Heintje wird 50:Täuschend echtfalsch

Schon mit zwei stand er an der Jukebox stand und konnte alles mitsingen. Ein Produzent holte den Buben nach Deutschland und ließ ihn lauter schöne Lieder singen. Nun ist Heintje 50.

Willi Winkler

Es war natürlich eine andere Zeit, eine Zeit wie im Märchen so fern, aber manchmal kommt einer, der davon noch zu erzählen weiß. Dass damals immer die Sonne schien und, wenn es regnete, die Bücher immer gleich ausgelesen waren und die Autos beim Abbiegen einen Blinkstab ausklinkten und das Fernsehen noch gar keine Farbe hatte, als "Fury" lief und "Lassie" und Deutschland beinah Fußballweltmeister geworden wäre.

Jeden Sonntagnachmittag gab es Rosinenkuchen und zur Erstkommunion ein Flugzeug zum Zusammenkleben mit Pattex. Aus dem Radio sang es schmelzend über drei Oktaven: "Bist du auch einsam und bist so allein, da schaun bald die Engel zum Fenster herein", und zum ersten Mal taten die Zähne weh. 1967 hatte ein Produzent diese Wunderstimme entdeckt, den holländischen Knaben, der in der Wirtschaft seines Vaters an der Jukebox stand und alles mitsingen konnte. Der Produzent holte den Buben nach Deutschland und ließ ihn lauter schöne Lieder singen.

Zum Beispiel, dass er seiner Mutter ein Schloss wie im Märchen bauen wolle, und dass nicht immer nur die Sonne scheinen könne und dergleichen Mist. Wenn er gerade nicht sang oder im "Goldenen Schuss" bei Vico Torriani ("Peter, bitte den Bolzen!") auftrat und Millionen Singles verkaufte, lächelte er täuschend echtfalsch von der eckig gefalzten Kinderschokolade herunter, ein Musterknabe, wohlerzogen, und aß die Schokolade sicher nur ganz sparsam und nicht so gierig.

Wenn Besuch kam, gab er bestimmt die schöne Hand und schaute in die Augen und machte beim Sonntagsessen keine Flecken auf den neuen Anzug und sang dafür "Heidschi bumbeitschi, bum bum".

Täuschend echtfalsch

Unsereins wusste doch so wenig von der Welt und hörte nur von fern Signale aus Berlin. Dass es dort diese Langhaarigen gab und in Vietnam einen Krieg. Freddy Quinn fragte streng: "Wer will nicht mit Gammlern verwechselt werden?" und antworte gleich selber: "Wir!", und der schwarze König, der Gerd Höllerich aus Augsburg, samtete wie keiner "Ganz in Weiß, mit einem Blumenstrauß".

Es war eine andere Zeit, und natürlich die Hölle, aber noch ist nicht erwiesen, dass sie wirklich schlechter war als die große Welt mit den Morden an Martin Luther King und Robert Kennedy. Die Rolling Stones sangen "Street Fighting Man" und die Beatles "Ob-la-di, Ob-la-da", und auch wenn keiner verstand, was das eigentlich alles war, so war es doch Musik und nicht der Süßstoff, bei dem Oma das Herz aufging.

Alles fürchtete sich vor dem "Kirmes-Mörder", der irgendwo im Ruhrgebiet umging, kleine Buben schlachtete und sich an den rauchenden Leibern verging.

Jeder Fremde eine Drohung, jede Höhle eine Gefahr, überall lauerte Jürgen Bartsch, aber aus dem Radio kamen Herzensangelegenheiten: "Maaaaa-mà, du sollst doch nicht um deinen Jún-gen weí-nen. / Maaaaa-mà, einst wird das Schicksal wieder uns ver-eínen".

Brandt wurde Kanzler, die Beatles trennten sich, und Roy Black behauptete, dass es, wie Biene und Stachelschwein gern bestätigten, schön sei, auf der Welt zu sein, und Heintje holte tief Luft und sang mit diesem unverwechselbaren Blick schräg hoch und trotzdem immer die grauhaarigen Großmütter in der ersten Reihe im Aug': "Hast du dort oben vergessen auch mich?"

Hatte er nicht, und wenn doch, es hätte ihm nichts genützt; Heintje sang ja laut genug. Die Engel sangen bei ihm für alle Einsamen und wussten Trost: "Aba heidschi bumbeitschi". Knapp dreißig goldene Schallplatten hat Heintje mit diesen Schmalzgebäck zusammengesungen, ist in den schwachsinnigsten Filmen der Filmgeschichte aufgetreten und hat aufgewühlten Eltern über den Generationenkonflikt hinweggeholfen, von dem damals so viel die Rede war. Dafür musste er sich das scheinheilige Räsonnement in der Bravo gefallen lassen, dass er sich wohl bald "einer Kastration hingeben" werden müsse, wenn er weitersingen wollte. Da brach ihm diese glockenhelle Stimme von ganz allein, und er erlöste sich selber aus der Kitschhölle.

Als es mit der DDR vorbei war, erlebte Heintje, der längst einen Nachnamen hatte, ziemlich seriös Hein Simons hieß und in einen mittelprächtigen Textilienhandel investiert hatte, ein glorreiches Comeback. Er war doch erst 34 Jahre alt, hatte immer noch diese gewinnenden Augen, und so ein kleiner Bauch hat noch keinem Mann geschadet. Wieder verkaufte er Millionen Platten, die Mamas waren Omas geworden, und wieder weinten sie, weil er so schön sang, aber seine neuen Lieder wollte dann auch keiner haben.

Heute wird Hendrik Nikolas Theodor Simons 50 Jahre alt, und wer keine Träne für ihn vergießt, hat kein Herz. Aba heidschi bumbeitschi, bum bum.

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