Süddeutsche Zeitung

Prozess um Hillsborough-Katastrophe:Einsatzleiter droht lebenslange Haft

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Von Alexander Menden

David Duckenfield, Chief Superintendent im Ruhestand, ist von seiner Unschuld überzeugt. Das hat er seit 1989 immer wieder bekräftigt. Auf "nicht schuldig" plädiert er auch im Prozess, der an diesem Montag im Crown Court der englischen Stadt Preston eröffnet wurde. Die Anklage lautet: grob fahrlässige Tötung. Im Laufe der kommenden vier Monate wird Richter Sir Peter Openshaw untersuchen, ob Duckenfield als damaliger Einsatzleiter der Polizei von South Yorkshire für den Tod von 95 der 96 Fans des FC Liverpool zur Verantwortung gezogen werden kann, die beim "Hillsborough Disaster" starben.

Der Name des Hillsborough-Stadions in Sheffield ist in Großbritannien gleichbedeutend mit Eskalation, Todesfällen, Inkompetenz und Vertuschung. Was am 15. April 1989 als FA-Pokal-Halbfinale zwischen den Mannschaften FC Liverpool und Nottingham Forrest angesetzt war, entwickelte sich rasch zur größten Katastrophe der europäischen Fußballgeschichte. Sie kostete letztlich 96 Liverpool-Fans das Leben, mehr als 700 weitere trugen zum Teil schwere Verletzungen davon.

Der Hergang dieses Nachmittags wurde in den vergangenen fast drei Jahrzehnten oft untersucht: Viele Liverpool-Fans waren zum Anpfiff des Spiels noch nicht im Stadion. Um den Druck von den Eingängen zu nehmen, ordnete Duckenfield, der erst 19 Tage zuvor zum Chief Superintendent befördert worden war, die Öffnung zusätzlicher Tore an, die eigentlich als Ausgänge dienten. Mehr als 3000 Fans drängten daraufhin in einen Stehtribünen-Bereich, der ein Fassungsvermögen für 1600 Zuschauer hatte. Durch den Druck von hinten wurden die Fans in den vorderen Reihen gegen die Metallzäune gedrückt, viele wurden zerquetscht oder erstickten. Das Match wurde bereits nach sechs Minuten abgebrochen, doch die Polizei öffnete erst spät die Fluchttore zum Spielfeld. Der erste Krankenwagen war ganze 40 Minuten nach dem Spielabbruch am Ort.

Im ersten offiziellen Bericht schob David Duckenfield die Schuld für die Eskalation betrunkenen, gewaltbereiten Liverpool-Fans zu; die Medien übernahmen diese Version unverändert. Obwohl der abschließende Taylor-Report 1990 die Reaktion der Polizei als zu langsam und inadäquat kritisierte, wurde kein Beamter zur Rechenschaft gezogen. Im darauffolgenden Jahr befand eine Jury auf Tod durch Unfall. Die Familien der Toten strengten 1998 eine Zivilklage wegen Totschlags gegen Duckenfield und seinen Stellvertreter Bernard Murray an. Der Prozess endete 2000 mit Freispruch für Murray, der sechs Jahre später an Krebs starb. Im Fall Duckenfields fand die Jury zu keinem einhelligen Urteil.

Zum 20. Jahrestag der Katastrophe 2009 initiierte die damalige Labour-Regierung eine weitere Untersuchung, 2012 veröffentlichte das Hillsborough Independent Panel seine Ergebnisse: Die Fans wurden entlastet, zahlreiche Versäumnisse seitens der Polizei aufgedeckt, darunter die schlechte Kommunikation mit den Rettungskräften. Der High Court kassierte die Ergebnisse der Taylor-Untersuchung, damit war der Weg frei für einen Prozess, der 2014 in Warrington begann. In der längsten Anhörung der britischen Rechtsgeschichte wurden mehr als 800 Zeugen vernommen. Im April 2016 entschied die Jury, dass 96 Fans durch widerrechtliche Tötung ums Leben gekommen waren, in direkter Folge der Öffnung von Toren durch die Polizei. Duckenfields Entscheidung sei "grob fahrlässig" gewesen.

Nun steht der pensionierte Polizist also in Preston vor Gericht. Duckenfield wird zur Last gelegt, nicht ausreichend für die Sicherheit der Zuschauer gesorgt und 95 von ihnen nicht vor dem Tod durch Zerquetschen bewahrt zu haben (der Tod des 96. Fans, Tony Bland, ist nicht Gegenstand der Verhandlung, der damals 18-Jährige erlitt einen Gehirnschaden und wurde vier Jahre künstlich am Leben erhalten, bis seine Familie darum bat, die Geräte abzuschalten). Sein langes Schweigen über den Hergang der Ereignisse 1989 begründete Duckenfield 2015 mit posttraumatischem Stress. Er entschuldigte sich bei den Hinterbliebenen, weist die Anklage aber von sich.

Sollte er schuldig gesprochen werden, könnte das Urteil im Höchstfall lebenslange Haft lauten. Es wird erwartet, dass Richter Openshaw den Prozess im April für eine Woche unterbrechen wird. Dann jährt sich die Katastrophe zum 30. Mal.

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Quelle:
SZ vom 15.01.2019
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