Monsunregen:Verdursten in den Fluten

Lesezeit: 3 Min.

Menschen, die vor der Flut geflüchtet sind, stehen im Ort Sunamganj in Bangladesch vor ihrer Notunterkunft. (Foto: Mahmud Hossain Opu/AP)

In Bangladesch und Indien sind bereits mindestens 69 Menschen an den Folgen heftiger Regenfälle und Überschwemmungen gestorben, Millionen sind auf der Flucht. Was Naturkatastrophe genannt wird, ist aber vermutlich menschengemacht.

Von David Pfeifer, Bali

Die gute Nachricht für Millionen Menschen in Bangladesch: "Seit gestern Morgen regnet es nicht mehr. Wenn es so bleibt, wird das Wasser zurückgehen und wir können mehr Leute in Sicherheit bringen und Hilfe schicken", erklärt Kamlesh Vyas, 47, am Mittwoch dieser Woche am Telefon. Vyas koordiniert für die Schweizer Hilfsorganisation Helvetas die Aktionen vor Ort. Seit dem vergangenen Wochenende wurden mindestens 69 Frauen, Männer und Kinder in Bangladesch und Indien durch heftigen Regen, Erdrutsche und Blitzeinschläge getötet. Die Flüsse in Bangladesch sind über die Ufer getreten, unter ihnen der Brahmaputra, einer der größten Flüsse Asiens. Etwa 3000 Dörfer wurden überschwemmt.

Wie viele Tote und Vertriebene es am Ende sein werden, kann man bisher kaum abschätzen, weil diese Katastrophe sich wie in Zeitlupe entfaltet. Am Dienstag navigierten Truppen des zu Hilfe gerufenen Militärs mit Schlauchbooten durch die brackigen Fluten, um Menschen zu retten oder Lebensmittel und Trinkwasser an einige der 9,5 Millionen Eingeschlossenen zu liefern. Was sie umspült, ist Schlammwasser, das man nicht trinken kann.

"Erst mal müssen wir möglichst viele Menschen vor der unmittelbaren Bedrohung retten, einige sind seit mehr als 24 Stunden im Wasser. Sie können sich weder ernähren noch haben sie Kannen oder Töpfe, um Regenwasser zu sammeln", erklärt Kamlesh Vyas. Manche sitzen auf den Dächern ihrer Häuser fest, wenn diese nicht weggerissen wurden, wo sie verdursten oder verhungern, wenn man sie nicht abholt. Andere konnten sich in Evakuierungszentren wie Krankenhäuser oder Schulen flüchten und sind dort dringend auf Nahrungsmittel und weitere Hilfe angewiesen.

Manche sitzen auf den Dächern ihrer Häuser fest, rundherum Wasser. (Foto: MAMUN HOSSAIN/AFP)

"Sieben Hilfsorganisationen sind aktiv in der Gegend, die stimmen sich ab und helfen, je nachdem, wo die Not am größten ist. Sie verteilen Nahrungsrationen, Trinkwasser, Plastikplanen und bauen Notunterkünfte", sagt Vyas. Einerseits gibt seine Organisation hierfür Geld, "aber wir bereiten uns auch auf die zweite Phase vor, wenn die Menschen gerettet sind, aber nichts mehr haben". Mindestens 50 000 Tiere sind ebenfalls von den Fluten betroffen, Ziegen, Kühe, Schweine.

Niederschläge ohne Beispiel

Die Niederschläge der vergangenen Tage sind ohne Beispiel, seit Beginn der Wetteraufzeichnungen. Auch der indische Bundesstaat Assam ist betroffen, von dort flossen die Fluten bergab in Richtung Bangladesch. "Die nördlichen und nordöstlichen Regionen von Bangladesch wurden gleichzeitig von einer Flutwelle und vom Monsunregen getroffen, das hat die besonders schlimme Situation verursacht", erklärt Vyas. Ernten wurden zerstört und Straßen weggerissen. Sobald die unmittelbare Not also gelindert ist, muss man in den kommenden Tagen und Wochen die Infrastruktur wieder aufbauen.

Soldaten helfen einer schwangeren Frau aus einem Boot. (Foto: MD ABU SUFIAN JEWEL/AFP)

Bangladesch hat etwa 160 Millionen Einwohner und liegt tief, es ist besonders durch klimabedingte Naturkatastrophen bedroht. Nach Angaben der "Vereinten Nationen" (UN) müssen etwa 17 Prozent der Menschen in Bangladesch in den nächsten zehn Jahren umgesiedelt werden, wenn die globale Erwärmung im derzeitigen Tempo anhält.

"Die starken Monsunwinde im Golf von Bengalen können viel mehr Feuchtigkeit transportieren", erklärte Roxy Mathew Koll, Klimawissenschaftlerin am "Indian Institute of Tropical Meteorology" der Nachrichtenagentur Reuters. "Die großen Niederschlagsmengen, die wir jetzt sehen, könnten eine Folge des Klimawandels sein." Wärmere Luft nimmt mehr Wasserdampf auf, bevor die Regenwolken schließlich platzen und heftiger Regen niederprasselt.

Die Monsunmuster haben sich in den letzten Jahrzehnten verändert, da die Durchschnittstemperatur in Bangladesch seit 1976 um mindestens 0,5 Grad Celsius gestiegen ist. Die Wissenschaftler gehen davon aus, dass die Regenfälle in Zukunft unregelmäßiger und sintflutartiger werden, wenn die globalen Temperaturen weiter steigen. Auch Kamlesh Vyas, der im Nachbarland Indien geboren wurde, hat keinen Zweifel daran, dass die sogenannte Naturkatastrophe, die die Region heimsucht, in Wahrheit menschengemacht ist.

"Die wirkliche Arbeit geht erst los, wenn die Flüsse zurückgegangen sind"

In seiner Heimat wurden wegen der Überflutungen Zugverbindungen gestrichen. In der Stadt Haflong, im südlichen Assam, stand der Bahnhof unter Wasser, und überschwemmte Flüsse lagerten Schlamm und Schlick entlang der Bahngleise ab. Der Flugbetrieb auf dem internationalen Flughafen Osmani in Sylhet, im nordöstlichen Bangladesch, wurde für drei Tage ausgesetzt, da das Hochwasser nach Angaben des Flughafenmanagers fast die Startbahn erreicht hat.

In Sylhet inspiziert eine Familie, was die Flut ihnen gelassen hat. (Foto: Mahmud Hossain Opu/AP)

Die Gegend um Sylhet ist besonders hart betroffen. Und nun ist es besonders schwierig, Hilfe dorthin zu schicken. Schulen wurden zu Notunterkünften umfunktioniert, um ganze Dörfer zu beherbergen, die innerhalb weniger Stunden von Flüssen überschwemmt wurden. "Doch die wirkliche Arbeit geht erst los, wenn die Flüsse zurückgegangen sind", erklärt Kamlesh Vyas. Die Betroffenen sind häufig nur mit dem geflohen, was sie am Leib tragen. Sie haben ihre Häuser verloren, alles, was darin war, ihr Vieh und das Futter für die Tiere. Es wird ihnen jegliche Existenzgrundlage fehlen, wenn das Wasser wieder weg ist.

© SZ/reuters - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Erdbeben in Afghanistan
:Eine Katastrophe epischen Ausmaßes

Mehr als 1000 Menschen sind bei dem Erdbeben ums Leben gekommen, mehrere Hundert warten auf Versorgung. Doch seit die internationale Gemeinschaft Afghanistan verlassen hat, fehlt es in den Krankenhäusern an allem.

Von Tobias Matern

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: