Hochzeitsvermittler in Gaza:Trauen ist gut, Kontrolle ist besser

Im Gaza-Streifen sorgen Heiratsvermittler für standesgemäße Hochzeiten - das nötige Geld spendiert wohl die Hamas. Ziel ist eine palästinensische Gesellschaft, die "von Tugend durchdrungen" ist.

Peter Münch, Gaza-Stadt

Es ist wieder einer dieser Tage, an denen der Laden leer bleibt. Mustafa Kanita sitzt umgeben von Tüll und Tand auf einem Hocker und sagt: "Vor ein paar Jahren war das ein gutes Geschäft, jetzt nicht mehr." Kaum einer will Brautkleider kaufen in diesen Zeiten, und Kanita packt das Problem in einen traurigen Dreiklang: "Keine Jobs, kein Geld, keine Hochzeiten." Tatsächlich gibt es wenig zu feiern im Gaza-Streifen, die Armut ist endemisch, und auch zum Heiraten fehlt heute vielen das Geld. Die Lage ist also ernst - doch hoffnungslos ist sie nicht. Schließlich gibt es ja noch Adham al-Baloji und seine "Gesellschaft für Heirat und Entwicklung".

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Verschleierte Bräute und herausgeputzte junge Hochzeitsgäste bei einer Massenvermählung im vergangenen Jahr in Rafah im Gaza-Streifen.

(Foto: AFP)

Nur ein paar Kilometer entfernt von Kanitas leerem Laden sitzt al-Baloji mit akkurat gestutztem Vollbart in seinem Büro im zweiten Stock der privaten Ummah-Universität, deren Vizepräsident er ist. Im Heiratsgeschäft ist er quasi nebenberuflich, aber sehr intensiv. Allein in den letzten beiden Jahren habe er ungefähr 2000 Ehen gestiftet, sagt er. "Das ist meine Art, meinem Volk zu helfen." Finanziert werde seine Arbeit durch Spenden, sagt er, mehr will er nicht verraten. Doch Eingeweihte vermuten, dass hinter der Ummah-Universität ebenso wie hinter der Hochzeits-Gesellschaft niemand anderes als die Hamas steckt, die im Gaza-Streifen ein ganzes Netz solcher Unternehmungen über die palästinensische Gesellschaft geworfen hat. Auch beim Heiraten wollen die Herrscher von Hamastan mitreden. Trauen ist gut, Kontrolle ist besser.

Die Aktivitäten des Hochzeitsvermittlers al-Baloji jedenfalls passen, obwohl geschlechtsübergreifend und damit eigentlich grundsätzlich verdächtig, ziemlich nahtlos ins Wertesystem der frommen Führung. In den Statuten ist viel vom "Kampf gegen das Laster" die Rede, als Ziel wird eine "palästinensische Gesellschaft, durchdrungen von der Tugend", angegeben. Die Gesellschaft braucht jedoch nicht nur Tugend, sondern auch Nachwuchs, und dafür müssen erst einmal die Paare gebildet werden - notfalls eben mit finanzieller Hilfe.

Denn eine Hochzeit mit allem Drum und Dran ist so kostspielig, dass sie eine Familie in den Ruin treiben kann. Zwar kann man sich seit der Machtübernahme der Islamisten die Kosten für den Alkohol sparen. Aber ein paar hundert Gäste als Minimum wollen trotzdem bewirtet werden, und wenn es auch nur im schäbigen Zelt vor dem eigenen Haus statt in einem der üppig- orientalischen Hochzeits-Paläste ist.

Zuständig fürs Fest ist die Familie des Bräutigams, die obendrein auch noch das Brautgeld in Form von Gold und Geschmeide abzuliefern hat. Für all jene, die das überfordert, kann al-Baloji in den Hilfstopf greifen. Ein paar hundert Euro Zuschuss darf er immer gewähren, obendrein bietet er für Bedürftige einen kompletten und kostenlosen Küchenservice fürs Hochzeitsmahl an. Und als günstige Alternative organisiert er auch noch Massenhochzeiten.

Traditionspflege auf eigene Art

Doch bevor es soweit ist, müssen erst einmal die passenden Paare gefunden werden. Oft übernehmen das die Familien, Cousins und Cousinen werden gern zusammengebracht. Doch als Alternative können sich die Hochzeitswilligen im Gaza-Streifen auch vertrauensvoll an die "Gesellschaft für Heirat und Entwicklung" wenden - und "Namen und Mobilfunknummer hinterlassen für die Datenbank", wie al-Baloji sagt. Bevor er ein Paar vermittelt, müsse er allerdings, vor allem bei den Frauen, auch noch "mit dem Vater, mit dem Onkel, mit dem älteren Bruder" reden, sagt er. "Das sind unsere Traditionen." Zur Traditionspflege zählt es überdies, dass auch die Vielehe gefördert wird. "Auch wenn ein Mann eine vierte Frau heiraten will, dann suchen wir ihm eine", verspricht er.

Stolz aber ist er vor allem auf die Sonderaktionen, die jedes Jahr für eine andere Zielgruppe veranstaltet werden. Einmal waren es die Intifada-Kämpfer, einmal die Blinden, die al-Baloji unter die Haube gebracht hat. Erfolgreich war er auch im letzten Jahr, als er nach dem Gaza-Krieg Ehefrauen für Kriegsversehrte suchte. "75 Männer haben wir vermittelt", sagt er, und gern erinnert er sich an eine Frau, die ihn anrief, nachdem er die Aktion in einem Fernseh-Interview bekanntgemacht hatte. "Ich möchte spenden", hat sie gesagt, und er fragte, wie viel sie denn geben wolle. "Ich habe zwei Töchter", erklärte die Frau daraufhin, und al-Baloji freut sich noch heute "über diese Art von Opfer, die etwas ganz Besonderes ist".

Pläne für die Sonderaktion im nächsten Jahr hat er auch schon. "Da geht es um die Alten", sagt er, "um alle, die über 30 sind und noch nicht verheiratet."

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