Hamburg:Der Waitzstraßen-Fluch

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Hamburg, Waitzstraße, Mai 2019: Ein Mercedes ist in einer Boutique gelandet.

(Foto: Imago/Jonas Walzberg)

24 Mal schon sind in der Einkaufsstraße in Hamburg Autos in Schaufenster gekracht. Ja, sind die Fahrerinnen und Fahrer denn gar nicht zu bremsen?

Von Peter Burghardt, Hamburg

Es gibt natürlich viele bemerkenswerte Straßen im schönen Hamburg, darunter die Reeperbahn. Oder die Herbertstraße, in beiden ist derzeit wegen dieser Viren wenig oder gar kein Betrieb. In der Hansestadt finden sich auch Adressen mit so wunderbaren Namen wie Hühnerposten, Herrlichkeit oder Rutschbahn, ganz zu schweigen vom Schulterblatt oder dem berühmten Jungfernstieg an der Alster, Letzterer übrigens neuerdings autofrei. Und dann ist da noch die Waitzstraße, wo Autos in Schaufenster oder Fassaden donnern.

Die Waitzstraße liegt am Rande des eleganten Stadtteils Othmarschen, in relativer Elbnähe und ganz nahe an einer S-Bahnstation, gesäumt von Lokalen und Geschäften. Das Schaufenster eines Juwelierladens an der Hausnummer 23 ist zu Wochenbeginn mit einer Sperrholzplatte verrammelt, aber nicht wegen möglicher Unruhen wie derzeit während der US-Wahlen oder eines heranbrausenden Hurrikans wie in Nicaragua. Sondern wegen der neuesten Folge einer bizarren Serie.

Diesmal, es war ein Donnerstagvormittag Ende Oktober, wollte eine 81 Jahre alte Frau mit ihrem VW Polo rückwärts einparken. Stattdessen fuhr sie rückwärts über den Gehweg und "in das Schaufenster", wie die Polizei meldete. Splitter verletzten die Beifahrerin leicht im Gesicht, die Fahrerin musste einen Fahrtüchtigkeitstest absolvieren. Der Schaden war da schon angerichtet.

So etwas kann natürlich passieren, man hört auch anderswo von Missgeschicken, und manchmal ist es im Rahmen von Raubüberfällen sogar Absicht, wenn Autos Schaufenster demolieren. In der verkehrsberuhigten und eigentlich beschaulichen Waitzstraße allerdings passieren diese Unfälle in einer Häufigkeit, dass es wirkt wie Slapstick, wie ein Fluch auf vier Rädern.

Frau fährt in Friseurgeschäft in der Waitzstraße

Hamburg, Waitzstraße, Juli 2020: Ein BMW hat die Tür einer Friseurfiliale demoliert.

(Foto: Daniel Bockwoldt/picture alliance/dpa)

Gegenüber vom demolierten Juwelierladen sind die Fenster einer Friseurkette mit gestrichenem Holz und Firmenlogo bedeckt, dort knallte im Juli 2020 eine Siebzigjährige hinein. Sie hatte in ihrem BMW offenbar Gas und Bremse verwechselt, eine häufige Ursache für diese Crashs, sie erlitt einen Schock. Es war für diese Filiale bereits der dritte Aufprall. Im März 2019 rauschte eine Seniorin gegen den Salon, nachdem sie beim Parkversuch zunächst einen Mülleimer und eine Sitzbank umgerissen hatte. Jahre zuvor hatte es die Adresse schon einmal erwischt.

Die Waitzstraße, immer wieder die Waitzstraße. Im Januar 2005 rammt ein Mercedes eine Weinhandlung, im Februar 2007 rollt ein BMW mit Karacho in eine Reinigung, im März 2008 ein Golf in ein Optikergeschäft. 2016 lassen die Behörden für fast zwei Millionen Euro Bäume pflanzen und Barrieren an der Shoppingmeile aufstellen, doch auch das taugt nicht zur Panzerung. August 2019: ein 83-Jähriger mit Mercedes mitten im Blumenladen, Aufnahmen der Überwachungskamera zeigen umstürzende Vasen und Kunden, die in Deckung springen. Mai 2020: ein 81-Jähriger im Toyota im Hauseingang einer HNO-Praxis. Eine Bank war auch schon an der Reihe. Ungefähr 24-mal soll es insgesamt passiert sein.

Erneuter Einpark-Unfall in der Hamburger Waitzstraße

Hamburg, Waitzstraße, November 2020: Nach dem jüngsten Crash darf jetzt nur noch längs geparkt werden.

(Foto: Daniel Reinhardt/dpa)

"Das ist nicht lustig", sagt die Besitzerin einer Boutique, in die im Mai 2019 ein 83-jähriger Mercedesfahrer krachte. Sie musste eineinhalb Jahre warten, ehe die Versicherung zahlte. Es ist nicht lustig, klar, aber was sind die Gründe? Die Zeugin und Betroffene zählen ein paar davon auf. Viele Geschäfte, viele Ärzte, viele ältere Leute, die mit dem Pkw kommen. "Überdimensionierte Autos", sagt sie, oft mit Automatikgetriebe. "Individuelles Fehlverhalten der Fahrzeugführer", erläutert das zuständige Bezirksamt Altona. Die Häufung könne "mutmaßlich durch das örtliche Klientel und beispielsweise eine hohe Dichte von Arztpraxen erklärt werden".

Vorläufig darf an der Waitzstraße nur noch längs statt schräg geparkt werden, die Buchten wurden gelb markiert. Außerdem werden neue Poller im Boden versenkt, "Vollstahlpoller", wie es heißt, 150 000 Euro wird das kosten. Laut Gutachten könnten damit "anfahrende Fahrzeuge mit einer Aufprallgeschwindigkeit von zehn Kilometern pro Stunde und einem Gewicht von zwei Tonnen gestoppt werden". Dabei sei die Lösung doch ganz simpel, meint das Satireprogramm Extra 3: "Man verlegt die Parkplätze einfach direkt in die Geschäfte!"

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