Seit der Hochwasserkatastrophe fließt Abwasser ungereinigt und ungeklärt in die Ahr. Alle Kläranlagen im Ahrtal seien von den Überschwemmungen betroffen und beschädigt worden, teilte ein Sprecher der Struktur- und Genehmigungsdirektion Nord in Koblenz mit. Fachleute besprechen demnach gerade mit den Abwasserwerken, ob und wie Anlagen wieder in Betrieb genommen werden könnten. Man strebe zunächst an, zumindest eine mechanische Grundreinigung zu erreichen.
"Der Fokus vor Ort liegt im Moment auf dem Seuchenschutz", sagte der Sprecher. So müsse zum Beispiel gewährleistet werden, dass "eine Vorflut" bis in die Ahr besteht. Konkret heißt das, dass die Abwässer inklusive Fäkalien aus den Ortschaften geleitet werden müssen. Solange die Abwassersysteme nicht wieder wenigstens provisorisch repariert seien, werde Abwasser weiter ungeklärt in die Ahr fließen.
Noch lasse sich nicht sagen, wie belastet die Ahr momentan sei, sagte der Sprecher weiter. Mit der Hochwasserwelle seien auch Schadstoffe in die Ahr gelangt. Daher raten Landesbehörden von Kontakt mit Ahr-Wasser ab, sofern dies aus Gründen der Aufräumarbeiten nicht zwingend erforderlich sei. Vorsichts- und Schutzmaßnahmen wie das Tragen von Handschuhen und wasserdichter Kleidung sollten eingehalten werden.
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"Dass Kraftstoff, Chemikalien, Darm- und Colibakterien sowie Giftstoffe in die Ahr geflossen sind, ist natürlich sehr wahrscheinlich", teilte der Sprecher der Koblenzer Behörde mit. Ein Messprogramm zur Überwachung der Ahr werde vermutlich nächste Woche zumindest an den bereits zugänglichen Messstellen starten.
Weiter routinemäßig überwacht werde die Wasserqualität des Rheins, in den die Ahr fließt. "Unseres Wissens sind aber bislang keine nennenswerten Auffälligkeiten gemeldet worden." Für die Rhein-Messstation Bad Honnef zum Beispiel sei gemeldet worden, dass bisher keine Auffälligkeiten aufgetreten seien, die auf den Ausfall der Kläranlage Sinzig oder auf größere Einträge von wassergefährdenden Stoffen zurückgeführt werden könnten. (31.07.2021)
Grüne plädieren für Bundestags-Sondersitzung
Die Grünen haben die Forderung der FDP nach einer Sondersitzung des Bundestages zur Hochwasserkatastrophe unterstützt. "Auch wir setzen uns dafür ein, dass das Parlament zu einer Sondersitzung des Bundestages zu den Auswirkungen der Flutkatastrophe zusammenkommt", sagte die Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen, Britta Hasselmann, dem Redaktionsnetzwerk Deutschland.
Nach den ersten Schadensermittlungen und der akuten Nothilfe müsse im Bundestag nun zeitnah über einen Wiederaufbau-Fonds für die betroffenen Menschen und Regionen entschieden werden. Darüber hinaus müsse außerdem über konkrete Maßnahmen der Klimavorsorge und des Klimaschutzes beraten werden, so Hasselmann. Für die Einberufung einer Sondersitzung muss ein Drittel der Bundestagsabgeordneten dafür stimmen. Grüne und FDP brauchen deswegen weitere Fraktionen, die ihr Anliegen unterstützen. (31.07.2021)
- Wer warnt im Katastrophenfall? (SZ Plus)
Dreyer: 135 Tote in Rheinland-Pfalz
In Rheinland-Pfalz erstreckt sich das Schadensgebiet der Flutkatastrophe nach Angaben von Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) über mehr als 50 Kilometer. Anwohner und Helfer leisteten "Übermenschliches" bei der Bewältigung der Hochwasserschäden, sagte Dreyer am Freitag in Ahrweiler. Auch rund zwei Wochen nach der Flutkatastrophe gehe es weiter jeden Tag darum, Trümmer aufzuräumen und Grundlagen für einen Wiederaufbau der Regionen zu schaffen.
Viele Menschen seien nach Wochen körperlicher Arbeit und enormer psychischer Belastung erschöpft. Die Ministerpräsidentin versicherte: "Wir lassen die Menschen im Katastrophengebiet nicht allein."Ausdrücklich betonte Dreyer: "Die Toten sind nicht vergessen." Die Zahl der Toten in Rheinland-Pfalz stieg nach Angaben von Freitag auf 135. Immer noch werden 59 Menschen vermisst. (30.07.2021)
Mängel in der medizinischen Grundversorgung
Zwei Wochen nach den verheerenden Fluten in Rheinland-Pfalz haben Amtsärzte erhebliche Mängel in der medizinischen Grundversorgung in den Hochwassergebieten kritisiert. Die Situation sei "nach wie vor erschreckend" und in den betroffenen Regionen herrsche Seuchengefahr, sagte die Vorsitzende des Bundesverbands der Ärztinnen und Ärzte des öffentlichen Gesundheitsdienstes, Ute Teichert, den Zeitungen der Funke Mediengruppe.
Hochwasser:Wer warnt im Katastrophenfall?
Seit einem gründlich misslungenen Test im vergangenen Jahr war klar, dass die Alarmierung der Menschen im Katastrophenfall nicht klappt. Nun wollen die Grünen eine radikale Reform - und der zuständige Minister sagt: "In aller Ruhe".
Die Gesundheit der Bevölkerung in den Katastrophengebieten sei "massiv bedroht, weil die Infrastruktur nicht funktioniert". Unter anderem seien in einigen Orten Krankenhäuser und Praxen zerstört worden. Teichert, die bis 2012 das Gesundheitsamt im flutbetroffenen Landkreis Ahrweiler leitete, erklärte, dass viele Menschen ohne dringend benötigte Medikamente auskommen müssten. Das sei besonders für Menschen mit Krankheiten wie Diabetes oder Herzleiden ein großes Problem, hieß es in dem Zeitungsbericht. Nun sei es wichtig, mobile Arzteinheiten zu organisieren und in die Orte zu bringen. (29.07.2021)
Bundesregierung verurteilt Querdenker-Desinformation
Die Bundesregierung hat sogenannten Querdenker-Gruppen eine bewusste Desinformation in der Flutkatastrophe vorgeworfen und dies scharf verurteilt. Es sei "besonders niederträchtig und verwerflich", wie Menschen, die den Querdenkern zugerechnet würden, zur Verunsicherung von Flutopfern beitrügen, sagte die stellvertretende Regierungssprecherin Ulrike Demmer.
Es sei gut, dass die örtliche Polizei sehr schnell reagiert habe und es eine breite Medien-Berichterstattung über die Fälle gebe. Die Desinformation und Falschinformationen untergrüben auch das Vertrauen in die freiwilligen Helfer. Unter anderem kursierten auf Social-Media-Kanälen falsche Spendenaufrufe. In den vergangenen Tagen hatte es immer wieder Berichte gegeben, dass auch Helfer etwa des Technischen Hilfswerkes (THW) angegriffen worden seien.
"Eine Instrumentalisierung dieses schlimmen Geschehens, das Konterkarieren von unmittelbar wichtigen Hilfsleistungen und das Ausnutzen der angespannten Lage der Menschen vor Ort, verbunden mit Mobilisierungsversuchen, ist hier klar zu erkennen", sagte Demmer mit Blick auf die Hochwassergebiete insgesamt. Details nannte sie nicht. Bereits in der Corona-Pandemie sei zu sehen gewesen, wie sogenannte Reichsbürger und Selbstverwalter, Verschwörungsanhänger und Rechtsextremisten versucht hätten, die Gesellschaft unter dem Deckmantel der Demonstrations- und Meinungsfreiheit und einer legitimen Kritik an staatlichen Maßnahmen zu spalten.
Demmer bedankte sich zudem für die weltweiten Beileidsbekundungen in der Hochwasserkatastrophe und für zahlreiche Hilfsangebote aus dem Ausland. So habe ein Feuerwehrteam aus Polen mit 150 Trocknungsgeräten geholfen. "Für die deutsch-polnischen Beziehungen ist das ein sehr schönes Zeichen."
- Querdenker im Katastrophengebiet (SZ Plus)
Innenminister Reul: Keine Vermissten mehr in NRW
Zwei Wochen nach der Flutkatastrophe werden in den betroffenen Gebieten Nordrhein-Westfalens keine Menschen mehr vermisst. Das sagte Innenminister Herbert Reul am Mittwoch im Landtags-Innenausschuss. Bei der "größten Flutkatastrophe in der Geschichte unseres Landes" seien 47 Menschen ums Leben gekommen, vier von ihnen seien Feuerwehrleute.
Nach bisherigen Erkenntnissen wurden 23 Menschen vermutlich auf der Straße von den Wassermassen erfasst und in den Tod gerissen, wie der CDU-Politiker bei der Sondersitzung in Düsseldorf berichtete. 23 Personen habe man leblos aus ihren Wohnräumen oder Kellern geborgen. In einem Fall konnte die Todesursache noch nicht geklärt werden. Reul sagte, Experten gingen von "mindestens" einem Jahrhundert-Unwetter aus. Bis zu 23 000 Kräfte von Feuerwehr, Hilfsorganisationen, Technischem Hilfswerk und Krisenstäben seien im Einsatz gewesen.
Bei den Aufräumarbeiten sei es zu mehreren Straftaten gekommen, sagte Reul. Bisher seien 65 Fälle von Diebstahl und 31 Fälle von besonders schwerem Diebstahl sowie zwölf Betrugsfälle bekannt geworden. Vielfach seien Einsatzkräfte durch Schaulustige behindert worden, hier habe man mehr als 4300 Platzverweise ausgesprochen.
Im benachbarten Rheinland-Pfalz kamen laut Polizei mindestens 133 Menschen ums Leben, 73 Personen werden im Ahrtal noch vermisst. (28.07.2021)