Süddeutsche Zeitung

Hörfunk:Alles auf Anfang

Erinnerungen in acht Folgen mit den wichtigsten Reden zu einer Verfassung, die nicht so heißen sollte: Das Ringen ums Grundgesetz als spannende Doku-Hörspielserie.

Von Stefan Fischer

Das Grundgesetz war als Provisorium gedacht, das wird in der dokumentarischen Hörspiel-Serie Guter Rat nochmals deutlich. In deren acht jeweils halbstündigen Folgen werden wesentliche Debatten um die deutsche Verfassung nachgezeichnet, die eben gerade nicht Verfassung heißen sollte. Im Parlamentarischen Rat, der das Grundgesetz von Herbst 1948 bis Frühjahr 1949 ausgearbeitet hat, ist immer wieder auch über den Charakter dieses Gesetzeswerkes debattiert worden: Die Bundesrepublik, deren Gründung anstand, würde kein souveräner Staat sein, das Grundgesetz überdies auch nicht für alle Deutschen gelten können. Eine deutsche Verfassung könne es erst in einem wiedervereinigten und souveränen Deutschland geben, und über sie müsste dann noch einmal neu verhandelt werden. Davon ist eine Mehrheit der Rats-Mitglieder ausgegangen.

Es ist anders gekommen. Das Grundgesetz der Bundesrepublik stand nach seiner Annahme nie mehr ernsthaft zur Debatte, auch nicht bei der Wiedervereinigung Deutschlands. Das hängt wesentlich mit seiner Qualität zusammen. Als Glücksfall für die deutsche Demokratie wird es gerne bezeichnet. Das klingt ein wenig nach Zufall. Dabei waren sich die 66 Männer und vier Frauen, die dem Parlamentarischen Rat angehört haben, ihrer Verantwortung sehr bewusst. Insofern: kein Glückstreffer. Jedoch hätten viele Artikel des Grundgesetzes durchaus anders ausfallen können. Um die Inhalte wurde hart gerungen. Das macht Guter Rat sehr anschaulich.

Philip Steegers und Benjamin Quabeck haben die Protokollbände, in denen die Beratungsgespräche wortgetreu aufgezeichnet worden sind, ausgewertet und ein Kondensat zentraler Debatten erarbeitet. Eine Folge des Dokuhörspiels zeichnet den Streit um das Wahlrecht nach, eine andere folgt einer irrlichternden Diskussion, die schließlich doch in einen starken Satz mündet: "Die Würde des Menschen ist unantastbar." Gleichberechtigung, Volksentscheide, Zensur, die Rolle in Europa, die Rechte unehelicher Kinder und die Frage, ob man sich auf Gott berufen solle, stehen im Fokus der übrigen Folgen. Ein Quintett aus Regisseuren - Annette Kurth, Petra Feldhoff, Claudia Johanna Leist, Benjamin Quabeck und Thomas Leutzbach - hat diese Debatten inszeniert, zwei Drittel der Ratsmitglieder treten als Figuren auf, in toller Besetzung: unter vielen anderen sind Martina Gedeck, Judith Engel, Bernhard Schütz, Thomas Loibl und Hans-Gerd Kilbinger (als Konrad Adenauer) zu hören.

Vier Schriftsteller stehen je zwei Folgen als Pate bei. Frank Witzel, Terézia Mora, Georg M. Oswald und Özlem Dündar verknüpfen aktuelle Debatten mit den Werten des Grundgesetzes, sie hinterfragen Formulierungen, spielen mitunter den Advocatus Diaboli. So wird das Hörspiel-Projekt, das WDR, BRD und DLF für die gesamte ARD produziert haben, zu einer spannenden, lehrreichen, auch klug unterhaltsamen Gegenwarts-Debatte über unser Selbstverständnis.

Guter Rat, unter anderem WDR 3, Mittwoch bis Samstag, jeweils 19.04 Uhr in Doppelfolgen. NDR Kultur, Mittwoch, 20 Uhr, alle Folgen am Stück. DLF, Nacht zu Donnerstag, 0.05 Uhr, alle Folgen am Stück. Bayern 2, Donnerstag, 20.05 Uhr und Freitag, 21.05 Uhr, je vier Folgen. ardaudiothek.de

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Quelle:
SZ vom 22.05.2019
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