Süddeutsche Zeitung

Heiligsprechung von Johannes Paul II.:Papst der Freiheit, Papst des Stillstands

Im Eilverfahren sorgt die katholische Kirche dafür, dass Johannes Paul II. zum Heiligen erhoben wird. Mit Charisma hat der Pole in 26 Jahren das Papsttum wie kein anderer zelebriert und erheblich zur Erosion des Ostblocks beigetragen. Das Tempo seiner Heiligsprechung ist beispiellos - und steht im krassen Gegensatz zur Reformunwilligkeit der Kirche.

Von Oliver Das Gupta

"Santo subito", schrie das Kirchenvolk im April 2005 auf dem Petersplatz, als der tote Papst bestattet wurde. Heiligsprechung, aber dalli. Johannes Paul II. sollte nach Meinung vieler Katholiken sofort zur Ehre der Altäre gemacht werden. Nun, nur acht Jahre später, wird der Wunsch Realität. Papst Franziskus stimmte der Heiligsprechung zu und erkannte die zentrale Voraussetzung an: zwei Wunder. So soll eine Nonne einen Tag nach seinem Tode urplötzlich von Parkinson geheilt worden sein. Außerdem soll der tote Pontifex bewirkt haben, dass eine Frau aus Costa Rica am 1. Mai von ihrer schweren Hirnverletzung geheilt wurde - just am Jahrestag seiner Seligsprechung.

Geboren wurde Johannes Paul II. am 18 Mai 1920 als Karol Jozef Wojtyla in Wadowice, einer Kleinstadt nahe Krakau. Der frühe Tod seiner Mutter und seines Bruders sollen den späteren Kirchenführer geprägt haben, das Elternhaus war gläubig, der Junge ministrierte. Trotzdem deutet in seiner Jugend wenig auf Wojtylas spätere Laufbahn und seine Heiligsprechung hin.

"Lolek", wie ihn seine Freunde nannten, spielt Streiche, später Theater und Fußball (manchmal auch in einem jüdischen Team) und soll Kontakte zu Frauen gehabt haben. Der Junge galt als Musterschüler. Später studiert er Literatur und Philosophie in Warschau. Als der Krieg ausbricht und die Deutschen das Land besetzen, arbeitet Wojtyla in einem Steinbruch und einer Chemiefabrik. Daneben studiert er heimlich Theologie im Untergrund und wird 1946 zum Priester geweiht.

Es folgt ein steiler Aufstieg: Studium in Rom, Promotionen, eine Professur für Moraltheologie. 1958 wird er Bischof von Krakau, in den sechziger Jahren Erzbischof. Mit 47 Jahren macht ihn der Papst zum Kardinal. Wojtyla setzte schon als Krakauer Oberhirte sanft aber beharrlich auf Konfrontation mit dem kommunistischen Regime.

Nach Jahrhunderten der erste nichtitalienische Papst

1978, nachdem Papst Johannes Paul I. schon nach 33 Tagen auf dem Stuhl Petri gestorben war, wird Wojtyla im achten Wahlgang des Konklaves zum neuen Kirchenoberhaupt gewählt. Es ist eine große Überraschung, schließlich stellte Jahrhunderte lang der italienische Klerus den Papst.

Zu Beginn seines Pontifikats legt Johannes Paul II. den Fokus auf Menschenrechte - und die Konfrontation mit dem Kommunismus. In seiner ersten Enzyklika widmet er sich den Menschenrechten, immer wieder pocht er lautstark auf Religionsfreiheit. Anders als seine Vorgänger drängt es den Polen zu den Menschen: Mehr als 100 Auslandsreisen absolvierte er in seinen 26 Papst-Jahren.

Selbstbewusst und charismatisch nutzt der Pontifex Massenmedien und öffentliche Auftritte um für die Kirche (und sich) zu werben. Seine Reisen in die Heimat ermutigen polnische Oppositionelle, gegen das Regime aufzubegehren. Solidarność entsteht. So trägt der Papst zur Erosion des Ostblocks bei.

Seine Volksnähe wird ihm 1981 fast zum Verhängnis, als Ali Agca ihn mit mehreren Schüssen schwer verletzte. Die Hintergründe des Attentats wurde nie vollständig aufgeklärt.

Johannes Paul II. kümmert sich um bislang kirchenfremde Themen wie Umweltschutz. Und der Mann aus Polen räumt geschichtlichen Schutt weg: Er sucht den interreligiösen Dialog mit Juden und Muslimen; er räumt ein, dass die katholische Kirche die Reformation mitverursacht hat. Vor allem aber bekennt er die Mitschuld an der Judenvernichtung im Zweiten Weltkrieg. Schon gezeichnet von seiner Parkinson-Krankheit verurteilt er die Invasion des Irak durch die USA und ihre Verbündeten.

Doch es gibt auch die andere Seite von Johannes Paul II.: Er bekämpft die Befreiungstheologen in Lateinamerika, deren Ansätze sich nun teilweise sein Nachnachfolger Franziskus zu eigen macht. Er hält die schützende Hand über Geistliche, die sich massive Verfehlungen zuschulden kommen haben lassen. Und er betoniert manche Positionen der Kirche ein.

Egal ob es um Empfängnisverhütung, Zölibat oder Frauenordination geht oder die kirchliche Sexualmoral im Allgemeinen: Johannes Paul II. lässt keine Veränderung zu. Stattdessen werden ultrakonservative Bünde wie das Opus Dei und die Legionäre Christi während seines Pontifikats immer stärker.

Die heutige Unfähigkeit und Unwilligkeit des Vatikans, die lebensfremde Kirche zu reformieren und Skandale aufzuarbeiten ist auch das Erbe des Mannes aus Polen. Das Tempo seiner Heiligsprechung steht im krassen Gegensatz zu den verschleppten Entscheidungen der Kirche.

Vielleicht orientiert sich die Kirche besser an einem anderen Papst, dessen Heiligsprechung nun ebenfalls ansteht. Johannes XXIII. war zwar nur für fünf Jahre Papst. Aber das von ihm initiierte Zweite Vatikanische Konzil, an dem auch der junge Karol Wojtyla teilnahm, hat die Kirche weitaus näher an die Lebenswirklichkeit herangeführt, als das Wirken von Johannes Paul II. und seinem Nachfolger Benedikt XVI.

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