Süddeutsche Zeitung

Hausbesetzer von Christiania:Gekaufte Freiheit

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Von der Straße ins Gericht: In den letzten Jahren tobte um die dänische Freistadt Christiania vor allem ein juristischer Kampf. Nun haben die Hausbesetzer, die Freigeister, Künstler und Idealisten, das Gelände gekauft. Doch etliche Probleme der Kommune von einst bleiben weiter ungeklärt.

Elmar Jung, Kopenhagen

Am Ende konnte nur Geld die Sache regeln. Einigen Bewohnern der Hippie-Kommune Christiania gefällt das nicht besonders. 40 Jahre lang haben sie und ihre Vorgänger, haben Künstler, Musiker, linke Intellektuelle, reiche Idealisten, Drop-outs und Verrückte hier für ihre Freiheit gekämpft - und sie schließlich doch nur gekauft. 11,5 Millionen Euro für einen Großteil des 36 Hektar großen ehemaligen Kasernengeländes im Herzen Kopenhagens, größtenteils finanziert über Kredite und Aktienemission. 800.000 Euro Miete jährlich für die Nutzung denkmalgeschützter Gebäude. Dazu Bauauflagen und Mietpreiserhöhung.

Das klingt alles irgendwie gar nicht mehr nach Anarchie, sozialem Experiment, nach Rotz und Trotz. Eher nach einem ganz gewöhnlichen Ort. Und ein bisschen sogar nach Gentrifizierung. Da nützt es auch nichts, dass die ausgegebenen Wertpapiere "Volksaktien" heißen und die Miete "Gebrauchsabgabe" genannt wird.

Aber die Christianiter, also die Bewohner der Aussteiger-Siedlung, sind auch müde. Müde des ewigen sich Widersetzens, Protestierens und auch des Bangens, vom Staat einfach vor die Tür gesetzt zu werden. Sie nehmen es deshalb in Kauf, dass aus Hausbesetzern nun Hausbesitzer geworden und sie vielleicht bald nur noch ganz gewöhnliche Einwohner Kopenhagens sind. "Es tut gut, endlich Ruhe zu habe", sagt Helen Schou, die seit 29 Jahren in Christiania wohnt.

Wie groß ist nun die Zäsur für Christiania, das in dieser Woche nun endlich in die Legalität überführt wurde? Sicher ist, dass die Aussteigersiedlung nicht über Nacht ihr Gesicht verändern wird. Das hat sie in der Vergangenheit längst schon getan, Schritt für Schritt. Denn mit den Anfangsjahren, als ein paar Hippies Holzbalken in den Schlamm rammten, um die Wände der baufälligen Baracken zu stützen, hat Christiania längst nichts mehr gemein. Inzwischen besitzt die Freistadt eine durchaus respektable Infrastruktur mit Kanalisation, Ärzten, einem Straßenreinigungsdienst, Kindergärten, Werkstätten und einem Badehaus.

Inquisitorischer Auswahlprozess

Dennoch wird einiges anders werden, transparenter. Beispielsweise war der Zuzug zur Freistadt bisher streng reglementiert. Nur wer jemanden kannte in Christiania oder besser noch, mit jemandem dort verwandt war, hatte eine Chance, überhaupt in Betracht gezogen zu werden. Selbst dann musste sich jeder Bewerber den Vertretern der 14 Teilgebiete Christianias stellen. Es kursieren viele Geschichten über den Auswahlprozess möglicher neuer Bewohner. Ungemütlich soll es da bisweilen zugegangen sein, inquisitorisch gar. Einer soll dabei noch nicht einmal die ersten fünf Minuten überstanden haben, als er meinte, er habe mal in seiner Jugend eine Lehre zum Bankkaufmann in Erwägung gezogen.

In Zukunft dürfen sich derart Abgewiesene bei Vertretern des Fonds Freistadt Christiania beschweren, der die undurchsichtigen Entscheidungen der Versammlungen kontrollieren soll. Ob der Zuzug dadurch leichter wird, ist aber unsicher. Denn im elf Mitglieder zählenden Vorstand des Fonds sitzen wiederum fünf Christianiter. Und die haben nach wie vor genaue Vorstellungen davon, wer zu ihnen gehören soll und wer nicht. Das so freie und offene Christiania war immer gern geschlossene Gesellschaft. Auch wenn das in Christiania keiner gern hört.

Für den Cannabishandel in der sogenannten Pusher Street ist indes noch keine Lösung gefunden. Ein Problem, das auch den Christianitern ein Dorn im Auge ist. Denn die Zeiten der ach so friedlichen Haschoase, in der Späthippies die Ernteüberschüsse aus ihrem Vorgarten zum Selbstkostenpreis anboten, sind lange vorbei. Stattdessen führen die Hells Angels heute das Drogengeschäft - und das mit allen bekannten Härten. Konkurrenten werden schon mal niedergestochen.

Haschischhandel und eine Million Touristen

Schon Ende der 80er Jahre hatten Haschischhandel und Gewalt immer größere Ausmaße angenommen. 1992 setzte die Polizei eine 70 Mann starke Patrouille ein, die versuchte, den Drogenmarkt auszuräuchern - teilweise mit brutalem Vorgehen. Es kam zu Straßenschlachten, bei denen Tränengas und Schlagstöcke zum Einsatz kamen. Ende 1993 befahl der Justizminister, die Patrouille wieder abzuschaffen. Auch, weil Christiania zu diesem Zeitpunkt schon längst zu einer der größten Touristenattraktionen Kopenhagens geworden war. Heute besuchen jährlich etwa eine Million Menschen die Freistadt.

Als die liberal-konservative Regierung 2004 beschloss, das Gebiet vielsagend zu "normalisieren", verlagerte sich der Kampf um Christiania zunehmend von der Straße in die Gerichtssäle und mündete schließlich in das Angebot des Staates an die Bewohner, das Areal zu kaufen. Die Christianiter haben es sich mit dieser Entscheidung nicht einfach gemacht. Schließlich widerspricht ein solcher Kompromiss eigentlich ihrer Vorstellung von der eigenen Gegenkultur. Bewohner Emil Cold, 28, drückt es in der dänischen Zeitung Politiken so aus: "Ruhe und Sicherheit sind für mich keine unbedingten Ziele. Es war immer ein Teil Christianias, nicht zu wissen, was als nächstes passiert. Mir widerstrebt es, dem Staat Geld für etwas zu zahlen, wofür ich meiner Meinung nach nichts bezahlen müsste."

Wirklich assimilieren wird sich Christiania wohl nie.

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Quelle:
SZ vom 07.07.2012
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