Heilbronner Polizistenmord:Der Phantom-Schmerz der Ermittler

Die Ermittler verließen sich auf Wattestäbchen: Wie aus einer Verbrechensserie eine der größten Pannen der Kriminalgeschichte wurde.

B. Dörries

Am Anfang haben sie nach einer Frau gesucht, die sie die unbekannte weibliche Person nannten. Wenn die Ermittler abends mit dem Auto nach Hause fuhren, dann schauten sie in die Gesichter von Frauen und dachten, die da drüben auf dem Gehweg, die könnte es doch sein. Die Frau, von der man nur die DNS kannte, eine lange Reihe Zahlen, die keinen Namen und kein Gesicht ergaben.

Heilbronner Polizistenmord: Spuren eines Phantoms, dass nie existierte: An diesen Orten wurden DNS-Spuren gefunden.

Spuren eines Phantoms, dass nie existierte: An diesen Orten wurden DNS-Spuren gefunden.

(Foto: Grafik: SZ)

Mit der Zeit wurde sie zur "Frau ohne Gesicht" und dann zum "Phantom". Damit kam man der Sache schon recht nahe, denn ein Phantom ist sie wirklich. Sie hat einfach nie existiert. "Das hätte natürlich nicht passieren dürfen", sagte der baden-württembergische Justizminister Ulrich Goll (FDP). Es ist eine der größten Ermittlungspannen in der deutschen Kriminalgeschichte.

Die DNS-Spuren der Unbekannten, die jahrelang gefunden wurden, gehören aller Wahrscheinlichkeit keiner Mörderin und keiner Serienverbrecherin. Die Frau, die ihre Spuren hinterließ, ist vielmehr in der Herstellungskette der Wattestäbchen zu suchen, mit denen die Ermittler an Tatorten nach Hautschuppen oder Speichelresten suchen. "Die Frau kann eine Baumwollpflückerin in Ägypten sein oder eine Packerin in Deutschland", sagt Ernst Meiners von der Staatsanwaltschaft Saarbrücken.

Eine Arbeitsgruppe des BKA untersucht nun die Herstellerfirma der Stäbchen. Eine komplizierte Angelegenheit. Allein die Wattebällchen sollen von vier verschiedenen Zulieferfirmen in China kommen. Die Verursacherin der Kontamination ist aber eher in Europa zu suchen. Aus der DNS kann man ablesen, dass es sich wohl um eine Osteuropäerin handelt.

Fast zwei Jahre hatten fünf Sonderkommissionen, sechs Staatsanwaltschaften in drei Bundesländern, Polizisten in Österreich und Frankreich nach einer Frau gesucht, die an 40 Tatorten Spuren hinterlassen haben sollte und mit sechs Tötungsdelikten in Verbindung gebracht wurde. Die Polizei stand vor einer Serie von Taten, die 1992 mit einem Mord in Idar-Oberstein begann.

"Hier kann etwas nicht stimmen"

Taten, die nie wirklich zusammenpassten: Im April 2007 wurde in Heilbronn die Polizistin Michèle K. erschossen - an ihrem Dienstwagen klebte die DNS der unbekannten Frau. Seitdem rückte in Süddeutschland bei jedem noch so kleinem Einbruch die Spurensicherung an. Und plötzlich fand sich überall die Spur der Frau. Mal wurde in einem aufgebrochenen Gartenhaus ein angebissener Keks mit ihrer DNS entdeckt, mal fanden sich ihre Spuren an einer Kugel, die ein Roma auf einen Verwandten abgefeuert hatte - und die nun in der Wohnzimmerwand steckte.

Die DNS hatte immer recht. Die Kommissare, die auf ihr Gefühl hörten und zweifelten, hatten nichts mehr zu sagen. Auf Zweifel reagierte die Polizei bisweilen gereizt und sagte, man ermittle doch in alle Richtungen, gehe jedem Hinweis nach. Grundlegend in Frage gestellt wurde die Hypothese nicht. Am Mittwochabend räumte nun das LKA Baden-Württemberg erstmals offiziell ein, dass die vielen DNS-Spuren der Unbekannten "nicht mehr plausibel waren". Seit Februar untersuche man deshalb die Möglichkeit der "Fremdkontamination" der Tatortspuren. Nach Informationen der Süddeutsche Zeitung bekam das LKA aber bereits im Januar 2009 einen Hinweis aus Österreich, der die Theorie der Phantomfrau widerlegte.

Wie das Phantom sich in Luft auflöste

Am frühen Morgen des 28. September 2008 hatten die Gäste der Diskothek "Empire" in Linz schon einiges getrunken. Einige Besucher aus dem ehemaligen Jugoslawien gerieten wegen einer Kleinigkeit in Streit und begannen, aufeinander einzuprügeln. Zum Schluss lag ein 21-Jähriger tot am Boden. Die Täter waren schnell ermittelt und geständig, Anklage wurde erhoben. Am Finger des Toten fand die Spurensicherung die DNS des Phantomfrau. "Da wussten wir, etwas kann hier nicht stimmen", sagt Rudolf Keplinger, der Leiter des Landeskriminalamts Oberösterreich. Keiner der Täter und Zeugen hatte eine Frau gesehen. Der Verdacht fiel auf die Wattestäbchen, die man in Österreich von vier Herstellern bezog. Die deutschen Kollegen wurden informiert und nun begann man sich auch hier Gedanken zu machen.

Heilbronner Polizistenmord: Tatort Heilbronn: Nach der Ermordung einer ihrer Kolleginnen begeben sich die Polizisten auf Spurensuche. Doch das, was sie hier im April 2007 finden, führt sie in die Irre.

Tatort Heilbronn: Nach der Ermordung einer ihrer Kolleginnen begeben sich die Polizisten auf Spurensuche. Doch das, was sie hier im April 2007 finden, führt sie in die Irre.

(Foto: Foto: dpa)

Wenig später, im Februar 2009, zog das LKA Stuttgart die Ermittlungen an sich, offiziell begründete man dies mit den 16.000 Überstunden, die bei den Fahndern in Heilbronn aufgelaufen waren. Intern aber wusste die Polizei wohl bereits, dass die Arbeit vieler Jahre wahrscheinlich umsonst gewesen war. Am vergangenen Donnerstag traf bei der Staatsanwaltschaft Saarbrücken das Ergebnis einer DNS-Untersuchung ein, die die ganze Sache mit dem Phantom wohl endgültig zum Einsturz brachte.

Im französischen Forbach, wenige Kilometer von Saarbrücken, war im Jahr 2002 eine stark verkohlte Leiche gefunden worden. Vor wenigen Wochen bekam die Polizei einen Hinweis, dass es sich bei dem Toten möglicherweise um einen Asylbewerber handelte, dessen Fingerabdrücke in der Kartei der Polizei lagerten. Weil aber die Fingerkuppen des Toten so verkohlt waren, brachte man das Blatt mit den Abdrücken ins Labor, in der Hoffnung, dass der Asylbewerber damals ein paar Hautschuppen oder Speichel hinterlassen habe, man also einen DNS-Abgleich mit dem Toten machen könnte. Was man fand, war nur die DNS der angeblichen Phantommörderin. Als die Kriminaltechniker das Blatt mit dem Wattestäbchen eines anderen Herstellers absuchten, fanden sich keine Spuren mehr.

Ermittler in drei Ländern suchen nun nicht mehr nach einer Frau, die sich an 40 Tatorten aufhielt, die Morde beging und angeknabberte Kekse zurückließ. Sie suchen nach 40 verschiedenen Tätern und müssen ganz von vorne anfangen.

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