Hautfarbe:Fernöstliche Weißheiten

Asiatische Frauen besuchen ihre Kosmetikerin so regelmäßig wie andere Leute die Kirche. Ihr Ziel ist ein Teint, weiß und rein wie Porzellan.

Von Manuela Kessler

Singapur, 9. November - Der Schrecken sitzt ihr noch heute in den Knochen, als habe sie den Tod gesehen. Es war allerdings nur eine Hand, schrumpelig und verfleckt, die sich ihr entgegenstreckte. Das Hinterteil der Frau, dessen Foto daneben prangte, präsentierte sich selbst in mittlerem Alter noch zart und weiß wie ein Kinderpopo.

Hautfarbe: Porzellan-Figur des Bildhauers Franz Anton Bustellis.

Porzellan-Figur des Bildhauers Franz Anton Bustellis.

(Foto: Foto: Porzellan Manufaktur Nymphenburg)

An den Begleittext des Kosmetikkonzerns kann sich Lim Phay-Ling nicht mehr erinnern. Es ist immerhin schon zwei Jahrzehnte her, dass die Anzeige auf ihrem Pult bei der Sunday Times in Singapur landete, bei der sie als Redakteurin für Mode und Schönheit zuständig war.

Die Worte waren aber auch nicht so wichtig: die Bilder machten ihr klar, wie schrecklich die Sonne die Haut altern lässt. Seitdem führt Lim Phay-Ling ihren Abwehrkampf gegen UV-Strahlen. Den palmengesäumten Strand, der sich vor ihrer Wohnung an der Ostküste des Inselstaats erstreckt, betrachtet sie als verbotene Zone. Ihr Ziel ist ein Teint, weiß und rein wie Porzellan. Keine Sommersprosse, nirgends.

Das Ideal ist schwer zu erreichen, wenn man mit gelber Haut geboren ist und am Äquator lebt. Lim, 47, spricht von "harter Arbeit". Sie besucht ihre Kosmetikerin so regelmäßig wie andere Leute die Kirche. Keinen Schritt setzt sie vor die Tür, ohne sich mit Tinkturen eingeschmiert zu haben, Lichtschutzfaktor 15. Die Gläser ihrer Sonnenbrille sind untertassengroß. Trotzdem hat sie auf der linken Wange unlängst einen Pigmentflecken entdeckt. Entsetzlich. Sie will ihn weglasern lassen.

Wenn eine Frau in Fernost etwas auf ihr Aussehen gibt, kämpft sie gegen jeden Anflug von Bräune an. Viele Asiatinnen helfen mit Kosmetika nach, die Bleichstoff enthalten. In Frauenmagazinen werden Horrorgeschichten veröffentlicht über braune Hautpigmente namens Melanin: Sonnenstrahlen stimulieren die Melanin-Produktion derart, dass sich deren Transportkanäle, die normalerweise wie eine Faust verborgen unter der Hautoberfläche liegen, zu gespreizten Händen öffnen. Und das, wo gelbe Haut ohnehin mehr Melanin enthält als weiße. Unansehnliche Flecken - groß, ausgefranst und dunkel - sind die Folge.

Fernöstliche Weißheiten

Die westlichen Kosmetikunternehmen haben das riesige Potenzial erst in jüngsten Jahren entdeckt, als die japanische Konkurrenz längst groß im Geschäft war. Der wirtschaftliche Aufschwung in Fernost tat ein Übriges, einen Run auf die Bleichprodukte auszulösen. Zielkundschaft sind Frauen, aufhellende Kosmetika für Männer gibt es nicht. Die Werbung der Großkonzerne hinkt hinter der Entwicklung allerdings noch hinterher.

Selbst für das "Whitening-Programm", das sich mit acht Masken, Lotionen und Salben eindeutig an Asiatinnen richtet, wirbt Estée Lauder mit einer Kaukasierin, wie Westlerinnen in asiatischer Amtssprache heißen. "Das Problem ist erkannt. Das Topmanagement erwägt, der Firma auch ein asiatisches Gesicht zu geben", sagt Marjorie Lee, die Ausbildungschefin des Unternehmens in Singapur, durch deren Make-up kleine Sommersprossen lugen.

"Das liegt in der Familie", sagt sie, "von Melaninblockern lasse ich schön die Finger." Rubbelnd, salbend und lasernd lasse sich ein makelloser Teint herbeizaubern. "Aber die Haut ist intelligent", sagt Lee. "Die Pigmentierung ist vererbt, und unter Stress treten dieselben alten Flecken wieder auf."

Warum die Asiatinnen trotzdem weiß sein wollen? "Es ist eine Folge des Kolonialismus", sagt der Schönheitschirurg Woffles Wu. "Die Weißen gehörten in der asiatischen Geschichte immer der Oberschicht an. Wer auf dem Feld arbeitete, hatte dunkle und raue Haut." Die Hautfarbe definierte überall den sozialen Status, erst in den letzten Jahrzehnten ist es in Europa Mode geworden, sich zu bräunen und aller Welt zu zeigen, dass man sich Ferien leisten kann.

"Der emotionale Ballast ist in Fernost riesig", sagt Doktor Wu, als würde er sich mit dem Weißheitsfimmel nicht eine goldene Nase verdienen. Sein "medizinisches Aufhellungsprogramm", das mindestens 2500 Euro im Jahr kostet, lassen sich vor allem Frauen jeden Alters, aber auch ältere Geschäftsmänner angedeihen - und sogar einige Exoten, wie er sie nennt. Zur Behandlung nach Singapur schwebt alle sechs Monate eine Anwältin ein: Die Frau kommt aus Düsseldorf.

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