Hells-Angels-Aussteiger Detrois:"Eine kriminelle Vereinigung? Zu hundert Prozent"

Acht Jahre lang war Ulrich Detrois Mitglied der Hells Angels, nun gibt es einen Mordauftrag gegen ihn: Einblicke in die Rockerszene.

Sebastian Beck

Ein Hotelzimmer im Gewerbegebiet, irgendwo in Norddeutschland. Ulrich Detrois ist ein Mann mit sanftem Händedruck, Typ großer Bruder. Er hat Geburtstag, deshalb gibt es Torte, aber bitte nur ein Stück - er muss auf Zucker und die Gesundheit achten. Doch Detrois kann auch anders: Der 52-Jährige hat eine lange Karriere als Zuhälter, Drogenhändler und Gewalttäter hinter sich. Von 1999 bis 2007 war er Mitglied der Hells Angels in Kassel. Nach Streitigkeiten wurde er aus dem Club ausgeschlossen und mit dem Tod bedroht. Detrois brach daraufhin ein Tabu und kooperierte als Zeuge mit der Polizei. Seine Aussagen waren Grundlage für eine bundesweite Großrazzia gegen die Hells Angels am 25. Oktober 2007, bei der Waffen und Drogen sichergestellt wurden. Als Buchautor ("Höllenritt", Ullstein) hat Detrois nun erstmals detaillierten Einblick in das kriminelle Innenleben der Hells Angels gegeben.

Bad Boy Uli Detrois

Bad Boy Uli Detrois ehemaliger Vize-Präsident der Hells Angels in Kassel

(Foto: Sebastian Beck)

SZ: Herr Detrois, obwohl Sie ausgestoßen wurden, tragen Sie immer noch Tätowierungen der Hells Angels. Sehnen Sie sich zurück nach der Zeit im Club?

Detrois: Nie. Nicht nur wegen der Morddrohungen gegen mich und meine Schwester. Auch wegen der Intrigen, die ich in all den Jahren im Club erlebt habe. Was der Club macht, hat mit der ursprünglichen Idee der Rockerfreiheit nichts zu tun. Die einfachen Members, die Soldaten, werden aufs äußerste ausgenutzt. Nur ein paar Leute profitieren richtig dick davon.

SZ: Was war dann so toll an den Hells Angels? Sie waren acht Jahre lang Mitglied, sogar Vizepräsident in Kassel.

Detrois: Aus heutiger Sicht: nichts mehr. Ich habe es auch nie wirklich verstanden, was so toll daran sein sollte. Ich bin übers Rotlicht-Business und das Motorradfahren dazugekommen. Aber dass sich da einer jahrelang zum Knecht macht, um Member zu werden, das kann ich nicht nachvollziehen. Und wenn man mal in ein gewisses Alter kommt und wieder ins Gefängnis muss, dann ist das auch nicht so prickelnd. Wenn ich mit 20 für fünf Jahre in die Kiste muss, dann sieht das anders aus, als wenn ich 52 bin.

SZ: Politiker fordern ein Verbot der Hells Angels. Ist der Club eine kriminelle Vereinigung?

Detrois: Meiner Meinung nach zu hundert Prozent. Schauen Sie sich bloß die Strukturen an: Es werden Straftaten gemeinsam geplant und zusammen ausgeführt, die Gelder werden untereinander aufgeteilt. Ein Verbot der gesamten Organisation ist rechtlich allerdings schwierig. Einfacher ist es immer, wenn man einzelnen Leuten Straftaten zuordnen kann. Aber es gibt auch Bürgermeister und Polizeipräsidenten, die lassen den Hells Angels bei ihren Treffen die Kreuzung freiräumen. Da müssen Streifenpolizisten sogar noch den Deppen machen, damit die sich mit dem Moped produzieren können.

SZ: Die Hells Angels behaupten stets, sie hätten mit Drogen nichts zu tun.

Detrois: Wenn Sie sich mal ansehen, was in den letzten Jahren nicht nur in Deutschland an Drogen gefunden wurde, dann ist die Behauptung schon lustig. Ich kenne im Club mindestens hundert, die Kokser sind. Die müssen sich ihr Zeug irgendwo besorgen, dadurch werden sie auch zum Dealer. Der einzige Grund, sich im illegalen Milieu zu bewegen, ist es, viel Geld zu verdienen. Das verdient man mit Waffen, Prostitution - und vor allem mit Drogenhandel. Warum sollte eine Organisation ausgerechnet sagen, wir betreiben zwar Menschenhandel, aber mit Drogen machen wir nichts?

Über Hells Angels und Bandidos

SZ: Das ist bei den Bandidos genauso?

Früherer Hells Angel packt aus

Vergangene Zeiten: Uli Detrois auf einem undatierten Privatfoto. 

(Foto: dpa)

Detrois: Da gibt es keinen Unterschied. Die Bandidos versuchen nur aufzuholen, zumal der Markt kleiner wird. Weil die Puffs schlechter laufen.

SZ: Bandidos und Hells Angels haben jetzt Frieden geschlossen. Wie lange hält das Abkommen?

Detrois: Das ist schwer zu sagen. Ich denke, es dauert zwei bis drei Monate, bis es irgendwo knallt. Keiner gibt dem anderen auch nur eine müde Mark ab.

SZ: Wie wichtig sind Waffen?

Detrois: Es ist ein Statussymbol. Wenn einer zu mir nach Hause kommt, und ich kann ihm die 45er zeigen, das ist schon was. Und wenn die Gegenseite auch bewaffnet ist, dann nutzt es nichts, wenn ich mit Wattebäuschen werfe. Jeder rüstet entsprechend auf. Die Waffenfunde bei den Hells Angels in Kassel: Da war auch eine Handgranate dabei. Was macht ein Motorradclub damit?

SZ: Wie viel Prozent der Straftaten werden überhaupt bekannt?

Detrois: Vielleicht fünf Prozent oder weniger. Wenn Sie vier Mann schwer verletzt im Auto finden, einem fehlt das Bein, der andere hat ein Messer im Rücken: Die alle wissen genau, wer es war. Aber sie werden nie was sagen.

SZ: Die Hells Angels sammeln für den guten Zweck. Ist das nicht grotesk?

Detrois: Jede Charter macht das, um in der Öffentlichkeit gut dazustehen. Aber diese 1500 Euro für Kinder, die ziehen sie sich sonst in einer Stunde auf dem Klo mit Koks durch die Nase.

Geschäfte im Rotlicht-Milieu

SZ: Wie haben es die Hells Angels geschafft, in Hannover das Vergnügungsviertel zu beherrschen?

Detrois: Das ist in anderen Städten ähnlich, aber besser als in Hannover kann es für die Hells Angels nicht funktionieren. Ein Paradebeispiel. Den Hells Angels gehört die Stadt, sie können dort machen, was sie wollen. Politik und Polizei sind im Grunde froh darüber, dass das Milieu in einer Hand ist. Man könnte denen schon anders gegenübertreten.

SZ: Was würden Sie machen?

Detrois: Ich würde ihnen die Jacke nehmen. Das ist effizienter als ein Verbot. Die Kutte ist das Heiligtum und für viele junge Leute der Anreiz, in den Club reinzugehen: tolle Kutte, tolle Autos, tolle Weiber, Riesenbordelle, satte Partys, das ist für die Kleinen ein Schlaraffenland. Die Kutte verleiht Macht.

SZ: Gibt es überhaupt noch Bordelle in Deutschland, die nicht von Hells Angels oder Bandidos kontrolliert werden?

Detrois: Nach außen hin schon. Aber die meisten Betreiber können jederzeit auf die Hells Angels oder Bandidos zugreifen. Früher war jeder für seinen Puff selbst verantwortlich und hatte eigene Leute. Da hat man sich mal richtig geprügelt, und dann war die Sache in Ordnung. Jetzt wird nur noch geschossen oder gestochen. Es wird immer brutaler.

SZ: Das sagen ausgerechnet Sie. Wie viele Jahre waren Sie im Gefängnis?

Detrois: Ich habe so um zehn oder zwölf Vorstrafen, querbeet, alles mögliche. Im Knast war ich insgesamt knapp drei Jahre, dazu kommt noch die Zeit als Freigänger und in der Bewährung. Knast ist schon übel. Aber wenn was verrutscht ist, dann ist es halt verrutscht.

SZ: Sie haben schwere Straftaten begangen. Was heißt da verrutscht?

Detrois: Körperverletzung, Raub, Drogenschmuggel, so die Palette halt.

SZ: Sind Vorstrafen ein Eintrittsticket für die Hells Angels?

Detrois: Nein, das spielt keine Rolle. Im Gegenteil: Wer sich viel erwischen lässt, der ist nicht unbedingt der Held.

SZ: Kann ein Mensch mit bürgerlichem Beruf auch Hells Angel werden?

Detrois: Der hätte dafür weder Zeit noch das Geld. Das ist kein Hasenzüchterverein. Sie müssen gerade am Anfang für jedermann abrufbereit sein. Fürs Motorradfahren gibt es Tausende Clubs, die einfach nur dem Hobby nachgehen, da sollen die Menschen sich anschließen. Aber wozu gehe ich in eine Rockerorganisation? Doch nicht wegen des Motorrads!

SZ: Sie haben grausame Taten begangen. Einem Gegner rissen Sie das Ohr ab.

Detrois: Das liegt schon lange zurück. Das muss man nicht verstehen oder akzeptieren. Gut, heute sehe ich das teilweise anders. Aber wenn Sie ein Bordell betreiben, Ihr Gegenüber Sie mit dem Messer oder der Pistole kaputtmachen will und Ihnen auch noch mit der Axt den Schädel spalten würde, dann muss man abwägen: Was soll man tun?

SZ: Sie haben das Dequiallo-Abzeichen, das man nur bekommt, wenn man einen Polizisten angegriffen hat.

Detrois: Dazu sage ich nichts.

Ist ein neues Leben nach dem Ausstieg möglich?

SZ: Bereuen Sie Ihre Taten?

Detrois: Da müsste ich mein ganzes Leben bereuen. Aber heute würde ich sicher vieles anders machen.

SZ: Es ist zynisch, dass ausgerechnet Sie als früherer Hells Angel nun den Schutz des Rechtsstaates beanspruchen.

Detrois: Ich fordere von niemandem etwas ein. Aber das war schon ironisch: Streifenbeamte mussten für mich den Kopf hinhalten, um mich zu beschützen.

SZ: Könnten Sie verstehen, wenn diese Beamten darüber verbittert waren?

Detrois: Das wäre nur natürlich.

SZ: Die Hells Angels sollen vor zweieinhalb Jahren ein Mordkomplott gegen Sie ausgeheckt haben. Wie konnten Sie bis heute überleben?

Detrois: Mit Glück. Ich lebe ganz normal wie früher und wohne in derselben Wohnung. Aber es kommt, wie es kommt. Ich kann es nicht ändern.

SZ: Werden Sie bedroht?

Detrois: Sollen sie mir die Edeka-Tüte klauen? Oder den Briefkasten zukleben? Es besteht ein Mordauftrag gegen mich. Mehr geht eh nicht. Wenn was kommt, dann unverhofft. Die Leute, die das ausführen sollen, sind laut Polizei zwei Russen, die bei der Speznas-Sondereinheit waren. Die wissen, wie sie es machen.

Leben unter Polizeischutz

SZ: Warum sind Sie nicht im Ausland untergetaucht?

Detrois: Ich renne vor nichts weg.

SZ: Stehen Sie noch unter Polizeischutz?

Detrois: In der ersten Zeit nach meiner Aussage hatte ich Personenschutzklasse eins, die höchste Stufe. Im Februar 2008 wurde der Polizeischutz eingestellt.

SZ: Unter Motorradrockern gibt es ein Tabu: keine Zusammenarbeit mit der Polizei. Verrat wiegt schlimmer als Mord. Warum haben Sie ausgepackt?

Detrois: Es ging mir fast nur um meine Schwester. Als ich 2007 von den Hells Angels ausgeschlossen und überfallen wurde, da wurde auch meine Schwester massiv bedroht. Und weil ich weiß, wie so etwas läuft, musste ich mich entscheiden. Ich kann für mich selbst sorgen, aber nicht für meine Schwester. Deshalb habe ich mich an die Polizei gewandt.

SZ: Wie haben Sie von diesem Mordauftrag erfahren?

Detrois: Ich wurde zusammen mit meiner Schwester aufs Polizeipräsidium in Kassel bestellt. Zwei Beamte haben uns mitgeteilt, dass in Frankfurt führende Hells Angels beschlossen hätten, mich ermorden zu lassen. Es wurde auch bereits das Kopfgeld ausgezahlt.

SZ: Wie stehen die Ermittlungen?

Detrois: Keine Ahnung. Angeblich wird ermittelt. Weil ich endlich Auskunft wollte, habe ich mich an die Staatsanwaltschaft und Politiker gewandt - an Beckstein, Ströbele, Schäuble und andere. Teilweise habe ich gar keine Antwort bekommen, teilweise nur Blabla.

SZ: Was haben Sie im Leben noch vor?

Detrois: Auf keinen Fall will ich wieder was Kriminelles machen. Ich konzentriere mich jetzt aufs Bücherschreiben. Es muss endlich Schluss sein mit Lügen und Legenden über die Hells Angels. Sie bringen sich gegenseitig um, so ist das.

SZ: Verzeiht die Organisation?

Detrois: Niemals.

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