Wetter:Was die Hitze mit Deutschland anstellt

Hitze in Deutschland · Straubing

Deutschland: Aktuell das Land mit den ständig neuen Temperatur-Rekorden.

(Foto: dpa)
  • Am vergangenen Mittwoch ist an zwei Orten in Ostdeutschland der bisherige Juni-Rekord (er stammt aus dem Jahr 1947) geknackt worden.
  • Den bisherigen Juni-Höchstwert hatten Meteorologen vor mehr als 70 Jahren mit 38,5 Grad im baden-württembergischen Bühlertal gemessen.
  • Die Auswirkungen solcher Extreme auf die generell leicht erhitzbare deutsche Seele waren Thema in den Medien etlicher Länder.

Von Martin Zips

Mit den Siebenschläfern verhielt es sich im Jahr 251 nach Christus so: Sieben Männer hatten in einer Berghöhle nahe der Stadt Ephesus Schutz vor den Mördertruppen des römischen Kaisers Decius gesucht - und alle waren sie dort irgendwann eingeschlafen. Die Höhle muss eine ausgesprochen angenehme Schlaf-Temperatur gehabt haben, denn die sieben schliefen dort beachtliche 195 Jahre lang. Ihnen, nicht dem Nagetier, ist der Siebenschläfertag am 27. Juni gewidmet. Er wurde, nach längst überholtem Aberglauben, einst als wetterbestimmender Lostag gedeutet.

Wäre der 27. Juni wirklich ein Lostag, so müsste Deutschland freilich ab sofort sieben Wochen lang mit einem Temperaturgefälle von 20 Grad leben. Im äußersten Norden erreichte die Temperatur an diesem Donnerstag angenehme 18 Grad Celsius, im Süden bis zu 38. Schon einen Tag zuvor, am vergangenen Mittwoch, war an zwei Orten in Ostdeutschland der bisherige Juni-Rekord (er stammt aus dem Jahr 1947) geknackt worden. Im brandenburgischen Coschen und im sächsischen Bad Muskau wurden jeweils 38,6 Grad registriert. Den bisherigen Juni-Höchstwert hatten Meteorologen vor mehr als 70 Jahren mit 38,5 Grad im baden-württembergischen Bühlertal gemessen. Und jetzt jagte zwischen Ems und Stillach ein Juni-Rekord den nächsten.

Die Auswirkungen solcher Extreme auf die generell leicht erhitzbare deutsche Seele, sie waren Thema in vielen Ländern. Der britische Guardian etwa eröffnete einen Bericht über die europäische Hitzewelle mit einem Tweet der Polizei Brandenburg. Dieser zeigte einen Motorroller-Fahrer, der - bis auf Helm und Sandalen - so gar nichts am Körper trug. Schau mal, dürften sich die Briten da gedacht haben, so etwas ist offenbar normal auf dem europäischen Festland.

Auch in Italien wunderte sich La Repubblica über den nackten Zweiradfahrer, vor allem aber über die Reaktion der Brandenburger Ordnungshüter: "Das ist nicht verboten." Und auch der Bikini-Oberteil-Streit an der Isar spielte in der internationalen Berichterstattung eine nicht unbedeutende Rolle. "Münchens Topless-Frauen entzünden heiße Diskussionen über Nacktheit", meldete etwa Russia Today, und auch der New Zealand Herald berichtete darüber, allerdings unter Verwendung eines Fotos aus dem Ostseebad Binz. Und klar, natürlich registrierte man da und dort auch, dass es am völlig überfüllten Waldsee von Raunheim unter hessischen Badewilligen zu wüsten Steinwürfen gekommen war.

Friedliebende Deutsche jedenfalls wünschten sich nichts sehnlicher als eine kühle Berghöhle, in der sie, wenn schon nicht 195 Jahre, so doch zumindest bis zum nächsten Morgen gut durchschlafen könnten. Dass gerade während tropischer Nächte die Zahl der Fälle häuslicher Gewalt deutlich ansteigt, das hat ja auch der US-Psychologe Craig A. Anderson mit seiner "Heat Hypothesis" oft belegt.

Fest steht: So richtig entspannend war die Mischung aus hoher Lufttemperatur, geringer Windgeschwindigkeit und großer Luftfeuchtigkeit eher nicht. Laut einer Studie der New Yorker Columbia University zum Klimawandel aus dem Jahr 2017 sterben in Europa durchschnittlich mehr als 28 000 Menschen jährlich durch Hitze, gut 5600 davon in Deutschland. Im Extremjahr 2003 verzeichneten die Statistiker sogar 70 000 zusätzliche Tote. Schon den Gnostikern galt die Hitze neben der Kälte, der Nässe und der Trockenheit als Quelle alles Bösen.

Zwischen 1880 und 2005 jedenfalls hat sich die Länge von Hitzewellen in Europa verdoppelt, ihre Ausschläge wurden extremer. Und so verwundert es auch nicht, dass man in Litauen von bereits 27 Badetoten im Juni zu berichten weiß. Das polnische Innenministerium hat bisher gar 90 Badetote gezählt. In Deutschland sollen es allein am Mittwoch mindestens drei gewesen sein.

Und egal, wie oft die südländische Siesta hierzulande als alternatives Lebensmodell gepriesen wird. So lustig ist die Lage auch in Spanien (zeitweise 44 Grad in 33 der 50 spanischen Provinzen, Waldbrände in Katalonien) und Italien (im 40 Grad heißen Mailand verteilten freiwillige Helfer diese Woche mehr als 10 000 Wasserflaschen an Bedürftige) derzeit nicht.

"Und was du tust, tue es nie in der Hitze. Überdenke kalt! Und führe mit Feuer aus!"

Doch Deutschland - wo in Bonn gerade die UN-Klimaexperten zehn Tage lang in ungewöhnlicher Hitze tagten - beschäftigt neben ständig neuen Temperatur-Rekorden vor allem seine hitzebedingten Tempolimits auf den Autobahnen, etwa in Sachsen-Anhalt oder Brandenburg. Natürlich auch die sommerlichen Auswirkungen auf den regionalen Bahnverkehr (verbogene Gleise im Osten, ausgefallene Klimaanlagen im Westen). Und: Lüften ist auch ein Thema. Das Holzkirchener Fraunhofer Institut für Bauphysik rät laut dpa: "Man sollte immer dann die Fenster öffnen, wenn es draußen kühler ist als drinnen." Immerhin hat ein Hamburger Boulevard-Blatt seinen Lesern in einer Verlosung gerade 1000 Ventilatoren versprochen. Lostag also mal ganz anders. Und in Innsbruck und Salzburg haben die Fiaker hitzefrei. Denn, daran hat gerade auch die Präventionsexpertin einer österreichischen Versicherungsanstalt noch einmal alle Verkehrslenkerinnen und Verkehrslenker erinnert: Bei Temperaturen von mehr als 35 Grad ist "mit einer Leistungseinbuße von 50 Prozent zu rechnen". Gilt natürlich auch für Droschkenlenker mit nur einer Pferdestärke.

Man weiß wirklich nicht, ob man jetzt tauschen möchte, etwa mit den Mitarbeitern in Deutschlands größtem Kühlhaus im münsterländischen Rheine. Dort schuftet man bei minus 22 Grad. Ohne spezielle Unterwäsche oder Zwischenkleidung aus Fleece geht da gar nichts, noch nicht einmal am rekordverdächtigen Siebenschläfer-Tag.

Vom Siebenschläfer-Nagetier übrigens wird behauptet, es schlafe im Winter mindestens sieben Monate am Stück, bevor es in lauen Sommernächten meist ziemlich laut loslege, unter dem Dach. Damit, so könnte man sagen, beherzigt der Siebenschläfer den berühmten Spruch Hölderlins: "Und was du tust, tue es nie in der Hitze. Überdenke kalt! Und führe mit Feuer aus!" Ein sehr guter Tipp, gerade für Politiker in Zeiten des fortschreitenden Klimawandels.

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