Havarierte "Costa Concordia":Ermittler nehmen Schiffsbetreiber ins Visier

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Warum wurden die Rettungsmaßnahmen erst mehr als eine Stunde nach der Havarie eingeleitet? Hoffte der Schiffsbetreiber, eine Evakuierung und dadurch entstehende Entschädigungszahlungen vermeiden zu können? Die Reederei Costa Crociere gerät unter Verdacht, zur Tragödie beigetragen zu haben. Unterdessen äußert sich die junge Frau, die nach dem Unglück in Begleitung des Kapitäns gesehen wurde, zu ihrem Verhältnis zum Kommandanten der "Costa Concordia".

Bislang galt er als allein verantwortlich für die Schiffskatastrophe mit mindestens elf Toten: Francesco Schettino, Kapitän der Costa Concordia, ist derzeit der wohl meistgehasste Mann Italiens. Doch knapp eine Woche nach der Havarie des Kreuzfahrtschiffs vor der Mittelmeerinsel Giglio gerät zunehmend auch der Schiffsbetreiber in die Kritik. Der Guardian berichtet unter Berufung auf italienische Medien, Costa Crociere habe möglicherweise gezögert, den Evakuierungsbefehl zu geben, um Entschädigungsforderungen in Millionenhöhe zu verhindern.

In den 68 Minuten zwischen der Havarie und der Einleitung der Rettungsmaßnahmen telefonierte der Kapitän demnach dreimal über eine Notfallleitung mit dem Schiffsbetreiber. Die Ermittler prüften nun, ob Schettino die Situation gegenüber seinem Arbeitgeber herunterspielte oder ob der 52-Jährige gar von höherer Stelle angewiesen wurde, noch mit der Evakuierung zu warten. Möglicherweise hoffte man beim Schiffsbetreiber, der Vorfall sei nicht so gravierend und Rettungsmaßnahmen nicht notwendig.

Entschädigung für "ausgestandene Angst"

Nach der Havarie haben bereits 70 Überlebende eine Sammelklage eingereicht. "Unser Ziel ist es, jedem Passagier eine Entschädigung von mindestens 10.000 Euro für den entstandenen materiellen Schaden, die ausgestandene Angst, die ruinierten Ferien und die ernsthaften Risiken zukommen zu lassen", erklärte der Chef des italienischen Verbraucherschutzverbands Codacons, der die Klage angestoßen hatte.

Ein Sprecher von Costa Crociere sagte auf Anfrage des Guardian, man könne sich nicht zu den laufenden Ermittlungen äußern. Das Unternehmen kooperiere aber auf ganzer Linie mit den italienischen Behörden und bemühe sich, bei der Aufklärung der Geschehnisse zu helfen. Die zum US-Konzern Carnival gehörende Reederei macht den Kapitän für das Schiffsunglück mit mindestens elf Toten verantwortlich.

Erst am Donnerstag wurden die kompletten Mitschnitte des Funkkontakts zwischen der Brücke und der Hafenaufsicht in Livorno publik. In einem ersten Gespräch, kurz nach der Kollision mit dem Felsen, wiegelt ein Besatzungsmitglied, möglicherweise Kapitän Schettino, demnach ab: "Wir haben nur einen Stromausfall." Auch bei weiteren Nachfragen - inzwischen haben mehrere Passagiere Notrufe abgesetzt, die Hafenaufsicht klingt deutlich alarmiert - antwortet die Costa Concordia ausweichend.

Die neuen Audioaufnahmen passen scheinbar zu bereits veröffentlichten Telefonaten zwischen dem Kapitän und dem am Unglücksabend diensthabenden Kommandanten der Hafenaufsicht, Gregorio De Falco. Während die Telefonate ein desaströses Bild von Schettinos Krisenmanagement zeichnen, feiern die Italiener Fregattenkapitän De Falco für seine Wuttirade, in der er seinen Kollegen zur Rückkehr auf das sinkende Schiff bewegen will.

Moldawierin: "Nicht die Geliebte von Francesco Schettino"

Die italienische Staatsanwaltschaft wirft Schettino mehrfache fahrlässige Tötung, Herbeiführung einer Havarie und Verlassen des Schiffs während der Evakuierung vor. Der 52-Jährige steht unter Hausarrest. Zuletzt war bekanntgeworden, dass der Kapitän zum Zeitpunkt des Unglücks mit einer jungen Frau aus Moldawien zusammen war.

Im Interview mit der italienischen Zeitung Corriere della sera sagte die 25-Jährige, sie sei "nicht die Geliebte von Francesco Schettino". Vielmehr sei sie als Hostess bei der Reederei Costa Crociere angestellt gewesen und habe auf der Costa Concordia Urlaub machen wollen. Sie sei nur deshalb nach dem Unglück mit dem Kapitän zusammen gewesen, um russischen Passagieren seine Anweisungen zu übersetzen. Schettino sei "ein Held", der alles getan habe, was möglich gewesen sei.

Die italienischen Ermittler wollen die 25-Jährige Moldawierin nun befragen: Sie erhoffen sich von ihr weitere Einzelheiten zu den Geschehnissen vor und nach der Havarie.

Am vergangenen Freitagabend war die Costa Concordia vor der Insel Giglio mit einem Felsen kollidiert. Der Rumpf wurde auf einer Länge von 70 Metern aufgeschlitzt, innerhalb von Minuten drangen Tausende Liter Wasser ein. Mittlerweile liegt das Schiff fast waagrecht auf dem verhältnismäßig flachen Meeresboden in Küstennähe. In den vergangenen Tagen wurden elf Leichen geborgen, das Schicksal von mehr als 20 Menschen ist noch ungeklärt.

Hoffnung, die Vermissten lebend zu finden, gibt es nicht mehr. Am Freitag mussten die Helfer die Bergungsarbeiten abermals ausgesetzt - der Koloss bewegt sich wieder. Möglicherweise haben Unterwasserströmungen am frühen Morgen Bewegung in das Schiff gebracht. Um die Costa Concordia zu stabilisieren, gibt es Pläne, das 290 Meter lange Kreuzfahrtschiff mit Hebeseilen an den Felsen festzumachen.

Die Rettungsmannschaften stehen unter Zeitdruck, denn das Wetter soll sich im Laufe des Tages verschlechtern. Hoher Wellengang könnte das Schiff, so die Befürchtung, endgültig zum Sinken bringen. Noch immer lagern knapp 2500 Tonnen Treibstoff im Schiffsbauch: Experten befürchten, die Tanks könnten leckschlagen und auslaufendes Schweröl das Ökosystem weit über die Insel Giglio hinaus schädigen.

© Süddeutsche.de/Reuters/AFP/jobr - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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