Süddeutsche Zeitung

Prozess gegen Harvey Weinstein:Wichtige Scharmützel

Bei den Anhörungen vor dem Prozess gegen Harvey Weinstein in Los Angeles wegen Vergewaltigung und anderer Delikte geht es vor allem darum: Wofür kann er belangt werden? Wer wird aussagen dürfen? Der Prozess selbst dürfte weitreichende Konsequenzen haben.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Es ist überhaupt nichts los am Montagmorgen vor dem Los Angeles Superior Court Metropolitan Courthouse. Wer Prozesse von Prominenten in den USA verfolgt hat, den gegen Bill Cosby in Pennsylvania wegen sexueller Nötigung oder all die Anhörungen zur Vormundschaft von Britney Spears in L.A., der weiß, wie hitzig es draußen bisweilen zugehen kann. Bei Cosby wollten mutmaßliche Opfer, die nicht als Zeugen aussagen durften, ihre Geschichte erzählen; bei Spears erklären Initiatoren der #freebritney-Bewegung, welch immense Sorgen man sich um die Entertainerin machen müsse.

Nun, bei der Anhörung vor der Verhandlung gegen den Filmproduzenten und bereits verurteilten Sexualstraftäter Harvey Weinstein: niemand. Klar, es war nur eine Anhörung, der Prozess wird wohl frühestens im Frühjahr beginnen; dennoch sind diese Termine davor bisweilen mindestens ebenso bedeutsam - weil dort verhandelt wird: Wofür darf jemand belangt werden? Wer wird aussagen? Und welche Beweise dürfen vorgelegt werden?

Es werden die Parameter festgelegt, und es war schon ein prägendes Bild, das sich da am Montag bot: Weinstein, der früher breitbeinig jeden Raum betrat und für seinen überdurchschnittlich festen Händedruck bekannt war, wird im Rollstuhl vorgefahren; er trägt einen zerknautschten Gefängnis-Overall, die Maske hängt unter der Nase. Meist blickt er starr ins Nirgendwo und spricht nur kurz, als er der Verlängerung einiger Fristen zustimmt. Ansonsten sitzt er einfach nur da.

Es geht ihm offensichtlich schlecht; das ist das Bild, das die Verteidigung zeichnen will. "Er kann nicht gehen, er kann nichts sehen", sagt sein Anwalt Mark Werksman. Im Juli war Weinstein von New York (dort ist er bereits wegen Vergewaltigung und anderer Delikte zu 23 Jahren Haft verurteilt worden) nach Los Angeles ausgeliefert worden, er befindet sich derzeit in der Twin Towers Correctional Facility im Stadtzentrum in Haft. Werksman nannte diese Bedingungen "ähnlich der Einzelhaft", sein Mandant sei wegen seiner Prominenz "weggesperrt" worden; all die Bemühungen der Ermittler seien mit Wasserwerfern zu vergleichen: Man spritze ziellos in die Menge und hoffe, möglichst viel Dreck zu erwischen.

Los Angeles war Weinsteins Jagdrevier

Die Vorwürfe gegen Weinstein, 69, wiegen wie bereits beim Prozess im vergangenen Jahr in New York schwer; insgesamt dürfte er sich in elf Fällen verantworten müssen: Fünf mutmaßliche Opfer werfen ihm vor, dass er sie zwischen 2010 und 2013 vergewaltigt, zum Oralsex gezwungen und/oder sexuell genötigt habe. Viele der Fälle wurden bereits 2017 publik und waren auch Auslöser der #metoo-Bewegung, wegen der am Sonntag zum Beispiel Kate Winslet bei der Verleihung der Emmys sagte: "Das ist das Jahrzehnt, in dem sich Frauen gegenseitig helfen." Also: Jobs in dieser Branche zu bekommen, ob nun als Drehbuchautorin, Regisseurin, Schauspielerin, Kamerafrau - ohne von einem wie Weinstein belästigt zu werden.

Genau deshalb ist dieser Prozess in Los Angeles unfassbar bedeutsam: Es ist das primäre Jagdrevier von Harvey Weinstein gewesen; die Staatsanwaltschaft will - die genauen Details sind noch unter Verschluss und für die Öffentlichkeit nicht einsehbar, nicht unüblich bei diesen Fällen - bis zu zwölf Frauen aussagen lassen, um einen roten Faden in Weinsteins Vorgehen aufzuzeigen. Genau das will die Verteidigung verhindern, sie hat beantragt, dass es wegen Mangels an klaren Beweisen und angeblich falscher Aussagen von Experten überhaupt nicht zur Verhandlung kommen dürfe; Weinstein selbst erklärte sich für "nicht schuldig". Kürzlich hatten seine Anwälte einen Erfolg verbucht, indem das Gericht den Vorwurf sexueller Körperverletzung wegen Verjährung für nicht zulässig erklärte - später jedoch nach einem Antrag der Ermittler wieder zuließ.

Um genau solche juristischen Scharmützel geht es derzeit bei diesen Anhörungen, die nächste ist für 8. Dezember angesetzt, und genau deshalb sind sie im US-Strafsystem so wichtig. Die Öffentlichkeit muss sich dafür erst mal nur peripher interessieren, und vielleicht ist es deshalb eine gar nicht mal so schlechte, gute Nachricht, dass da am Montag niemand vor dem Gerichtsgebäude war. Das Urteil dürfte bedeutsam werden, bis dahin zeigen die Bewohner von Los Angeles, dass Weinstein keine Rolle in ihrem Leben spielt. Das Gegenteil von Hass ist bekanntermaßen völlige Gleichgültigkeit.

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