Hells Angels und Bandidos:"Fürs Geschäft wird auch der Club verraten"

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Nicht alle Rockerclubs sind kriminelle Organisationen. Aber unter den jüngeren Mitgliedern zählten Werte wie Treue und Respekt nichts mehr, sagt der Ex-Polizist und Autor Stefan Schubert. Ihnen gehe es oft vor allem um eins: ums Geld. Da wird aus einem Hells Angel auch schonmal ein Bandido.

Marc Felix Serrao

Das deutsche Rockermilieu ist in Aufruhr. Hells Angels und Bandidos, die 2010 noch mit einem feierlichen Friedensschluss für die Kameras posiert hatten, befinden sich wieder im Krieg, mit Toten und Verletzten. Gleichzeitig ist der Fahndungsdruck rasant gestiegen. Die Polizei setzt auf filmreife Großrazzien. Und die Länderinnenminister versuchen es mit Verboten einzelner sogenannter Charter oder Chapter. Eine erfolgversprechende Strategie? Nein, sagt Stefan Schubert. Der frühere Polizist ("Inside Polizei") und Ex-Hooligan ("Gewalt ist eine Lösung") veröffentlicht im Herbst sein drittes Buch: "Hells Angels: Wie die gefürchteten Rocker Deutschlands Unterwelt eroberten". Das Milieu sei heute ein völlig anderes als früher, sagt der 41-Jährige. Vielen Rockern gehe es längst nicht mehr um die Club-Ehre oder das Harley-Fahren, sondern nur noch um eines: das Geschäft.

Die Polizei demonstriert mit Großrazzien derzeit Stärke gegenüber Rockerclubs überall in der Bundesrepublik. Am frühen Mittwochmorgen wurden in Berlin die Räumlichkeiten der Hells Angels durchsucht, der örtliche Zweig des Klubs verboten. (Foto: dapd)

SZ: Gehören Rockerclubs wie die Hells Angels verboten, Herr Schubert?

Stefan Schubert: Kommt drauf an. Es gibt mehr als 50 Charter des Clubs in Deutschland. Da sind auch Altrocker dabei, die seit 30 Jahren dazugehören und keine schlimmen Straftaten begangen haben. Aber das Personal, das in den letzten Jahren rekrutiert wurde, kommt meistens direkt aus der Rotlichtszene.

SZ: Wie viele der Clubs sind kriminell?

Schubert: Schwer zu sagen. Die großen, mächtigen Charter aus Berlin, Hannover, Köln oder Frankfurt fallen vermutlich schon darunter. Von denen geht sehr viel Energie aus, die sind auch in den Rotlichtszenen anderer Städte aktiv.

SZ: Seit wann ist das so?

Schubert: Das Wendejahr war '99. Da sind die Bones, der damals mächtigste deutsche Club, in einer Nacht-und-Nebel-Aktion geschlossen zu den Hells Angels rübergewechselt. Das waren Männer, die vor allem im Milieu ihr Geld verdient haben. Die Hells Angels haben das Geschäft dann Schritt für Schritt übernommen - und kontrollieren heute den Großteil der Rotlichtszene.

SZ: Was reizt einen Mann heutzutage, einem solchen Club beizutreten? Die bedrohliche Aura, das harte Image?

Schubert: Sicher. Aber für viele geht es einfach ums Geld. Wer schon als Türsteher arbeitet oder als Kleinzuhälter zwei, drei Frauen beschäftigt, kann mit einer Rockerkutte ganz anders auftreten. Das bringt im Milieu höchste Weihen. Für solche Männer ist der Club zweitrangig. Das erklärt auch, dass in Berlin gerade ein vom Verbot bedrohtes Chapter der Bandidos geschlossen zu den Hells Angels gewechselt ist.

SZ: Den angeblichen Todfeinden.

Schubert: Ja. Die Bandidos werden das vermutlich auch nicht auf sich sitzen lassen. Das sind ja direkte Konkurrenten, die stehen sich im Milieu förmlich auf den Füßen. Für Überläufer gilt in der Regel: "Out in Bad Standing".

SZ: Vogelfrei.

Schubert: Ja. Aber daran sehen Sie, dass die neue Generation anders tickt. Die Rocker-Gebote - Treue, Respekt - zählen da nicht mehr viel. Da wird fürs Geschäft zur Not auch der Club verraten.

SZ: In der Nähe von Kiel suchen Polizisten seit Tagen nach einer einbetonierten Leiche. Den Mann sollen die Hells Angels ermordet haben, heißt es. Haben Sie bei Ihren Recherchen davon gehört?

Schubert: Habe ich. Der Mann, um den es geht, hatte in Kiel selbst eine lange kriminelle Karriere hinter sich.

SZ: Und was ist dann passiert?

Schubert: Ich kann nur sagen, was ich gehört habe: Dass er sich nicht einmal, sondern gleich drei Mal mit den Hells Angels angelegt haben soll. Zuletzt ging es wohl um einen geplatzten Waffendeal, bei dem er eine Zeugin schmieren sollte, damit die nicht aussagt. Das hat er nicht gemacht, und das war in der Summe sein Todesurteil, heißt es.

SZ: Angeblich müssen solch schwerwiegende Entscheidungen von höchster Stelle abgesegnet werden.

Schubert: Das ist auch mein Wissensstand. Dafür, dass sie als wilde Männer gelten, haben Hells Angels ganz schön strenge Regeln, angefangen mit der Geldstrafe fürs Zuspätkommen bei Meetings.

SZ: Wenn es darum geht, wer in dem Club in Deutschland den Ton angibt, dann fällt immer ein Name.

Schubert: Hab' ich auch gehört.

SZ: Und?

Schubert: ( lacht) Sagen Sie ihn doch.

SZ: Sie sind der Experte.

Schubert: Frank Hanebuth.

SZ: Was ist das für ein Mann?

Schubert: Das ist auf jeden Fall ein geschickter Stratege gewesen. Er hat es geschafft, sich in Hannover mit seinen Bordellen ein echtes Imperium aufzubauen. Erst hat der die Albaner vertrieben, dann hat er aus dem Kiez eine Eventmeile mit Discos gemacht.

SZ: Sie sagen: gewesen.

Schubert: Die öffentliche Stimmung ist gekippt. Seitdem es wieder Tote gibt, steht auch ein Hanebuth unter Druck.

SZ: Als sein Privathaus im Zusammenhang mit dem vermeintlichen Mordfall in Kiel durchsucht wurde, kam die GSG 9 per Hubschrauber und erschoss erst mal seinen Hund. Ist der Mann wirklich so gefährlich oder war das eine PR-Nummer?

Schubert: Na ja, das robuste Auftreten der Polizei haben die Hells Angels auch provoziert. Durch die Toten - zuletzt der Bandido im Ruhrgebiet. Durch Motorradfahrten mit Hunderten Maschinen in den Innenstädten. Durch Interviews, in denen gesagt wird: Der Kiez gehört uns!

SZ: Trotzdem wirkt vieles an den Ermittlungen chaotisch. Nach dem Motto: viel Krach, wenig Folgen.

Schubert: Das Problem ist das föderale System. Jedes Bundesland wurschtelt für sich, und keiner hat den Überblick. Das ist wie bei den Neonazimorden der NSU, wo sich der bayerische Innenminister gesperrt hat, die Ermittlung ans Bundeskriminalamt zu übergeben. Wenn im Rockerkrieg das BKA das Sagen hätte, dann könnte man sich die zehn kriminellsten Clubs raussuchen und geschlossen gegen sie vorgehen. Stattdessen haben wir einen Haufen unkoordinierter und womöglich folgenloser Verbote.

SZ: Wieso folgenlos?

Schubert: Wenn einzelne Innenminister einzelne Rockerclubs verbieten, dann ist das für die kein Drama. Die lösen sich einfach auf und gehen in ein anderes Bundesland. Oder sogar ins benachbarte Ausland, das gab's auch schon. Rockerclubs wie diese sind international eng vernetzt.

SZ: Wurden Sie bei Ihren Recherchen eigentlich mal bedroht?

Schubert: Bis jetzt nicht.

SZ: Und was machen Sie, wenn Ihr Buch erscheint? Einen sehr langen Urlaub an einem geheimen Ort?

Schubert: ( lacht) Weiß ich nicht. Fragen Sie mich dann noch mal.

© SZ vom 31.05.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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