Internet-Hetze:"Staatsanwaltschaften behandeln Bedrohungen oft als Bagatelldelikt"

Protestplakat gegen Hass im Internet
(Foto: Jon Tyson/Unsplash)

Was kann man gegen den allgegenwärtigen Hass im Internet tun? Anna-Lena von Hodenberg vom Berliner Verein "HateAid" vertritt Opfer von Beleidigungen - auch die Grünen-Politikerin Künast.

Interview von Verena Mayer

Ein Urteil des Berliner Landgerichts sorgt seit Tagen für Kritik. Darin heißt es, dass die Grünen-Politikerin Renate Künast Beschimpfungen wie "Drecksfotze" als Meinungsäußerung hinnehmen müsse. Angestoßen hat das Verfahren der Berliner Verein Hate Aid, der gegen Hasskommentare im Netz vorgeht. Anna-Lena von Hodenberg ist die Geschäftsführerin des Vereins.

SZ: Frau von Hodenberg, wie geht es im Fall Künast jetzt weiter?

Anna-Lena von Hodenberg: Wir bereiten eine Beschwerde vor, weil wir das Ergebnis nicht nachvollziehen können. Dem Gericht zufolge sind diese Beschimpfungen legitim, weil sie im Kontext einer Parlamentsdebatte über Kindesmissbrauch fielen. Frei nach dem Motto: Wenn über Sexualität diskutiert wird, muss ich mir auch sexuelle Beleidigungen gefallen lassen.

Interview am Morgen

Diese Interview-Reihe widmet sich aktuellen Themen und erscheint von Montag bis Freitag spätestens um 7.30 Uhr auf SZ.de. Alle Interviews hier.

Wie kamen Sie auf Renate Künast?

Als wir den Verein vor einem Jahr gründeten, haben wir einen Fall als Testballon gesucht und sind an sie herangetreten. Sie hat uns dann ihren Fall überlassen.

Wenn man in sozialen Netzwerken unterwegs ist, liest man viel Justiziables. Einer aktuellen Untersuchung des Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft zufolge erstatten aber gerade mal vier Prozent der Beleidigten Anzeige. Warum ist das so?

Die Hürden sind hoch. Das beginnt bei der Polizei, wo den Leuten erzählt wird: Löschen Sie halt Ihren Facebook-Account, oder: Ist doch nur das Internet. Einem Betroffenen, dessen Adresse mit dem Aufruf "Holt ihn euch" im Netz veröffentlicht wurde, sagte man, er solle sich melden, wenn jemand vor seiner Tür steht. Nach dem Fall Lübcke wissen wir aber, was passieren kann, wenn die Privatadresse einer Person, die massiven Anfeindungen ausgesetzt ist, im Internet zu finden ist. Und die Staatsanwaltschaften behandeln Beleidigungen oder Bedrohungen im Netz oft als Bagatelldelikt. Man gibt sich nicht viel Mühe, die Täter zu ermitteln, oder das Verfahren wird gleich eingestellt, weil es nicht im öffentlichen Interesse ist.

Was kann ein kleiner Verein da tun?

Wir gehen den zivilrechtlichen Weg, indem wir von den Tätern eine Unterlassung verlangen, also dafür sorgen, dass ein Kommentar nicht mehr geäußert werden darf und gelöscht wird. Dann sagen wir: Durch die Äußerung ist ein Schaden entstanden, weil das Opfer verleumdet wurde. Das ist ja nicht wie eine Beleidigung im Straßenverkehr oder in der Kneipe. Das passiert vor Millionen Leuten. Und dann fordern wir Schadenersatz oder Schmerzensgeld.

Und das kann man nicht selbst?

Wenn Sie zivilrechtlich gegen jemanden vorgehen wollen, müssen Sie einen Anwalt engagieren und Gerichtskosten vorstrecken, was sich bei einer Beleidigung auf 2000 Euro beläuft. Wenn Sie verlieren, kommen die Kosten für die Gegenseite dazu, das sind schnell 4000 Euro. Sind Sie zehnmal beleidigt worden, haben Sie ein Prozesskostenrisiko von 40 000 Euro. Die Betroffenen, die für so etwas ihre Ersparnisse riskieren, können Sie an einer Hand abzählen. Mir ist nur der Journalist Richard Gutjahr bekannt, der das getan hat.

Gutjahr war 2016 zufällig Augenzeuge zweier Anschläge und wurde, nachdem er darüber berichtet hatte, Opfer von Verschwörungstheorien auf Youtube.

Seine Frau ist Jüdin, das hat ein Übriges dazu beigetragen, dass diese Videos global kursierten, auch seine Familie wurde bedroht. Er sagte später: Wehren könnten sich nur Leute mit Geld. Da kommen wir ins Spiel: Wenn wir verlieren, zahlen die Betroffenen nichts. Gewinnen wir aber, spenden sie die erstrittene Summe an uns zurück und wir finanzieren den nächsten Prozess. Man hilft also sich und anderen und am Ende der Gesellschaft, weil wir dafür sorgen, dass das Prinzip der Rechtsdurchsetzung auch im Netz gilt. Ein Grund für die massive Enthemmung im Internet ist das Gefühl, dass jeder sich ungestraft austoben kann. Das ist wie beim Plündern: Wenn viele damit anfangen, schmeißen auch Leute, die so etwas nie tun würden, eine Scheibe ein und nehmen etwas mit.

Seit 2017 ermöglicht es das Netzwerkdurchsetzungsgesetz, bei den Betreibern der Plattformen gegen Hass vorzugehen. Welche Erfahrungen machen Sie damit?

Wenn Leute ihren Rechner anmachen und Hasskommentare sehen, können sie durchsetzen, dass etwas gelöscht wird. Das ist ein Pflaster auf die Wunden. Auf lange Sicht setzt das Gesetz der Enthemmung im Internet aber nichts entgegen, denn die Urheber strafbarer Kommentare werden nicht zur Rechenschaft gezogen. Außerdem müssen wir mehrere Gerichtsverfahren anstrengen, um bei Facebook und Twitter die Daten der Verursacher zu bekommen. Hier werden uns oft Steine in den Weg gelegt. Wir brauchen keine neuen Gesetze, wir haben genügend, aber die müssen auch im Internet angewendet werden.

Viele Ihrer Mandantinnen sind Frauen, die sich im Netz zu Rassismus oder Feminismus äußern und von rechten Trollgruppen angegriffen werden. Kann man diese Leute überhaupt abschrecken?

Gegen die Trolle kann man wenig machen. Eine Strafe schmerzt diese Leute zwar, aber sie machen weiter. Wen man treffen muss, sind die Mitläufer, die sich Hass-Stürmen anschließen. Das sind Leute aus der bürgerlichen Mitte, wir hatten einmal eine Lehrerin unter den Täterinnen. Denen muss man zeigen: Euer Verhalten hat Konsequenzen. Und das kann teuer werden.

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