Süddeutsche Zeitung

Bluttat in Heidelberg:Zwei Waffen, 100 Schuss Munition

Lesezeit: 3 min

Ein Student stürmt einen Hörsaal, feuert in die Menge, eine Kommilitonin stirbt. Während die Stadt Heidelberg unter Schock steht, geben die Ermittler am Abend erste Details über den mutmaßlichen Täter bekannt und zitieren aus seiner letzten Whatsapp-Nachricht.

Von Jan Diesteldorf, Heidelberg

Die Sonne scheint hell über dem Campus auf dem Neuenheimer Feld, als der Täter das Tutorium stürmt. Er setzt das Gewehr an, feuert in den Hörsaal, die Polizei wird später sagen: Er schießt wild um sich, mindestens dreimal. Ziellos, aber mit der Absicht, zu töten. Vier von den 30 Studentinnen und Studenten im Saal werden verletzt, eine Studentin am Kopf getroffen. Sie wird später sterben. Der Schütze flüchtet aus dem Gebäude, drei Streifenwagen fahren vor, Blaulicht in den Straßen, Angst auf dem Campus. Ein Hubschrauber wird über dem Gebiet kreisen, die Universität ein Notfallprotokoll aktivieren und sämtliche Türen verriegeln.

Was in den Minuten der Tat geschieht, trifft die Stadt Heidelberg bis ins Mark. Sie ist so stolz auf ihre international angesehene Universität, den Forschungsstandort, die beiden Unikliniken. In einem Hörsaal, während der Lehre, dort, wo in dieser Stadt Tausende junge Menschen das Wissen der Welt erfahren, fallen Schüsse, fließt Blut, wird eine 23 Jahre alte Frau aus dem Leben gerissen. "Wenn ein junger Mensch morgens aus dem Haus geht, um für seine Zukunft etwas zu tun", so wird es der Mannheimer Polizeipräsident Siegfried Kollmar am Abend formulieren, "und dann ist es abrupt zu Ende und das Leben ist vorbei: Dann ist das an Tragik nicht zu überbieten."

Es dauert Stunden, bis die Beamten alles abgesucht und gesichert haben und die erlösende Mitteilung verschicken: Die Gefahr ist vorüber, es war wahrscheinlich ein Einzeltäter. Nach der Tat ist er ins Freie gelaufen und hat sich selbst erschossen, im Bereich des Botanischen Gartens auf dem weitläufigen Uni-Gelände rechts des Neckars. Pressefotos zeigen, wie Polizisten und Sprengstoffexperten im Freien einen beigefarbenen Rucksack und zwei Gewehre sichern, eine Doppelflinte und eine Repetierwaffe, und 100 Schuss Munition.

Was über die Waffen bekannt ist

Die Gewehre, so schildert es am Abend Polizeipräsident Kollmar, habe der mutmaßliche Täter kurz vor der Tat persönlich und illegal im Ausland erworben. Weder seine Eltern noch er hatten eine Waffenbesitzkarte oder einen Waffenschein. 18 Jahre war er erst alt, ein Deutscher aus Mannheim, als Student der Biowissenschaften an der Uni Heidelberg eingeschrieben, so wie seine Opfer. Vor der Tat, sagt Kollmar, habe der Schütze bei Whatsapp noch seinem Vater geschrieben: Es müssten nun Menschen bestraft werden. Was oder wen er damit gemeint haben könnte, ist am Tag des Geschehens noch offen. Er wolle, schrieb er weiter, nicht auf einem Friedhof beerdigt werden, sondern wünsche sich eine Seebestattung.

An der Stelle sind die Erkenntnisse erschöpft, die die Ermittler am ersten Tag mit der Öffentlichkeit teilen wollen. Details zu den Waffen und dazu, wer sie dem jungen Studenten verkauft hat, werden aus ermittlungstaktischen Gründen geheim gehalten: In den kommenden Tagen solle der Verkäufer aufgesucht werden. Und die Staatsanwaltschaft betont, wie sehr man darauf aus ist, eine mögliche strafrechtliche Mitverantwortung bei anderen zu klären. Baden-Württembergs Innenminister, der CDU-Politiker Thomas Strobl, verspricht "rasche Aufklärung".

Für die Polizei, die Universität, für die ganze Stadt bis hin zur Landesregierung in Stuttgart ist es ein Tag des Grauens. Am Abend ist im Polizeipräsidium in Mannheim eine lange Tischreihe aufgestellt. Neben Innenminister Strobl ist Landeswissenschaftsministerin Theresia Bauer von den Grünen gekommen; sie betont, dass Universitäten Orte der Offenheit bleiben sollen und müssen. Heidelbergs Oberbürgermeister Eckart Würzner steht die Bestürzung ins Gesicht geschrieben. "Wir waren nicht nur fassungslos", sagt er, "wir konnten gar nicht glauben, dass bei uns in Heidelberg so etwas passiert."

Psychologische Hilfe für alle, die sie brauchen

Doch es passierte, an einem eigentlich freundlichen Tag, an dem die Vögel in den Büschen schon vom kommenden Frühling sangen. An einem ganz normalen Tag unter ganz normalen Studierenden, die der Schreck unvorbereitet getroffen hat. Bernhard Eitel, Präsident der Uni Heidelberg, zeigte sich betroffen und kündigte an, das Geschehen umfassend zu thematisieren und für Studenten und Beschäftigte da zu sein. "Ich spreche nicht nur von Betroffenheit im Sinne eines Mitfühlens für die Angehörigen und diejenigen, die da dabei waren", sagt er am Montagabend, "sondern das ist auch eine Betroffenheit, die rückwirkt auf die Universität insgesamt." Auf das Selbstverständnis als offene Bildungseinrichtung. Auf die vielen Studentinnen und Studenten und Beschäftigten, die erst in den Gebäuden auf dem Neuenheimer Feld eingesperrt waren und dann, noch unter Schock, nach Hause liefen oder fuhren. Und vor allem auf diejenigen, die unmittelbar dabei waren, in Todesangst.

Für die gebe es Hilfsangebote, sagt Innenminister Strobl und appelliert an alle Betroffenen: "Scheuen Sie sich bitte nicht, diese Hilfsangebote auch in Anspruch zu nehmen." Es ist kein Trost nach einer solchen Tat, aber es mag ein wenig Hoffnung machen, wie schnell die Polizei reagieren konnte, wie zügig die Universität ihr Notfallsystem aktivierte und wie gut es offenbar funktioniert hat.

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