Süddeutsche Zeitung

Winter legt Europa lahm:Weiß, weißer, Chaos

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Eine Woche vor Weihnachten ist Europa wegen des massiven Schneefalls im Ausnahmezustand: Flughäfen schließen, Tausende Reisende sitzen fest. Am Frankfurter Airport musste wegen wütender Tumulte die Polizei einschreiten.

Europa im Schneechaos: Eine Woche vor Weihnachten sitzen tausende Menschen an Flughäfen fest. In Frankfurt musste nach Tumulten in der langen Schlange vor der Gepäckabfertigung die Polizei einschreiten, in London waren die Airports Heathrow und Gatwick komplett dicht. Allein am Flughafen in Brüssel strandeten am Samstagabend 4000 Passagiere. Auch mit Zug und Auto hatten die Reisenden in ganz Europa kaum besser voran, weil Schnee und Eis für Verspätungen und Staus sorgten.

Am verschneiten Frankfurter Flughafen warteten am Samstagmorgen Hunderte Passagiere auf ihren Abflug. "Der Flugplan ist komplett aus den Fugen geraten", sagte ein Sprecher des Betreibers Fraport. Insgesamt mussten am Samstag 272 Flüge gestrichen werden, am Vortag waren sogar 560 von 1400 Flügen am größten deutschen Airport ausgefallen. Etwa 2500 am Freitag gestrandete Fluggäste wurden zusätzlich in den ohnehin schon vollen Terminals erwartet. Viele Passagiere warten schon seit Freitag in Frankfurt auf ihren Ab- oder Weiterflug. Für Sonntag erwartet der Flughafenbetreiber weitere Ausfälle und Verspätungen: "Wir wissen, dass wir zehn Zentimeter Neuschnee bekommen werden und rechnen damit, dass es wieder schlimmer wird", so der Fraport-Sprecher.

Am Samstagvormittag führte das Chaos zu wütenden Tumulten: Die Polizei musste bei der Gepäckabfertigung aufgebrachte Passagiere zur Ruhe bringen, wie Augenzeugen berichteten. Auslöser der hitzigen Debatten unter den Fluggästen waren erhebliche Verzögerungen bei der Gepäckabfertigung am Lufthansa-Schalter. In einer schier endlosen Warteschlange, die sich quer durch das Terminal 1 zog, warteten hunderte Passagiere. Als frisch angekommene Fluggäste dann versuchten, eine neue Schlange für aktuelle Flüge zu bilden, sahen einige seit Stunden festsitzende Menschen laut Augenzeugen rot.

Die Lufthansa setzte wegen einer zu erwartenden neuerlichen Verschlechterung der Wetterbedingungen einen Sonderflugplan in Kraft. Dieser beinhalte erhebliche Streichungen von innerdeutschen und europäischen Flügen von und nach Frankfurt, teilte die Fluggesellschaft mit. Langstreckenflüge der Lufthansa seien davon allerdings nicht betroffen.

Die knapp 4000 Passagiere, die in der belgischen Hauptstadt Brüssel festsaßen, mussten die acht zum Sonntag im Flughafengebäude verbringen. Ihre Flüge wurden von anderen Airports - vor allem London - in die belgische Hauptstadt umgeleitet, berichtete die Nachrichtenagentur Belga. Da viele Passagiere aus China, Südkorea, Kuwait und den USA stammten, besäßen sie kein Visum für Belgien und dürften den Transitbereich nicht verlassen, sagte ein Flughafensprecher. Das Rote Kreuz und die Feuerwehr schlugen Betten auf und versorgten die unfreiwilligen Übernachtungsgäste.

Umgeleitet wurden die Flüge unter anderem deswegen, weil an anderen Flughäfen gar nichts mehr ging - so auch in Großbritanniens Hauptstadt London: Die Flughäfen Heathrow und Gatwick blieben mindestens bis zum späten Nachmittag geschlossen. Am Abend konnte Gatwick dann wieder öffnen. In London fielen am Samstag binnen weniger Stunden bis zu 15 Zentimeter Schnee.

In Amsterdam mussten etwa 3000 Menschen in der Nacht zum Samstag am Flughafen Schiphol ausharren, weil heftiger Schneefall den Flugbetrieb stoppte. "Der Flughafen ließ 1700 Feldbetten aufstellen, andere Fluggäste schliefen auf Stühlen und Bänken", sagte ein Sprecher des Flughafens. Der Budapester Flughafen Ferihegy wurde komplett geschlossen, weil die Räummannschaften nicht mehr gegen den Schnee ankamen. Am Pariser Flughafen Charles de Gaulle sollten am Samstag 15 Prozent der Flüge ausfallen.

Doch nicht nur an den Flughäfen, auch auf den Straßen gab es Chaos: Unter anderem in Großbritannien und Frankreich steckten in der Nacht zum Samstag hunderte Menschen stundenlang im Stau fest. In der Nähe der französischen Stadt Rennes saßen in der Nacht etwa 400 Menschen mehrere Stunden lang in ihren Autos fest, etwa 70 verbrachten die Nacht in Notunterkünften. In der Nacht zum Samstag hatten in der Gegend um die nordenglische Stadt Manchester mehrere hundert Autofahrer auf der Autobahn festgesessen.

In Italien steckten am Samstag hunderte Autofahrer auf der Autobahn bei Florenz fest. Der Flughafen der toskanischen Metropole blieb zunächst geschlossen. Auf der A 1 südlich von Florenz hatten sich Lastwagen quergestellt oder verkeilt - und waren so zu einer unüberbrückbaren Barriere geworden.

Straßenräumung gefährdet

In Deutschland gab es zahlreiche Probleme bei der Bahn: Viele Züge in ganz Deutschland seien wegen des Winterwetters verspätet und überfüllt, einige fielen sogar aus, sagte ein Sprecher. Einige Züge seien so voll, dass die Fahrgäste gebeten worden seien, wieder auszusteigen und den nächsten Zug zu nehmen. Deswegen sollten Passagiere der Lufthansa, denen ein Umstieg auf die Bahn empfohlen worden sei, nicht zu viel erwarten. Der Verkehr in Deutschland floss am Samstag hingegen weitgehend wieder, nachdem die Straßen am Freitag auf hunderten Kilometern dicht gewesen waren.

Der Städte- und Gemeindebund warnte dennoch: Hielten sich Schnee und Eis weiter so hartnäckig, könnten geräumte Straßen nicht mehr garantiert werden. Der Streusalz-Hersteller K+S schließt Lieferengpässe wie im vergangenen Winter nicht mehr aus. "Wir produzieren an allen Standorten rund um die Uhr", sagte Konzernchef Norbert Steiner der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. Auch den ersten Tankstellen ging eine Woche vor Weihnachten der Treibstoff aus. Spritmangel betraf besonders Tankstellen in den Mittelgebirgen wie im Harz, im Erzgebirge oder im Thüringer Wald.

Und der Winter bleibt vorerst einmal: Bereits am Sonntag soll es vor allem im Südwesten wieder Schneeregen geben, wie der Deutsche Wetterdienst in Offenbach mitteilte. Örtlich sei Neuschnee von zehn bis 15 Zentimeter möglich.

Die Schneefälle sollen sich im Laufe des Sonntags nach Nordosten verlagern, die Temperaturen auf null Grad im Südwesten und minus 11 Grad im Nordosten zurückgehen. Zum Wochenanfang setzt sich der Prognose zufolge dann im Südwesten Deutschlands ganz allmählich etwas mildere Luft durch. Die im Laufe der Woche dort erwarteten Niederschläge würden dann zunehmend in Regen übergehen. Dabei bestehe erhöhte Gefahr von Glatteisbildung. Im Norden und Osten bleibe die winterliche Witterung erhalten.

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