Süddeutsche Zeitung

Höhlenmensch auf Korsika:Räumungsklage für die Grotte

Seit 25 Jahren lebt Reinhard Treder auf Korsika. In einer Höhle, ohne Wasser und Strom. Jetzt droht ihm im Rentenalter die Räumung.

Als der deutsche Aussteiger Reinhard Treder im November 1982 auf Korsika ankam, schlief er zuerst in einer Ruine. Dann traf er den Bauern Simon, der ihm in der Nähe des Ortes Pianottoli-Caldarello im Süden der Insel auf seinem Grundstück mehrere Grotten zeigte. "Du kannst hier leben, bis Du stirbst", habe Simon gesagt.

25 Jahre später droht Treder im Rentenalter die Räumung. Eine Tochter des inzwischen verstorbenen Simon will den Deutschen und seine Lebenspartnerin Michaela aus der Höhle klagen.

"Es gab hier nichts als Gestrüpp", erzählt Treder und zeigt auf das Gelände um zwei Grotten. "Ich habe alles mit der Hand herausgerissen." Heute tummeln sich einige Hunde, Pferde, Schafe, Ziegen und Enten auf dem Grundstück.

Ohne Fernsehen, ohne Kühlschrank, ohne Strom

Eine Hütte steht am Eingang der Grotten, die als Schlafzimmer dienen. Michaela lernte Treder 2001 kennen, als die Raumausstatterin aus Deutschland Urlaub auf Korsika machte. Sie findet das Leben fernab der Zivilistation schön: ohne Fernsehen, ohne Kühlschrank, ohne Strom. Nur eine Wasserleitung sorgt für etwas Komfort, ein batteriebetriebenes Radio ist der Kontakt zum Rest der Welt. Michaela bleibt.

Ihr Essen produzieren die beiden Aussteiger selbst. Sie pflanzen und ernten. Dinge, die sie sonst brauchen, tauschen sie gegen Nahrungsmittel oder verdienen sie sich mit kleinen Arbeiten bei Bauern oder Leuten im Dorf. "Mit Simon, dem Besitzer, lief alles prima", erzählt Treder. "Ich zahlte ihm eine Miete, er war ein Freund."

Immer wieder kommen Besucher, seit die Grotten in einem alternativen Reiseführer stehen. Denn bei Treder können Gäste umsonst wohnen. Ein Paar kommt extra wieder, um ihr Kind bei ihm zu bekommen.

Ein anderes Mal kommt eine Besucherin in der Höhlenwohnung vorzeitig nieder. Als sie das Kind bei der Gemeinde von Pianottoli-Caldarello melden, ist der Bürgermeister begeistert: "Das ist das erste Bio-Baby, das wir hier haben", sagt er.

Die Probleme beginnen, als Simon stirbt. "Anfangs war seine Familie einverstanden, dass wir bleiben", sagt Treder. "Zusätzlich zur Miete kümmerten wir uns etwas um ihr Haus." Das Arrangement hält, bis eine der Töchter von Simon es sich in den Kopf setzt, die beiden "Hausbesetzer" zu vertreiben. Sie klagt, Treder legt Berufung ein, die Tochter klagt wieder, Treder verliert.

Die mündlich getroffene "Bis du stirbst"-Abmachung mit Simon lassen die Richter nicht gelten. Auch Treders Mietzahlungen verschaffen ihm vor der französischen Justiz kein Gewohnheitsrecht und die Erlaubnis zu bleiben.

Die Dorfbewohner stehen hinter Treder

Das Berufungsgericht von Bastia setzt schließlich für den 28. Oktober den Räumungstermin fest, mit 100 Euro Strafgeld für jeden weiteren Tag. "Wie sollen sie das zahlen?", empört sich ein befreundeter Anwalt. "Wohin sollen sie gehen? Sie leben außerhalb dieser Welt. Wenn man sie in eine Wohnung setzt, sterben sie."

Als Reinhard und Michaela vor ein paar Wochen ein Fest feiern, kommt ein Großteil der Dorfbewohner. Die meisten stehen hinter ihnen. Die Räumung bleibt dem Paar vorerst durch den hereinbrechenden Winter erspart, in dem diese verboten sind.

Doch im Frühjahr sieht es schlecht aus: "Ich kann nur das Gesetz anwenden", sagt der zuständige Behördenvertreter. "Es gibt keine Berufungsmöglichkeit mehr. Wir sind machtlos." Treder und seine Freundin geben die Hoffnung nicht auf. "Wir sind in Gottes Hand", sagen sie.

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AFP/cag
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