Höchsttemperaturen:Gefährliche Glut

Die anhaltende Hitze fordert in Indien mehr als tausend Todesopfer - und es kann sein, dass es erst in einigen Wochen wieder regnet. Besonders gefährdet sind Alte, Kinder und alle, die draußen arbeiten müssen.

Von Arne Perras, Singapur

Der Taxifahrer Shatrugnan Poddar aus Kalkutta, 52 Jahre alt, starb hinter dem Steuer, aber nicht wegen des ja tatsächlich mörderischen Verkehrs auf Indiens Straßen. Sondern wegen der Hitze. Um halb neun morgens hatte er seinen Dienst angetreten, wie immer, schon eine Stunde später fühlte er sich im kochenden Inneren seines Wagens so elend, dass er beschloss, eine Pause einzulegen. Er konnte gerade noch den Wagen parken, dann brach er am Lenkrad zusammen. Polizisten brachten ihn ins Krankenhaus, doch die Ärzte konnten den Mann nicht mehr retten.

Hitzetod in Indien: Stündlich kommen derzeit neue Fälle hinzu. In manchen Teilen des Subkontinents klettern die Temperaturen dieser Tage auf 50 Grad. Nachts kühlt es nur unmerklich ab, so dass Millionen Inder dem Dauerstress kaum entfliehen können. Innerhalb einer Woche sind bereits mehr als 1200 Hitzetote registriert worden, mehr als ein Drittel davon im südlichen Bundesstaat Andhra Pradesh. Die tatsächliche Zahl dürfte weit höher liegen, weil Todesfälle in entlegenen Dörfern Indiens oftmals nicht erfasst werden.

Am härtesten trifft es jene, die den ganzen Tag draußen schuften müssen: Bauarbeiter, Tagelöhner, Gärtner und Bauern. Oder solche, die nirgendwo ein schützendes Dach über dem Kopf finden: Straßenkinder, Obdachlose, Bettler. Und schließlich diejenigen, die damit beschäftigt sind, andere durch die Staus und den Smog zu transportieren, auf dem Fahrrad, mit der Motorradrikscha oder einem Taxi, von denen die meisten keine Klimaanlage haben. Das gilt besonders für die älteren Modelle des legendären "Ambassadors". Dem Morris Oxford nachempfunden, lief dieser Typ erstmals 1957 vom Band, vergangenes Jahr wurde seine Produktion eingestellt, doch noch sieht man ihn häufig auf den Straßen indischer Metropolen. An heißen Tagen wie diesen zeigt das Auto seine Schwächen - es ist im Inneren kaum auszuhalten ohne Kühlung. Die Gewerkschaft der Taxifahrer in Kalkutta hat nun nach mindestens zwei gemeldeten Todesfällen dazu aufgerufen, dass ihre Fahrer von 11 Uhr morgens bis vier Uhr nachmittags keine Kunden mehr transportieren sollen. Ob das gelingt, ist nicht sicher, denn der Bedarf ist groß.

Die Meteorologen machen den Menschen wenig Hoffnung, dass sich die Lage bald ändert. Zugleich betonen viele, dass die gemessenen Temperaturen doch nur wenig über dem Üblichen lägen, und das ist ja nicht ganz falsch: Hitzewellen bedrücken Indien regelmäßig, auch Tote infolge der Sonnenglut sind keine Seltenheit. Diesmal kommt allerdings ein besonders trockener Wind hinzu, der über das Land bläst. Alle ersehnen deshalb den Monsunregen, der im Juni erwartet wird und Erlösung von den Qualen der Hitze verspricht. Bis dahin bleibt den Menschen nur, in den Schatten zu flüchten und zu ruhen - wenn sie sich das denn leisten können.

Besonders gefährdet sind Ältere und Neugeborene

Ein Drittel der 1,2 Milliarden Inder hat keinen Strom und damit keine Möglichkeit, sich mit einem Ventilator Linderung zu verschaffen. In den Städten treibt die Hitze die Menschen in die klimatisierten Shopping Malls. Wer eine Fahrradrikscha betreibt, hat aber kaum eine Wahl. Diese Fahrer müssen meist von sechs Uhr morgens bis Mitternacht in die Pedale treten, um ein mageres Einkommen zu erzielen: Drei, vier Euro pro Tag. Jetzt, in den Wochen der größten Hitze, leiden sie besonders: Entweder müssen sie im Schatten dösen und verdienen keine einzige Rupie, weil sich die Kundschaft nicht aus den Häusern wagt. Oder sie strampeln sich, eingenebelt von Autoabgasen, bei über 45 Grad bis zur Erschöpfung ab und riskieren täglich Nierenversagen oder Hitzschlag.

Ärzte betonen, dass die Gefahren vor allem für die Älteren groß sind, zumal, wenn sie immer noch arbeiten, weil sie keine Rente beziehen. Ältere Menschen empfinden häufig kaum Durst, selbst wenn sie viel zu wenig getrunken haben. Das ist bei der aktuellen Wetterlage eine tödliche Gefahr. Und auch Neugeborene sind durch die Hitze stark gefährdet. Kinderärzte beobachten einen Anstieg von Virusinfektionen und eine Zunahme von Hautkrankheiten. Den Jüngsten droht insbesondere akutes Nierenversagen, wie Nephrologe Pankaj Bhansali in der Times of India erklärt. Auch Hirnschäden sind möglich, wenn die Eltern nicht aufpassen und der Wassermangel über längere Zeit anhält. Und das wird er wohl: Die Regenzeit in Indien beginnt erst in ein paar Wochen.

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