Hannover:Der Wert ihrer Wunden

Zivilprozess um Schmerzensgeld nach Säure-Attacke

Vanessa Münstermanns linke Gesichtshälfte wird eine Narbe bleiben.

(Foto: Holger Hollemann/dpa)
  • Vor zweieinhalb Jahren hat Vanessa Münstermanns Ex-Freund sie mit Säure überschüttet.
  • Die heute 29-Jährige kämpft vor Gericht darum, eine für deutsche Verhältnisse hohe Schmerzensgeldsumme zu erhalten; insgesamt 300 000 Euro.
  • Der Anwalt des heute 34-jährigen Täters sieht in ihrem selbstbewussten öffentlichen Auftreten einen mildernden Umstand für seinen Mandanten.

Von Thomas Hahn, Hannover

Ein neuer Tag, ein neuer Prozess. Für Vanessa Münstermann hat am Donnerstag vor dem Landgericht Hannover ein neuer Versuch begonnen, ihrem Leiden etwas abzutrotzen. Auf 250 000 Euro Schadensersatz hat sie ihren Ex-Freund Daniel F. verklagt, der sie vor zweieinhalb Jahren mit Schwefelsäure übergoss. Sie selbst ist nicht bei der Verhandlung, ihr Anwalt Andreas Hüttl vertritt sie. Auch F. ist abwesend, er sitzt im Gefängnis. Sein Anwalt Max Marc Malpricht erklärt, dass F.s Eltern bis zu 100 000 Euro anbieten. "Eine gütliche Einigung kommt nicht in Betracht", stellt Richterin Stefanie Piellusch fest und verkündet den Verfügungstermin. Am 2. Oktober wird Münstermann erfahren, wie viel Geld sie für ihre Verätzungen bekommt.

Vanessa Münstermann, 29, macht das Beste aus ihrer Geschichte, in der nichts mehr wirklich gut wird. Sie zeigt sich. Sie gibt Interviews. Sie hat den Hilfe-Verein "AusGezeichnet" für Entstellte gegründet. Ende Mai hat sie eine Tochter zur Welt gebracht, der Vater ist ihre Jugendliebe. "Es geht immer weiter, auch nach einem schlimmen Schicksalsschlag", sagte sie nach der Geburt. So stark wirkt sie in der Öffentlichkeit, dass Malpricht ihr Auftreten als mildernden Umstand für seinen Mandanten anführt. "Ich erlebe sie als toughe Frau." Zumindest über seelische Schäden habe er keine Erkenntnis.

Zu zwölf Jahren Haft wurde Daniel F. im Sommer 2016 verurteilt. Er gestand, dass er sich für die Trennung rächen wollte: "Ich dachte, ich muss sie irgendwie hässlich machen." Am Donnerstag wurde wieder deutlich, wie zerstörerisch der Angriff war. Nüchtern zählte Richterin Piellusch die Folgen auf. Vanessa Münstermanns linke Gesichtshälfte wird eine Narbe bleiben. Sie hat das linke Auge und die linke Ohrmuschel verloren. Ihr Gehörsinn und ihre Mimik sind beeinträchtigt. 50 000 Euro Schadensersatz haben F.s Eltern schon gezahlt, die 250 000 kämen dazu. "Für deutsche Verhältnisse ist das ein hoher Betrag", sagt Piellusch, "aber es ist auch eine extreme Tat, so dass wir denken, dass wir in der Höhe richtig unterwegs sind."

Sie sagt ohne Umschweife: "Es geht mir ums Geld"

Für Vanessa Münstermann ist das ein wichtiges Signal. Vor der Verhandlung war sie für Interviews zum Landgericht gekommen. "Es geht mir ums Geld", sagte sie ohne Umschweife. Sie kann nicht zurück in ihren Beruf als Kosmetikerin. Mit einem Auge sieht sie dafür nicht gut genug.

Ob ihre Forderung zu etwas führen wird? Daniel F. hat weder Schulabschluss noch Ausbildung. Die Eltern wollen ihn enterben. Er sitzt in Einzelhaft und geht im Gefängnis keiner bezahlten Arbeit nach. Münstermann-Anwalt Hüttl räumt ein, dass es schwer werden könnte, das gewünschte Geld zu bekommen. Er wirkt nachdenklich. Im Namen von Vanessa Münstermann sagt er: "Sie will erst mal feststellen: Das, was mir passiert ist, hat diesen Wert." Seine ganze Schuld könnte Daniel F. wohl ohnehin nie begleichen - selbst wenn er sehr reich wäre.

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