Havarie der "Costa Concordia":Taucher bergen Festplatte aus dem Schiffswrack

Die Aufzeichnungen könnten Licht ins Dunkel bringen: Taucher haben im Schiffswrack eine Festplatte entdeckt und geborgen, die möglicherweise Aufzeichnungen der Überwachungskameras enthält. Die Staatsanwaltschaft hofft auf Erkenntnisse, was passierte, bevor die "Costa Concordia" einen Felsen rammte. Derweil musste die Suche nach den Vermissten wieder gestoppt werden, weil sich das Schiff erneut bewegte. Acht Tage nach dem Unglück fehlt von 20 Menschen immer noch jede Spur.

Was war los auf der "Costa Concordia" kurz bevor sie einen Felsen rammte? Was machte der Kapitän - und warum ging er von Bord? Diese Fragen könnten nun möglicherweise geklärt werden. Denn Taucher haben aus dem Wrack der gekenterten "Costa Concordia" eine Festplatte geborgen, die das Verhalten des Kapitäns zum Unglückszeitpunkt klären könnte.

Medienberichten zufolge brachten Taucher im Auftrag der italienischen Staatsanwaltschaft am Samstag eine Festplatte an Land, auf der womöglich Aufzeichnungen von Überwachungskameras auf der Brücke des Schiffes gespeichert sind. Die Staatsanwaltschaft erhofft sich demnach von dem Material Aufschluss darüber, was Kapitän Francesco Schettino zum Zeitpunkt der Havarie tat.

Schettino wird vorgeworfen, zu nah an die westitalienische Insel Giglio herangefahren zu sein und dadurch das Unglück vor gut einer Woche provoziert zu haben. Zudem könnte er auf der Brücke von einer Frau abgelenkt worden sein. Dies weisen jedoch sowohl die 25-Jährige aus Moldau als auch Schettino zurück. Dem Kapitän wird zudem zur Last gelegt, die Menschen an Bord im Stich gelassen zu haben und zu früh von Bord gegangen zu sein.

Kaum noch Chancen, Überlebende zu finden

Die Suche nach den Vermissten ist am frühen Sonntagmorgen vorübergehend gestoppt worden. Die Taucher wurden nach Angaben der Agentur Ansa angewiesen, das halb im Wasser liegende Schiff zu verlassen, nachdem festgestellt worden war, dass sich der Havarist erneut bewegt hatte. Wann die Bergungsarbeiten und die Suche nach den über 20 Vermissten des Unglücks fortgesetzt werden sollte, stand noch nicht fest.

Nur wenige Stunden zuvor war die Suche nach den Vermissten zur obersten Priorität der Bergungs- und Rettungsmannschaften erklärt worden. Das sagte Franco Gabrielli, der von der italienischen Regierung eingesetzte Krisenstabs-Chefs bei den Bergungsarbeiten vor der Insel Giglio. Es gebe auch keinen Zeitvorgabe, wann die Suche nach möglichen Überlebenden eingestellt werden könnte. Taucher hatten erst am Samstag eine zwölfte Leiche im Wrack des Unglücksschiffs entdeckt.

Zwar sehen Experten sehen kaum mehr Chancen, noch Überlebende zu finden. Doch die Helfer geben nicht auf: Nach Ansicht des neuen Krisenstab-Chefs Franco Gabrielli sind die Vermissten des Schiffsunglücks "wahrscheinlich" noch an Bord. Die Suche werde daher fortgesetzt. Um den Zugang zu dem Schiff zu erleichtern, sprengten die Taucher mehrere Löcher in den Rumpf.

Um das Schiff zu stabilisieren, gibt es Pläne, den 290 Meter langen Koloss mit Hebeseilen am Felsen festzumachen. Die italienische Regierung hatte bereits am Freitag den Notstand beschlossen, um Gelder und zusätzliche Hilfe für die Gegend bereitstellen zu können. Ein Sinken der "Costa Concordia" soll unbedingt vermieden werden - auch weil noch laut Reederei noch etwa 2300 Tonnen Treibstoff an Bord sind und schwere Umweltschäden drohen. Bis Sonntagabend soll entschieden werden, wie der Treibstoff, darunter ein Großteil Schweröl, abgepumpt werden kann.

Neue Vorwürfe gegen den Kapitän

Rund um das Wrack ist bereits ein leichter Ölfilm gesichtet worden. Es gebe jedoch keine Hinweise darauf, dass Schweröl aus den Tanks des Schiffs ausgetreten sei, sagte ein Sprecher der Küstenwache. Bei der Substanz handel es sich offenbar um Diesel, der in Rettungsbooten benutzt wird und als Schmiermittel der Maschinen an Bord der Costa Concordia dient. Der Ölfilm sei "sehr dünn und oberflächlich" und offenbar unter Kontrolle, sagte Nicastro.

Search For Survivors Continues On Cruise Ship Costa Concordia

Taucher vermuten die weiteren Vermissten im Inneren der gesunkenen "Costa Concordia" vor der Küste von Giglio.

(Foto: Getty Images)

Neue Vorwürfe gegen Kapitän

Der Kapität der Costa Concordia sieht sich neuen Vorwürfen ausgesetzt: Der Vorstandsvorsitzende der Kreuzfahrtgesellschaft "Costa Crociere", Pier Luigi Foschi, beschuldigt Francesco Schettino, nach der Kollision mit dem Felsen Informationen nicht korrekt weitergegeben zu haben. Er habe etwa 20 Minuten, nachdem das Schiff auf Grund gelaufen sei, mit Kapitän Schettino gesprochen, aber keine angemessene Unterstützung geben können, weil die Darstellung des Kapitäns "nicht der Wahrheit entsprochen hat", sagte Foschi dem staatlichen italienischen Fernsehen.

Schettino habe lediglich von "Problemen" gesprochen, aber nicht erwähnt, dass er einen Felsen gerammt hatte. Ebenso wenig sei die Besatzung über den Ernst der Lage informiert worden. Kommandanten hätten zu viel Macht bei ihren Entscheidungen, sagte Foschi dem Mailänder Corriere della sera. Es sei nicht normal und nicht zu rechtfertigen, dass die Evakuierung nach dem Auflaufen auf den Felsen erst nach einer Stunde begonnen habe.

Spekulationen, Francesco Schettino könnte zum Zeitpunkt der Havarie betrunken gewesen sein, bezeichnete dessen Anwalt Bruno Leporatti als "absoluten Quatsch". Die Ergebnisse einer Drogen-Analyse des 52 Jahre alten Schettino stehen noch aus. Anwalt Bruno Leporatti zitierte seinen Mandanten, der unter Hausarrest steht, wie folgt: "Sollte ich einen Fehler begangen haben, dann bin ich bereit, die Verantwortung zu übernehmen." Doch das müsse noch geklärt werden.

Der deutsche Botschafter in Italien, Michael H. Gerdts, spricht den Helfern Mut zu. Er hofft auch acht Tage nach dem Schiffsunglück vor der Insel Giglio noch auf Überlebende: "Die Hoffnung ist absolut da", sagte Gerdts bei einem Besuch der Mittelmeerinsel. Gerdts unterstrich die gute Zusammenarbeit der lokalen Behörden mit den Mitarbeitern des Bundeskriminalamts, die bei der Identifizierung der Opfer vor Ort behilflich sind.

Die Angehörigen der Verschollenen würden von Psychologen des Auswärtigen Amtes betreut. Oft widersprüchliche Angaben zur Zahl der Vermissten erklärte der Spitzendiplomat mit unterschiedlichen Quellen, etwa Passagierlisten oder Angaben von Verwandten. "Eine Liste von Vermissten zu erstellen, ist schwieriger als man denkt."

Nun auch Sammelklage gegen den US-Mutterkonzern von Costa Crociere

Ein italienischer Verbraucherschutzverband plant wegen der Havarie der Costa Concordia eine Sammelklage gegen den US-Mutterkonzern der italienischen Kreuzfahrtgesellschaft Costa Crociere. Man werde den Konzern Carnival auf Entschädigungszahlungen in Höhe von 123.000 Euro pro Passagier verklagen, teilte der Verband Codacons.

An der Klage würden sich mehr als hundert Passagiere "aller Nationalitäten" beteiligen. Die Sammelklage gegen den Betreiber Carnival werde Mitte kommender Woche am Firmensitz in Miami eingereicht. Die Passagiere hätten unter Angst gelitten, ihr Urlaub sei ruiniert worden und sie seien ernsthaften Risiken ausgesetzt gewesen, begründete der Verband seine Forderungen.

Zuvor war bekannt geworden, dass der Reiseveranstalter des Kreuzfahrtschiffs mit noch mehr Schadensersatzforderungen von deutschen Touristen rechnen muss: Zu den fünf Passagieren, die bereits Ansprüche in Höhe von etwa 100.000 Euro geltend machen, würden in der kommenden Woche wohl noch weitere hinzu kommen, sagte Opfer-Anwalt Hans Reinhardt der Nachrichtenagentur dapd.

In den nächsten Tagen führe er Gespräche mit mehreren Touristen, die beabsichtigten, sich Geld zurückzuholen. Die bisherigen Forderungen kämen von zwei Ehepaaren und einer Frau aus Nordrhein-Westfalen. "Allein für die psychische Beeinträchtigung werden 2.500 Euro Schmerzensgeld pro Person geltend gemacht", sagte Reinhardt.

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