelsfall auch gesichert - sofern man nicht ausschließen kann, dass sie relevant sind.

Was sind die Besonderheiten am Tatort in Höxter?

Im Fall von Höxter, wo den Berichten zufolge überhaupt nicht feststeht, wie viele Personen involviert waren, müssen Sie im Grunde alles als mögliche Spur bewerten. Das hat zur Folge, dass alles, was Spur sein könnte, festgestellt, fixiert, katalogisiert, gegebenenfalls sichergestellt und für kriminaltechnologische Untersuchungen im Labor bereitgestellt werden muss. Denn nur so haben Sie die Möglichkeit ein Untersuchungsergebnis zu bekommen, das ein Richter akzeptieren kann.

Wie viele Polizisten sind bei der Spurensuche im Einsatz?

Ein Einbruch ist ein Ein-Mann-Tatort. An einem Tatort wie in Höxter, wo man im Grunde überhaupt nicht weiß, was eine tatrelevante Spur ist und was nicht, da geht eine ganze Mannschaft rein.

Die Beschuldigte Angelika B. war noch einmal im Haus, nachdem sie bereits festgenommen war. Ist das für die Spurensicherung von Bedeutung?

Die Frau lebt in dem Haus. Da ist ja klar, dass alles voller Spuren von ihr ist. Das heißt, nicht alleine das Vorhandensein ihrer Spuren dort zählt, sondern nur die Spuren im Zusammenhang mit einem Tatgeschehen. Da wird es keine besondere Rolle spielen, ob die Polizei noch einmal mit der Frau ins Haus gegangen ist. Es muss nur vermieden werden, dass sie noch einmal Kontakt zu Gegenständen bekommt, von denen man schon weiß, dass sie später für die Beweisführung wichtig sind.

Die Ermittler haben bekanntgegeben, dass sie das Haus leergeräumt haben. Warum?

Aus meiner Erfahrung kann ich mir vorstellen, dass es dort Spuren gibt, die in Zusammenhang mit relevanten Handlungen entstanden sind. Zum Beispiel Blut und Speichel auf Möbeln. Aber es ist sehr schwierig, da zu spekulieren. Ich kann mir vorstellen, dass das alles Spurenträger sind, die bestimmte, angenommene Handlungsabläufe bestätigen oder widerlegen sollen.

Wo kommen die Möbel und andere Dinge aus dem Haus hin?

Wenn es darum geht Spuren zu sichern, geht alles zunächst zum Landeskriminalamt. Das sind die per Erlass des Innenministeriums vorgesehen Untersuchungsstellen. Es ist aber nicht auszuschließen, dass man mit bestimmten Untersuchungen externe Stellen beauftragt.

Wie sorgen die Polizisten vor Ort dafür, dass keine Spuren zerstört oder beeinträchtigt werden?

Ich kann mir vorstellen, dass an so einem komplizierten Tatort wie in Höxter erst einmal mit umfangreichsten Dokumentationsmaßnahmen begonnen wurde, bevor man überhaupt mit der Spurensicherung beginnt. Denn die wichtigste Maßnahme, um ein Spurenbild zu sichern, ist sorgfältige Dokumentation. Das beinhaltet die Dokumentation des gesamten Tatortes. Dafür gibt es 3D-Kameras, Lasermessgeräte usw. Damit wird der ganze Raum erfasst. Der kriminaltechnische Spurensicher nimmt dann im Einzelnen alles als Spur auf, was da ist, und dokumentiert es, indem er es beschreibt, zeichnet, skizziert, fotografiert, filmt.

"Dokumenation ist für den Gerichtsprozess unverzichtbar"

Welche Maßnahmen werden während der Spurensuche getroffen?

Auch die Vorgehensweise bei der Spurensicherung selbst muss dokumentiert werden. Wo und in welchem Zustand wurden die Spuren gefunden, welche Sicherungsmaßnahmen wurden getroffen? Zum Beispiel: Ich habe diese Fläche mit Mittel XY untersucht. Oder: Ich habe dieses Papier sichergestellt, danach wurde es in einem Labor in eine Flüssigkeit getaucht. Das macht man zum Beispiel, um Fingerspuren festzustellen. Je kleiner eine Spur ist, desto wichtiger ist es, haargenau zu dokumentieren, was ich getan habe. Das ist im Gerichtsprozess später unverzichtbar. Ein Beweis ist letztendlich nur das, was der Richter anerkennen kann.

Die Spurensuche beinhaltet immer auch umfangreiche Maßnahmen zum Spurenschutz. Man kennt das aus den Fernsehkrimis: Man geht nur mit Schutzkleidung zum Tatort und versucht erstens vorhandene Spuren nicht zu verändern und zweitens irreführende Spuren von außen nicht in den Tatort hineinzubringen.

In Höxter muss ein ganzes Haus "Zentimeter für Zentimeter" abgesucht werden, wie Leiter der Mordkommission es ausgedrückt hat. Wo fängt man da mit der Suche an?

Da gibt es kein Patentrezept. Generell teilt man die Spurensuche nach Räumlichkeiten auf. Man kann so einen Tatort quasi topografisch abarbeiten. Oft wird die Reihenfolge der Spurensuche durch Aussagen der mutmaßlichen Opfer, Zeugen oder Geständnisse mutmaßlicher Täter bestimmt. Da wird versucht, die Versionen der Betroffenen durch die Spurensuche zu bestätigen oder zu widerlegen.

Die Ermittler haben angekündigt, die Spurensicherung werde Tage oder sogar Wochen dauern. Was bedeutet das für die Spuren?

Es gibt Spuren, die sind flüchtig und es gibt Spuren, die bleiben dauerhaft. Bestimmte flüchtige Spuren, wie zum Beispiel Gase oder biologische Spuren, sind zeitnah zu sichern. DNA-Spuren, textile Faserspuren, alle Veränderungen an irgendwelchen Gegenständen, ein Schuhabdruck und solche Dinge verändern sich in der Regel nicht. Man hat also genügend Zeit, einen Tatort zu bewerten. Die Empfindlichkeit der Spuren wird im Allgemeinen berücksichtigt, vor allem bei sogenannten "ambivalenten Spurenträgern".

Was sind ambivalente Spurenträger?

Gegenstände zum Beispiel, die mehrere Arten von Spuren tragen. Das kann etwas sein, das durch den mutmaßlichen Täter irgendwie verändert wurde, worauf sich gleichzeitig ein Blutspritzer oder eine Textilfaser befindet, eine sogenannte Materialspur. Wenn der Spurenverursacher den Gegenstand dann noch angefasst hat, befinden sich darauf auch DNA-Spuren, also daktyloskopische Spuren.

Sie unterschieden verschiedene Arten von Spuren - je nachdem, was der mutmaßliche Täter oder ein mutmaßliches Opfer damit gemacht haben.

Genau. Und am Tatort findet man öfter Gegenstände, die mehreren Arten von Spuren tragen. Diese Spuren können in Konkurrenz zueinander stehen. Da muss man dann entscheiden, welcher Spurenart bei der Sicherung der Vorrang eingeräumt wird. Die einzelnen Spuren sind so zu sichern, dass es nicht zu gegenseitiger Beeinträchtigung durch die jeweilige Sicherungsmethode kommt. Je kleiner die Spur, desto schwieriger ist das: Eine Zigarettenkippe kann ich gut untersuchen, da ist viel DNA dran. An einer sogenannten Sekundärspur, also zum Beispiel einer Griffspur an einer Türklinke oder Tasse, habe ich durch Hautschweiß möglicherweise eine Übertragung von nur wenigen Körperzellen. Wenn ich da zuerst mit mechanischen Methoden vorgehe, habe ich die DNA vielleicht vernichtet.

Für welche Spur entscheiden sich die Ermittler dann im Zweifelsfall?

Wenn zu erwarten ist, dass eine Spurt zerstört werden muss, um eine andere zu sichern, ist das eine sehr schwierige Entscheidung am Tatort. In so einem Fall werden Ermittler und Staatsanwalt hinzugezogen. Sie müssen dann sagen: Wir konzentrieren uns jetzt auf diese Spurenart - unter dem Risiko, dass eine andere beeinträchtigt werden könnte. Das kommt zum Glück nicht allzu oft vor.

Was passiert mit den Spuren nach der Spurensicherung?

Die Spuren werden am Tatort nur sichergestellt, ihre Analyse findet im Labor statt. Die Analysemaßnahmen können noch einmal sehr viel Zeit in Anspruch nehmen, aber jede Spurenuntersuchung bedarf einer kriminaltechnischen Analyse, die ein Ergebnis liefert. Das Ergebnis wird dann von den Ermittlern interpretiert. Eventuell werden durch die Interpretation der Ergebnisse dann noch einmal Spurensicherungsmaßnahmen erforderlich.

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