Hilferufe vom Meeresgrund:Moskaus marode Marine und das neue Unglück

Der Untergang eines russischen U-Boots weckt Erinnerungen an das Drama um die "Kursk" im Sommer 2000. Verfluchter August, sagen nun einige in Russland. Verfluchte Marine, sagen die anderen.

Daniel Brössler

Es spricht viel dafür, dass sich Kapitän Alexander Kossolapow diesen heißen Augusttag im fernöstlichen Wladiwostok anders vorgestellt hat. Zum Beispiel sein Gesichtsausdruck. Mürrisch blickt er in die Kamera und wirkt, als wolle er sich unter seiner klobigen weißen Marinemütze verstecken. Das kann Kossolapow aber nicht, weil er Sprecher der Pazifischen Flotte der russischen Marine ist.

Hilferufe vom Meeresgrund: Ein solches Mini-Tauchboot steckt in 190 Metern Tiefe fest

Ein solches Mini-Tauchboot steckt in 190 Metern Tiefe fest

(Foto: Foto: AP)

"Die Situation ist unvorhergesehen, aber es gibt keinen Grund, sie zu dramatisieren", meldet er also pflichtschuldig. Als der Kapitän das sagt, hat sich in der Berjosowaja-Bucht südlich von Kamtschatka bereits eine Rettungsflottille versammelt. In 190 Metern Tiefe warten sieben Matrosen auf Hilfe, während in ihrem Mini-U-Boot vom Typ AS-28 langsam die Luft ausgeht. Der Antriebspropeller des 13,5 Meter kurzen Gefährts hatte sich am Donnerstag in einem Fischernetz verfangen.

Für das Gefühl eines schaurigen Déjà-vu hätte es nicht erst des unglücklichen Auftritts von Kapitän Kossolapow bedurft. Auf den Monat genau fünf Jahre ist es nun her, dass die russische Marine der Nation ein Schmierenstück aus Verharmlosung, Vertuschung und Lüge präsentiert hatte - selbst dann noch, als es für die 118 Seeleute des U-Bootes Kursk keine Hoffnung mehr gab. Auch die Rettungs-U-Boote vom Typ AS-28 hatten damals nicht helfen können. Verfluchter August, sagen nun einige in Russland. Verfluchte Marine, sagen die anderen.

Oleg Bubnow zum Beispiel, dem irgendwann an diesem Freitag der Kragen platzt, so dass er beim Radiosender Echo Moskwy anruft. "Schon als ich zu Sowjetzeiten bei der Marine gedient habe, war alles heruntergekommen. Jetzt ist das erst recht so", schimpft er. Die in ihrem Mini-U-Boot eingeschlossenen Jungs könnten jetzt nur noch auf die Japaner hoffen.

Moskaus marode Marine und das neue Unglück

Das scheint irgendwann am Freitag auch den Admirälen zu dämmern. "Es ist nicht so, dass wir nicht genügend eigene Kräfte hätten. Aber wenn Sie Seeleute aus der Tiefe holen müssen, kann es gar nicht genug Hilfe geben", erläutert ein Marine-Sprecher im Radio, und die Hörer wissen, was gemeint ist. Falschen Stolz will sich das Militär nicht mehr leisten, die Kursk-Katastrophe steckt allen in den Gliedern. Damals vergingen vier Tage, bis sich Präsident Wladimir Putin zu einem Hilfeersuchen ans Ausland herabließ.

Vom Präsidenten ist am Freitag erst einmal nichts zu hören, doch aus dem Hauptquartier der Marine werden rasch wichtige Anrufe ins Ausland gemacht. Die Amerikaner versprechen daraufhin, Gerät auf dem Luftweg zu schicken, und auch die Regierung in Tokio beordert Rettungsschiffe auf den Weg. Am Montag, verspricht das Außenministerium, werden sie eintreffen. Genau das ist aber das Problem, denn die Matrosen im U-Boot haben wenig Zeit.

Wie wenig, wird erst nach und nach klar. Erst ist von Sauerstoff für fünf Tage, dann für vier, schließlich für zwei Tage die Rede. Um 13.30Uhr Moskauer Zeit macht Igor Dygalo vom Oberkommando der Marine reinen Tisch: "Der Sauerstoff reicht für 24Stunden. In dieser Zeit muss die Rettungsaktion abgeschlossen sein."

Den Matrosen gehe es "normal", ist noch zu hören, was angesichts der Umstände in dem Unterwasserfahrzeug wohl Anlass zur Sorge geben muss. Gerade mal fünf Grad beträgt die Temperatur darin, was trotz warmer Kleidung die Lage nicht eben verbessert. Sprechkontakt zu den Seeleuten besteht nicht, angeblich aber eine "technische Verbindung".

In Russlands fernem Osten ist es bereits dunkel, als der Krisenstab schließlich bekannt gibt, den Rettungskräften sei es gelungen, ein Schleppkabel an dem U-Boot zu befestigen. Zwei Schiffe sollten die Eingeschlossenen dann in der Nacht endlich wieder aus den Fängen des Fischernetzes zu befreien versuchen.

Gegen Abend, mitten in die Spannung hinein, meldet sich ein zorniger Held der Sowjetunion zu Wort, der Ex-Kommandant der Schwarzmeerflotte, Admiral Eduard Baltin. "Wie oft haben wir gehört, dass nach dem Untergang der Kursk Rettungsgeräte gekauft wurden, damit sich so eine Katastrophe nicht wiederholt. Und heute sehen wir, dass wir amerikanisches Rettungsgerät und japanische Rettungsschiffe brauchen", wettert er, "die Führung der Marine weiß alles und kann nichts." So schwarz wollen die Menschen in Russland am Freitag noch nicht sehen, doch die Zeit rinnt.

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