Hanau:29 Jahre später

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Die Staatsanwaltschaft lässt die Leiche eines 1988 verstorbenen Vierjährigen exhumieren: wegen des Verdachts auf Mord.

Von Gianna Niewel, Trier

29 Jahre nach dem Tod eines kleinen Jungen im hessischen Hanau ist dessen Leiche wieder ausgegraben worden. Der Verdacht der Ermittler: Das vier Jahre alte Kind ist im August 1988 nicht - wie bisher angenommen - ohne Fremdeinwirkung gestorben. Ist es ermordet worden? Gerichtsmediziner in Frankfurt untersuchen nun die sterblichen Überreste, um weitere Erkenntnisse über die Todesumstände zu erlangen.

Lange hatte es ausgesehen, als sei das Kind an seinem Erbrochenen erstickt. Das hatte damals der Notarzt festgestellt. Das Todesermittlungsverfahren wurde daraufhin eingestellt, der Leichnam nicht obduziert, sondern bestattet.

2015 wurden dann neue Hinweise an die Ermittler herangetragen. Erste Zweifel kamen auf. Wenn ein Fremdeinwirken nicht mehr sicher ausgeschlossen werden kann - wer kommt als Täter in Frage? Im Zentrum der bisherigen Ermittlungen steht ein Paar aus dem Main-Kinzig-Kreis, das in den Achtzigerjahren Pflegekinder aufgenommen haben soll. Der Mann arbeitete als Pastor, wegen seiner radikalen Ansichten sollte er aus dem Kirchendienst entlassen werden. Er kam der Entlassung zuvor und schied auf eigenen Wunsch aus. Gemeinsam mit seiner Frau soll er eine Sekte gegründet haben. In dieser Sekte soll auch der Junge aufgewachsen sein.

Aus dieser Sekte kamen auch die Hinweise. Aussteiger hatten sich vor zwei Jahren an die Staatsanwaltschaft gewandt. Der Junge, sagten sie, sei stark unterernährt gewesen. Er sei mehrfach geschlagen worden und misshandelt, vor Zeugen, er habe in einem Sack schlafen müssen, der über seinem Kopf zugeschnürt worden sei. Die Staatsanwaltschaft Hanau nahm daraufhin das Verfahren noch einmal auf.

Am Donnerstag öffneten sie nun das Grab des Kindes auf dem Friedhof im Hanauer Stadtteil Kesselstadt, der Oberstaatsanwalt, vier Polizisten, zwei Rechtsmediziner, ein Mitarbeiter der Friedhofsverwaltung und zwei Archäologen. Mit kleinen Spaten trugen sie Schicht für Schicht die Erde ab, gruben die Knochen des Jungen aus, acht Stunden lang. Eine Exhumierung ist ein ungewöhnlicher Vorgang, Ermittler ordnen selten an, dass die sterblichen Überreste eines Menschen noch einmal ausgegraben werden sollen. Zumal nach einer so langen Zeit. Dementsprechend schwierig war die Arbeit. Zum einen, weil kein Fleisch, kein Gewebe mehr die Knochen zusammenhält; die Knochen liegen in der Regel lose, können zersetzt sein. Zum anderen gab es das Grabmal des Kindes so nicht mehr. Über dem Jungen war ein anderes Kind begraben worden, dessen Leichnam musste mit Beschluss des Amtsgerichts Hanau erst bewegt werden.

Die Ermittler hoffen nun, dass die Knochen Antworten geben können auf die Frage, wie der Junge ums Leben kam. Ob die Hinweise stimmen und er misshandelt wurde, ob er an den Folgen dieser Misshandlung gestorben ist. Knochenbrüche beispielsweise können auch nach 29 Jahren unter der Erde noch nachgewiesen werden. Vergiftungen auch.

Der Anwalt der verdächtigen Person wies in der Frankfurter Rundschau jegliche Vorwürfe zurück. Es gebe keine objektiven Anhaltspunkte dafür. Die Gerichtsmediziner in Frankfurt waren am Freitag nicht für eine Stellungnahme zu dem Fall zu sprechen. Wann die Ergebnisse der Untersuchungen vorliegen, ist laut Aussage eines Hanauer Oberstaatsanwalts bisher unklar.

© SZ vom 08.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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