Hannover (dpa) - „Mir ist bewusst, dass eine Entschuldigung nichts ungeschehen machen kann“, sagte der Angeklagte vor Gericht. Blass und mit tränenerstickter Stimme fuhr der 35-Jährige fort, es tue ihm „unendlich leid“, was er einer jungen Frau und deren Familie angetan habe. Von „Obsession“, Besessenheit also, ist immer wieder die Rede in diesem Prozess am Landgericht Hannover. Besessen war der Dessauer von der 23-Jährigen, davon, an ihrem Leben teilzuhaben, wie sein Verteidiger Sven Tamoschus am Montag in seinem Plädoyer sagte. Aber: Er habe sie nicht töten wollen, habe es nicht geplant, betonten der Anwalt und sein Kollege Daniel Brunkhorst. Beide forderten neun Jahre Gefängnis wegen Totschlags für den Mann.
Damit blieben sie deutlich unter der Forderung der Anklagebehörde, die kürzlich lebenslange Haft wegen heimtückischen Mord aus niedrigen Beweggründen für den Angeklagten gefordert hatte. Auch die besondere Schwere der Schuld solle festgestellt werden, sagte Staatsanwältin Wiebke Gratz. Am 18. Februar wird voraussichtlich das Urteil verkündet. (Az. 39 Ks 7/20)
Was war passiert? Der 35-Jährige soll im Januar 2020 in die Wohnung der 23-Jährigen in Hannover eingedrungen sein und sich dort über Stunden aufgehalten und versteckt haben. Dann folgte er ihr ins Badezimmer, wo er sie mit einem Klappmesser erstochen haben soll. Außerdem soll er ihr ins Gesicht geschlagen und sie mit einem Elektroschocker und Pfefferspray gequält haben.
Die beiden Deutschen hatten sich im Juli 2017 kennengelernt - das Opfer wollte aber keine Beziehung. Der 35-Jährige fühlte sich zurückgewiesen. Ab Dezember 2017 kam es zu Stalking-Angriffen, der Mann soll begonnen haben, die 23-Jährige in sozialen Netzwerken, aber auch telefonisch und persönlich zu belästigen und ihr nachzustellen. Eine Tag nach dem Verbrechen stellte sich der Mann in Dessau in Sachsen-Anhalt der Polizei, wo er gestand. In der Verhandlung allerdings habe er das „Recht zu schweigen genutzt“, sagte Brunkhorst. Nur mit dem Sachverständigen sprach er.
Die Anwälte beschrieben wie zuvor die Staatsanwaltschaft, wie sich die Tat abgespielt haben dürfte. Dabei ging es ihnen vor allem darum, zu zeigen, dass der 35-Jährige nicht mit dem Vorsatz handelte, die junge Frau zu töten: So habe er Kabelbinder und Klebeband dabeigehabt, wohl, um sie zu fesseln und über ihr Verhältnis zu reden. Er habe nicht verstanden, warum sie so abweisend und die aus seiner Sicht gute Beziehung in die Brüche gegangen sei, erklärte Tamoschus. Die Frage beschäftige ihn bis heute, meinte Brunkhorst.
Nach der Tat sei er in Panik geflohen, habe „keine Sekunde über die Tat hinaus geplant“. Er habe „stümperhaft“ versucht, Daten zu löschen, um sein Stalking zu verschleiern. Einbruchswerkzeug, Klappmesser, Sturmhaube und anderes habe er in einem Müllsack gestopft, diesen dann aber mit nach Hause genommen.
Trotz seines Schweigens vor Gericht habe der 35-Jährige bei der Aufklärung mitgewirkt, habe Betroffenheit und Mitgefühl gezeigt, betonte Brunkhorst. Es sei ihm schlecht gegangen, wenn er sich nicht mit der 23-Jährigen beschäftigte: „Er hat seine Obsession gepflegt.“
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