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Harvey Weinstein:Klappe, die Zweite?

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Der frühere Filmmogul Harvey Weinstein wurde vor einem Jahr wegen Vergewaltigung zu 23 Jahren Haft verurteilt. Warum seine Anwälte jetzt den Prozess neu aufrollen lassen wollen.

Von Moritz Geier

Harvey Weinsteins Prozessunterlagen dürften gesammelt bereits einen ansehnlichen Aktenberg ergeben - einen Stapel, der noch dazu weiter im Wachsen begriffen ist. Nicht nur, weil dem verurteilten Vergewaltiger und Ex-Filmproduzenten zusätzliche Gerichtsverfahren in Los Angeles drohen, wo fünf Frauen angebliche Fälle von sexueller Gewalt zur Anzeige gebracht haben. Auch jener spektakuläre Prozess in New York, der Weinstein dorthin gebracht hat, wo er derzeit sitzt, nämlich in der Wende Correctional Facility, einem Hochsicherheitsgefängnis im US-Bundesstaat New York, soll, wenn es nach ihm geht, den Aktenberg noch mal vergrößern: Denn Weinstein und seine Anwälte wollen ihn neu aufrollen lassen.

23 Jahre Gefängnis, so lautete die Strafe, die das Gericht in Manhattan im Februar 2020 ausgesprochen hatte. Die Jury war überzeugt, dass der frühere Filmmogul im Jahr 2006 die ehemalige Produktionsassistentin Mimi Haleyi zum Oralverkehr gezwungen hatte. Außerdem sprach sie ihn der Vergewaltigung der früheren Schauspielerin Jessica Mann schuldig.

Zwei Frauen, zwei Fälle - vor Gericht wurde nur über einen winzigen Bruchteil der Masse an Vorwürfen verhandelt, die mehrere Frauen zuvor gegen Harvey Weinstein erhoben hatten. Vorwürfe, die teils verjährt waren oder nach finanziellen Vergleichen beigelegt wurden. Und trotzdem war es eine Verurteilung, die wie eine Bombe einschlug, hatten die Vorwürfe gegen Weinstein doch maßgeblich die "Me Too"-Bewegung mit ausgelöst. Und siehe da, hier hatte doch tatsächlich eine Jury den Zeugenaussagen mehrerer Frauen geglaubt, entgegen Weinsteins Beteuerungen, unschuldig zu sein. Von einem Meilenstein der Rechtsgeschichte war die Rede, selbst die Vereinten Nationen sprachen von einem "Wendepunkt" im Umgang mit Opfern sexueller Gewalt.

"Reißerische Berichterstattung"

Am Montag nun haben Weinsteins Anwälte beim Supreme Court im Bundesstaat New York Einspruch gegen das Urteil eingelegt. Überraschend kommt der Vorstoß nicht. Weinsteins Chef-Verteidigerin Donna Rotunno hatte die hohe Haftstrafe schon gleich nach dem Urteilsspruch als "obszön" und "lächerlich" bezeichnet. Mit drei zentralen Vorwürfen begründen die Anwälte ihren Einspruch: mit der angeblichen Voreingenommenheit des Richters James Burke, mit einem angeblich parteiischen Jury-Mitglied und mit der "reißerischen medialen Berichterstattung", die den Prozess beeinflusst hätte, so steht es in dem gerichtlichen Schreiben.

Ersteren Vorwurf hatten Weinsteins Anwälte schon während der Verhandlungen im vergangenen Jahr erhoben, wie CNN berichtet. Immer wieder war ihr Versuch zu erkennen gewesen, das Verfahren mit formellen Beanstandungen abzuwürgen, Rechtsfehler zu finden, die den Prozess kippen könnten. Etwa dass der Richter James Burke Weinstein gegenüber feindselig eingestellt sein könnte. Nachdem Burke Weinstein einmal mit einer Gefängnisstrafe gedroht hatte, weil dieser wiederholt sein Smartphone im Gericht genutzt hatte, hatten dessen Anwälte Burke aufgefordert, sich selbst vom Richterposten abzuziehen. Burke lehnte ab, mit dem Hinweis, er habe den Angeklagten nur abschrecken wollen. Auch den Umstand, dass Burke Zeugen eingeladen habe, die der Jury von "früheren Missetaten" ihres Mandanten erzählt hätten, monieren die Anwälte. Diese Fälle hätten mit der Gerichtsverhandlung nichts zu tun gehabt.

Bei dem Vorwurf gegen eine Jurorin, die als "Jurymitglied Nr. 11" bezeichnet wird, geht es um ein Buch, das sie verfasst hat. Schon im Januar 2020 hatten Weinsteins Anwälte beklagt, Nr. 11 habe im Auswahlprozess verschwiegen, dass sie an einem Roman schreibe, der von "raubtierhaften" älteren Männern und deren Beziehungen zu jüngeren Frauen handle. Und jetzt sei das Buch, das mittlerweile erschienen ist, zum Teil auch noch autobiografisch.

Literaturexegeten müssen sich damit aber erst mal noch nicht befassen. In einem ersten Schritt wird sich die Bezirksstaatsanwaltschaft von Manhattan mit einer Antwort beim Gericht zum Einspruch äußern. Nur eins von vielen Dokumenten auf dem wachsenden Aktenberg.

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