SZ-Serie "Ein Anruf bei...":"Wir sind mittlerweile Profis im Inselleben"

Hochwasser in NRW

Insel auf Zeit: Rees-Grietherort in Nordrhein-Westfalen, hier eine Drohnenaufnahme aus dem Jahr 2018, wird fast in jedem Winter vom Wasser eingeschlossen.

(Foto: Arnulf Stoffel/dpa)

Familie van Schöll lebt seit Dienstag auf einer Insel - mitten in Nordrhein-Westfalen. Denn die Gemeinde Rees-Grietherort wurde durch Hochwasser von der Außenwelt abgeschnitten.

Von Sandra Belschner

Am Dienstag wurden die 49 Einwohner von Rees-Grietherort zu Inselbewohnern: Das steigende Hochwasser hat die Gemeinde am Niederrhein von ihren Zufahrtsstraßen abgeschnitten. Seitdem kommen die Anwohner nur noch mit Bienchen zur Arbeit oder in den Supermarkt, einem Boot, das von der Feuerwehr gefahren wird. Ein Anruf bei Teilzeit-Insulanerin Sandra van Schöll.

SZ: Frau van Schöll, Sie und Ihre Familie leben neuerdings auf einer Insel. Über die oft gestellte Frage, welche drei Dinge Sie auf eine einsame Insel mitnehmen würden, denken Sie sicherlich anders nach als die meisten anderen Leute.

Sandra van Schöll: Ja (lacht). Für die Antwort muss ich nicht lange überlegen: Als Erstes würde ich meine beiden Dackel Oskar und Klein Pauli mitnehmen, um die Ruhe der Insel bei den Spaziergängen zu genießen. Außerdem habe ich mir "Becoming" gekauft, die Autobiografie von Michelle Obama. Und meine Familie darf natürlich auch nicht fehlen, um die geschenkte Zeit der Entschleunigung mit Gesprächen füllen zu können. Es ist in der Tat ein bisschen wie Urlaub in der Heimat.

Bei einigen Menschen lautet die Antwort auf die Frage: ein Boot, um von der Insel zu kommen. Haben Sie darüber schon mal nachgedacht?

Tatsächlich haben wir uns vorgestern Abend ein eigenes Boot gekauft. Die Feuerwehr ist zwar für uns da und fährt dreimal täglich. Aber wir wollten einfach flexibler sein. Wir haben das die vergangenen Jahre oft genug mitgemacht, also haben wir gesagt: Es ist jetzt Zeit für ein eigenes Boot! Heute wird es geliefert.

Und wie bringt der Lieferdienst das Boot auf die Insel?

Mein Mann und ich holen das Boot mit unserem großen Caddy selbst ab, der steht zum Glück sicher auf der Landseite. Dann wird das Boot mithilfe eines Traktors ins Wasser gelassen und wir fahren damit zurück zur Insel.

Braucht man dafür einen Bootsführerschein?

Es kommt darauf an, welche Motorisierung man hat. Wir haben uns für einen Elektromotor entschieden, weil wir im Vogelschutzgebiet wohnen. Dafür brauchen wir keinen Führerschein und dürfen ins Naturschutzgebiet fahren.

SZ-Serie "Ein Anruf bei...": Sandra van Schöll, 45, mit den Dackeln Oskar und Klein Pauli. Gemeinsam mit ihrem Mann betreibt sie eine kleine Speditionsfirma.

Sandra van Schöll, 45, mit den Dackeln Oskar und Klein Pauli. Gemeinsam mit ihrem Mann betreibt sie eine kleine Speditionsfirma.

(Foto: privat)

Haben Bewohner auch schon mal versucht, mit einem Paddelboot oder einer Luftmatratze das Wasser zu überqueren?

Ja, in der Tat. Das ist skurril und gleichzeitig gefährlich, weil immer wieder vor Strömungen gewarnt wird. Es haben auch schon Leute versucht, mit einem SUV durch das Wasser zu fahren, und dann hat der Motor auf halber Strecke versagt. Auch einfache Schlauchboote habe ich schon auf dem Wasser gesehen. Da ist die Kreativität der Leute schon sehr groß.

Wie ist die Stimmung unter den Anwohnern im Moment?

Für uns persönlich ist die Situation in diesem Jahr wegen Corona einfacher. Unser Sohn Simon kann durch den Distanzunterricht trotzdem ganz normal an den Stunden teilnehmen. Das war in den letzten Jahren, als wir Hochwasser hatten, nur sehr bedingt möglich gewesen. Und auch sonst ist die Stimmung hier ganz gut. Wir haben das Wasser zwar ringsherum, aber es steht noch nicht in den Häusern, und wir haben eine gesicherte Strom- und Wasserversorgung. Für uns geht das Leben ganz normal weiter. Die Situation wäre natürlich anders, wenn der Rhein noch um 1,50 Meter ansteigen würde.

War das schon mal der Fall?

1993 und 1995 waren wir von Jahrhunderthochwassern betroffen. Da standen einige Keller unter Wasser.

Wird die Gemeinde jeden Winter zur Insel?

Ja, kann man eigentlich so sagen. Das Hochwasser wurde in den vergangenen Jahren auch immer mehr.

Wie bereiten Sie sich darauf vor?

Wir sind mittlerweile Profis im Inselleben. Wir haben die Wetterlage immer im Blick. Wenn in Süddeutschland viel Schnee fällt und anschließend die Temperaturen wieder nach oben gehen, bereiten wir uns schon mal vor und gucken, dass wir genug Nahrungsmittel zu Hause haben und die Heizöltanks aufgefüllt sind. Man weiß natürlich nie so genau, wie lange das Wasser steigt und wie lange es dann letztendlich dableibt. Manchmal sind es nur drei oder vier Tage.

Gibt es dieses Mal schon eine Prognose?

Es scheint länger zu dauern. Ich habe mit der Feuerwehr telefoniert, sie meinte, dass das Wasser noch bis mindestens Ende nächster Woche so hoch stehen wird, dass wir mit dem Auto nicht von unserer Insel kommen. Es gab auch schon Jahre, da waren wir 14 Tage abgeschieden.

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